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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Blätter und Blüthen.

Hermine Spies. (Mit Portrait S. 197.) Die neue erfreuliche Geschmacksrichtung, welche nicht mehr die Kehlfertigkeit als den richtigen Maßstab der Gesangskunst ansieht, fördert als köstlichsten Schatz das wie Dornröschen in langem Schlafe befangene deutsche Lied zu Tage. Eine wahrhaft Auserwählte, ein Liederapostel in weiblicher Gestalt ist die Künstlerin, deren Bild wir unsern Lesern vorführen. Hermine Spies ist als Liedersängerin heute ein Liebling des deutschen Koncertpublikums. Sie wurde als Tochter des Hüttendirektors auf Löhnberger Hütte bei Weilburg an der Lahn geboren. Kaum zwei Jahre alt verlor sie die zärtlich sorgende Mutter. An deren Stelle waltete nicht „die Fremde liebeleer“, sondern eine das Kind sorgsam behütende Tante, Schwester der Mutter, eine musikalisch hoch begabte Dame, welche früh schon das Talent des Kindes entdeckte. Im Hause des Vaters wurde viel und gut musicirt. So entwickelte sich der musikalische Sinn des Kindes sicher und in bester Richtung, und nachdem Hermine 14 Jahre alt aus dem Stillleben der Heimath in das Bernhardt’sche Institut in Wiesbaden versetzt worden war, konnte sie als gut vorbereitete Gesangsschülerin in die wohlbekannte Freudenberg’sche Musikschule eintreten. Es ist bemerkenswerth, daß die jetzt so berühmte Altsängerin damals mit ihrem hellen lieblichen – Sopran das Wohlgefallen ihrer Lehrer erregte. Erst allmählich vollzog sich die Umwandlung des Timbres, der in seiner späteren Art nicht wenig die früheren Lehrer in Erstaunen gesetzt haben mag.

Zwei Jahre studirte sie dann bei Professor Sieber in Berlin „italienische Gesangsmethode“, die jedenfalls das Gute hatte, der Künstlerin zu dem bei ihrem machtvollen Organ doppelt bewundernswerthen leichten Ansatz zu verhelfen. Meister Stockhausen empfing die so wohlvorbereitete Schülerin mit Freuden. In seiner Schule entwickelte sie alle jene Vorzüge, welche wir heute als die anziehenden Eigenthümlichkeiten ihres Talentes am meisten bewundern: die Innigkeit und Tiefe der Auffassung, das ursprüngliche Feuer und die hinreißende Begeisterung in der Darstellung. Noch als Schülerin erprobte Hermine Spies zuerst ihre Leistungsfähigkeit in einer kleinen Altpartie auf dem Musikfeste zu Mannheim im Mai 1881, aber erst das Berliner Debut im Februar 1883 und die ersten Leipziger Erfolge im April desselben Jahres eröffneten ihr die Ruhmeslaufbahn. Wer vermöchte diese in den zahllosen Koncertreisen zu schildern, die sie im Herbst 1886 auch zum ersten Male nach der südlichen Musikmetropole Wien führten. Ueberall führte ihr Auftreten zum glänzenden Siege. Hermine Spies ist eine der seltenen Künstlerinnen, denen gegenüber die Bewunderung zugleich die Sympathie des Herzens bedeutet; nicht die Sinne reizt ihre idealen Zielen zugewendete Kunst, nein, das Gefühlsleben in allen seinen Stimmungen beherrscht die Künstlerin, erfreuend, tröstend, erhebend. So steht, wie großartig ihre Leistungen im Oratorium sein mögen, ihre Kunst im Liede am höchsten. Doch ihr Repertoire umfaßt die musikalische Litteratur alles Großen und Schönen von der alten bis auf unsere Zeit; in beiden hat sie Lieblinge, dort Händel, hier Brahms. Ihre Vielseitigkeit ist im Uebrigen staunenswerth, und aus Freundesmund kann man das begeisterte Lob hören, daß Fräulein Spies ein ebenso liebenswerthes und geistesfrisches Mädchen ist.

Im Kaffeehause nach der Redeschlacht. (Mit Illustration S. 201.) Es giebt kaum eine andächtigere Gemeinde, als die der Zeitungsleser nach großen Tagesereignissen, wozu ja auch die parlamentarischen Redeschlachten gehören. Unser Bild zeigt uns ein solches, in die Lektüre der Zeitungen vertieftes Kaffeehauspublikum, auf welches der Lichtwer’sche Vers zu passen scheint:

„Wenn sie nicht reden, hören, fühlen
Noch sehn: was thun sie denn?“

Sie „spielen“ nicht wie die Helden der Lichtwer’schen Fabel; aber sie lesen Zeitungen. Soeben sind die Septennatsreden Bismarck’s und Moltke’s in den Blättern erschienen – kein Wunder, daß alle Gäste in die Lektüre vergraben sind, selbst der Droschkenkutscher draußen auf seinem Bock. Es ist offenbar das Café Schiller, welches die Zeichnung uns vorführt: das Interieur ist ein kleiner Theil des im reichen Zopfstil gehaltenen Cafés, und draußen auf dem Gendarmenmarkt sehen wir ja das Schauspielhaus. Die Gesichter der Leser, die man sieht, lassen den Gesichtsausdruck der anderen errathen, die hinter den Blättern verschwinden – es herrscht eine krampfhafte Spannung. An solchem Tage spielen nur die politischen Zeitungen eine Rolle. Die illustrirten Wochenblätter bleiben unberührt auf den Tischen liegen. †     

Vermißen-Liste. (Fortsetzung aus Nr. 46 des Jahrganges 1886).

82) Der Sattler August Hermann Vesterling, geb. 14. Mai 1852, verließ Mitte der siebziger Jahre Deutschland, um nach London zu gehen. Dort hat er bis 1877 in der Henriettenstreet – London W – gewohnt und war, wie aus einem Briefe entnommen werden kann, verheirathet. Seit jenem Jahre fehlt jede Nachricht von ihm. Er soll stets den Wunsch gehegt haben, nach Brasilien auszuwandern; es ist daher möglich, daß er dorthin sich begeben hat. Seine vier Geschwister bitten dringend um ein Lebenszeichen von ihm.

83) Seit 1881 hat der Barbier Karl Wilh. Paul Posemann, geb. 6. Mai 1853 in Kottbus, seinen Eltern keine Nachricht mehr gegeben; er hielt sich zuletzt in Glauchau auf.

84) Der Tischlergesell Theodor Ludw. Joachim Krohn, geb. 1828 in Bendtwisch bei Rostock, schiffte sich 1856 von Hamburg nach Südaustralien ein und ist seitdem verschollen.

85) Oskar Albert Ullrich, vormals Handlungskommis, geb. den 29. Februar 1860 in Dresden, ist seit 3. Nov. 1879 aus dem elterlichen Hause in Dresden spurlos verschwunden und wird von seinen Angehörigen dringend gebeten, Nachricht von sich zu geben.

86) Der Schlosser und Mechaniker Paul Alfred Messerschmidt, geb. 15. August 1847 in Berlin, verließ 1874 seinen Wohnort Erfurt und ist seitdem spurlos verschwunden.

87) Im Jahre 1882 schrieb der Barbier Herm. Robert Buttenberg, geb. 13. Mai 1854 in Wolferode bei Eisleben, an seine Eltern aus Adelaide in Australien, daß er weiter reisen wolle, ohne anzugeben, wohin. Seitdem hat er keine Nachricht mehr gegeben.

88) Franz Ketelhut, Bäckergesell, geboren 24. December 1865 in Bockowin, Kreis Lauenburg in Pommern, reiste am 8. August 1882 von Hamburg nach London und ist seitdem spurlos verschollen.

89) Konst. Herm. Jos. Oskar von Dorsch, nannte sich öfters auch Josef oder Oskar von Dorsten, geb. 17. Oktober 1856 in Merkstein bei Herzogenrath, war als Matrose in den siebziger Jahren auf dem Schiffe „Paul Emil“, Rheder Sartori in Kiel, und gab zum letzten Male Nachricht aus Worms 1877. Seine Schwester bittet ihn dringend um ein Lebenszeichen; die Eltern sind inzwischen gestorben.

90) Der Fleischer Oswald Wienhold, geb. 22. Mai 1846 in Glauchau, soll sich 1878 in Joplin in Amerika aufgehalten haben und ist seitdem verschollen.

91) Johann Baptist Schöpf, in Reuth bei Stadt Kemnath in Bayern am 23. Juni 1830 geboren, war Schmelztiegelfabrikant in Schönau bei Chemnitz, verreiste angeblich in Geschäften 1881 und ist seitdem spurlos verschwunden.

92) Martin August Friedrich Hermann Spohr, geb. 3. April 1846 in Wolfenbüttel, arbeitete bis 1878 an der neuen Wasserleitung in Salzburg als Bauleiter, machte dann in Holzminden sein Examen als Maurermeister und ging 1879 wieder nach Oesterreich, und zwar zunächst nach Salzburg, dann nach Wien. Seine Adresse am letzteren Orte lautete nach seiner Angabe vom 13. Februar 1879: Neu-Rudolfsheim, Buchgasse Nr. 8 I. Stock, Thür 12. Briefe, welche seine Mutter unter dieser Adresse an ihn schrieb, kamen jedoch mit dem Vermerk: „Adressat ist abgereist nach Ungarn“ als unbestellbar zurück, und von dem Sohne erhielt die alte tiefbekümmerte Mutter kein Lebenszeichen mehr.

93) Eine arme, durch schwere Schicksalsschläge tief gebeugte Wittwe sucht ihren 1877 nach Brasilien ausgewanderten Sohn, der seit 1879 keine Nachricht mehr von sich gegeben hat. Er heißt Adolf Heinrichs, ist am 29. April 1849 geboren, war Schlosser und schrieb seinen letzten Brief aus Pelotas in der brasilianischen Provinz Rio Grande do Sul.

94) Der Schiffszimmermann Bernhard Karl Ludwig Grabbert, geb. 18. März 1856 in Schwerin in Mecklbg., ging 1876 von Hamburg aus auf größere Seereisen und diente seit 1878 auf mehreren englischen Schiffen als Koch, Zimmermann oder Dolmetsch, meist unter dem Namen Charles Brown, gewöhnlich Charley genannt. Seit dem genannten Jahre fehlt jede Nachricht von ihm selber. 1883 soll er sich als Steward von Southampton nach Liverpool begeben haben. Seine seit 19 Jahren schwer darniederliegende Mutter bittet dringend um Nachricht über ihren Sohn.

95) Theodor Koenen (Kuhnen), gebürtig vom Niederrhein (Preußen), hat im Jahre 1853 seine Heimath als 21jähriger Mann verlassen und ist wahrscheinlich als Matrose in See gegangen. Die Verwandten sind ohne jede Nachricht geblieben.

96) Im Mai 1883 schrieb Peter Heinrich Rose (irrthümlich öfter Christian Kose genannt) aus Birmingham zum letzten Male an seine Mutter. Er war Tischler und ist am 11. Januar 1855 in Zerbst in Anhalt geboren.

97) Clamor Ernst Emil Karl Müldner (auch Mulden geschrieben), schleswig-holsteinischer Lieutenant a. D., geb. 17. November 1830, wanderte 1853 aus und gab seine letzten Nachrichten 1871 aus Brisbane in Queensland (Australien).

98) Karl Selhofer, geb. 22. September 1853 in Bern, war in den siebziger Jahren Oberkellner im „Russischen Hof“ in Frankfurt a. M., dann von 1879 bis Juni 1883 Oberkellner im „Charing-Croß-Hotel“ in London und hat nach dieser Zeit nicht wieder an seine Mutter geschrieben, die ihn dringend um Nachricht bittet.

99) Max Bruno Tietze, geb. 8. März 1859 in Zittau in Sachsen, schrieb zum letzten Male am 19. December 1880 von Düsseldorf aus an seine alte kranke Mutter und ist seitdem verschollen.

100) Der Tapezierer Rudolf Emil Hektor Vogel, geb. 8. November 1840 in Substowo bei Sampolno in Russisch-Polen, lebte seit 1878 mit seiner Familie in Berlin. Am 20. November 1882 früh verließ er in gewohnter Weise und im Arbeitsanzug seine Wohnung und ist seitdem spurlos verschwunden.

Ein Ausbruch des Aetna. Unser Mitarbeiter August Schneegans, deutscher Konsul in Messina, unsern Lesern durch die jüngst veröffentlichte Erzählung „Speranza“ wohlbekannt, hat unter dem Titel: „Bilder aus Siciliens Natur, Geschichte und Leben“ eine überaus lebendige, nach allen Seiten hin möglichst erschöpfende Schilderung der Insel gegeben: selbst die Beziehungen deutscher Dichter zu derselben fehlen nicht, wie die Abschnitte: „Goethe in Messina“ und „Schiller’s sicilianische Dichtungen“ beweisen.

Die Darstellung des letzten Ausbruches, durch den der sicilianische Feuerberg die Anwohner in Schrecken setzte, gehört zu den Glanzstellen des Werkes. Am 18. Mai 1886 hatten die Mitglieder der deutschen und schweizer Kolonie in Messina einen Ausflug auf die von Nordwesten die Stadt umkränzenden Pelorischen Berge unternommen. Es lag nämlich ein deutsches Kriegsschiff im Hafen, und den Officieren der kaiserlichen Marine galt dieses Bergfest. „Als wir den höchsten Gipfel, auf dem sich eine unvergleichliche Rundsicht über die Meerstraße von Messina, das Tyrrhenische Meer und die Liparischen Inseln eröffnet, erreicht hatten, und ich unsern Gästen weit im Süden die über die wildzerrissenen Felskrater der sicilischen Berge herabblickende schneebedeckte Pyramide des Aetna zeigte, siehe da, welch wunderbar unerklärliches Schauspiel bot sich unsern Blicken dar! Aus seinem Gipfel stieg plötzlich eine immer höher und höher zum Himmel emporstrebende Rauchsäule; nicht die weißen wolkenähnlichen Aetnadämpfe waren es, die so leicht und ruhig dem

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