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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

doch versprochen, so geht es an das Studium der Novität; der Chef schreibt sich die Stellen heraus, wo der Beifall kommen muß, entweder aus den Reihen des Publikums oder denen der Klaque, und übt seine Leute direkt darauf ein. In Paris geht er mit ihnen sogar auf die Generalprobe, giebt ihnen die Stichworte an, bei denen sie zu klatschen, zu lachen oder zu weinen haben, und tritt dann am Abend der Eröffnung als einer der Ersten in den Zuschauerraum, wo er sich so postirt, daß er von jedem seiner „Mitarbeiter“ gesehen werden kann. Sie sitzen natürlich nicht in einem Haufen zusammen, sondern sind überallhin vertheilt, besteht doch in der Geschicklichkeit der Vertheilung einer der Hauptvorzüge eines guten Klaquechefs. Die „Ritter vom Kronleuchter“ sitzen oben auf der letzten Galerie, ihnen liegt zumeist das „wiehernde Gelächter“ und der namentlich bei Kraftstellen zu verzapfende „frenetische Beifall“ ob. Leute, die über etwas bessere Röcke und womöglich gar über etwas intelligentere Gesichter verfügen, haben vereinzelt ihren Platz in den verschiedenen Rängen und im Parkett.

Der Vorhang geht in die Höhe; sie rüsten sich, in Aktion zu treten. Der erste Akt, für den auf Grund der Lektüre des „Buches“ ein „Mittelapplaus“, „halblaute Bravos“ und zum Aktschluß ein „Beifallssturm“ vorgemerkt sind, läßt aber das ziemlich kritische Premièrepublikum dermaßen kalt, daß sich der Vorhang ohne den geringsten Beifall senkt und der Chef der Klaque es nicht wagt, seine Truppen ins Feuer zu führen, um nicht eine Opposition heraufzubeschwören, die vielleicht von den verhängnißvollsten Folgen sein könnte. Er muß daher bei allen vorgemerkten Stellen „abwinken“. Mit Blitzesschnelle erfaßt er in solchem Augenblicke die „riskante“ Stimmung der Zuschauer, eine unauffällige Bewegung der Hand nach der Kravatte oder ein eben so unauffälliges Streichen des Schnurrbartes – und es herrscht auf den Sitzen der Klaque eine solche marmorstarre Regungslosigkeit, als hätte der Autor niemals einen viel bedeutenden Händedruck mit dem Klaquechef gewechselt.

Der zweite Akt hebt sehr kühl an; aber da kommt eine Scene, die rührend wirken soll und in der That eines gewissen Eindrucks auf das Publikum nicht verfehlt. Da spielt der „Chef“, wie tief in Gedanken verloren, mit der Uhrkette – und auf einmal hört man, wie sich ganz oben, wo das naive Publikum zu sitzen pftegt, Jemand leise schnaubt; das Schnauben wird ansteckend, von rechts und links und mitten aus dem Parkett heraus vernimmt man es, und siehe da, es übt seine Wirkung auch auf die nicht beeinflußten Zuschauer, die „weich werden“ und ebenfalls ihre Taschentücher hervorziehen; es ertönt ein Applaus, den die Hände der Klaque nicht hervorrufen, sondern nur verstärken. Die Scene hat „eingeschlagen“, der Erfolg beginnt. Kurz darauf wagt es der Chef nach einem Monologe des Helden, der nicht gerade kalt, aber auch nicht besonders warm aufgenommen wurde, einen kleinen „Lockbeifall“ loszulassen; derselbe wird von einem Theil der Zuschauer „aufgenommen“, und nun geht es mit sich steigernder Schnelligkeit und Zuverlässigkeit von Applaus zu Applaus, von Lachsturm zu Lachsturm, und es wäre kaum noch nöthig, daß der kleine Herr da mit den wasserblauen Augen und semmelblonden Haaren im zweiten Rang eben so wie der andere Herr mit dem schwarzen Oberkellner-Kotelettenbarte jedesmal vor Vergnügen in wahrhaft konvulsivische Zuckungen gerathen, sobald der Komiker einen Witz gemacht hat – es geht jetzt auch schon ohne Nachhilfe. Der garantirte Gesammterfolg ist da und der Chef nickt am nächsten Tage im Kaffeehaus dem Autor von Weitem mit einem Lächeln zu, das da sagen will: „Sehen Sie wohl, Doktorchen, wir verstehen den Rummel!“

Das war ein Beispiel der positiven Arbeit der Klaque. Ihre negative Thätigkeit übt sie weit weniger häufig aus.

Freilich, will ein Autor nicht „blechen“, hat ein Sänger, der sich auf seines Basses Grundgewalt oder den Goldglanz seines hohen C verläßt, den Herrn Chef mit Nichtachtung behandelt, anstatt ihm zu schmeicheln, so lechzt die Klaque nach Rache und beweist jedem, auf den sie es abgesehen hat, daß das Register der Bezeigungen ihres Mißfallens mindestens eben so reichhaltig ist wie das ihrer Beifallsarten. Sie zischt nicht bloß, nein, sie schlägt plötzlich ein höhnisches Gelächter auf, welches die ganze Stimmung im Hause niederreißt, sie verhustet die feinsten Dialogpointen und niest so nachhaltig in die pathetischsten Stellen hinein, daß man glauben sollte, es habe da oben jemand ein paar Loth Schnupftabak ausgeschüttet und dieser thue nach unten hin seine Wirkung. Aber nicht genug damit: die Klaque provocirt kleine Ruhestörungen auf der Galerie, deren sich das Publikum durch energisches Zischen und „Ruhe!“-rufen erwehrt – die Stimmung ist aber hin. Es verspricht sich ein Schauspieler, die Klaque jubelt laut auf – die Stimmung ist hin, ist unwiederbringlich verloren. Wehe dem, der es mit der Klaque verdirbt!

Indeß, wie gesagt, die negative Thätigkeit der Klaque ist verhältnißmäßig selten, zuweilen ist sie Sache derjenigen, welche die gelegentlichen Freundschafts- und Familienapplause fabriciren. Will ein Schauspieler seinen „lieben theuren Kollegen X“ auszischen lassen, weil X ihm die Glanzrolle des jüngst zur Austheilung gelangten neuen Stückes weggeschnappt hat, so bedient er sich seiner Freunde dazu. Er kann sich dann darauf verlassen, daß sein theurer Freund und Kollege prompt niedergezischt und ihm seine beste Scene „verulkt“ wird, während zwischendurch für den Urheber dieser negativen Huldigungen „wahre Beifallsstürme“ entfesselt werden. Manchmal allerdings wird dieses kombinirte Geschäft auch von der berufsmäßigen Klaque ausgeübt. Wir selbst haben einen solchen Fall im Londoner Lyceum-Theater erlebt, als Henry Irving den Macbeth gab. Da saß neben uns auf einem Fauteuil ein sehr robustes Individuum, das ganz ungenirt seine Abendzeitung las, wenn nicht gerade Macbeth oder Banquo auf der Scene war. In diesen beiden Fällen steckte der Mann freilich seine Zeitung ein oder legte sie sich, wenn er wußte, daß der Auftritt nur ein kurzer sein würde, quer über die Kniee, applaudirte dann mit seinen gewaltigen Patschen – Handschuhnummer mindestens 91/2 – wie wahnsinnig, wenn der Herr Direktor Irving spielte, und grunzte, murmelte, hohnlachte und zischte, wenn Banquo redete. Sollte vielleicht der Herr Direktor einen kleinen Spahn mit dem Darsteller des Banquo gehabt und ihm haben beweisen wollen, daß das „Publikum“ von seiner Vortrefflichkeit nicht gerade felsenfest überzeugt sei?

So ungenirt wie in diesem Falle, so sich in ihrer ganzen Schamlosigkeit auch dem Auge des Unbefangensten enthüllend, tritt freilich die Klaque unseres Wissens sonst nirgend auf; aber vorhanden ist sie in allen Großstädten, so entrüstet auch zuweilen gegen diese Behauptung protestirt wird, und überall arbeitet sie mehr oder minder geschickt mit denselben Mitteln und nach denselben Grundsätzen.

Nützt sie nun denen wirklich etwas, die sich ihrer bedienen? Leider ja, wenn auch nur zeitweise und nicht auf die Dauer. Es sind allerdings nur Scheinerfolge, die sich mit solchem gefälschten Applause, mit solcher für 20 Mark vorausbestellten „tief gehenden Rührung“ und mit Lachsalven à 10 Mark erzielen lassen.

Aber im Theater, in dieser Welt des Scheines thun auch solche Scheinerfolge ihre Schuldigkeit, wenn sie nur hinterher unter Benutzung der Reklametrommel gehörig „fruktificirt“ werden. Es hilft daher auch nichts, wenn das Publikum zuweilen gegen das Klaque-Unwesen energisch Front macht und die Herren von der breitgeschlagenen Hand niederzischt, wo es kann; es ist vergebens, wenn, von echt künstlerischem Impulse getrieben, Bühnenleiter, wie im September vorigen Jahres z. B. die Direktion des Wiener Burg- und des Hofoperntheaters die Mitglieder in einem Cirkularreskript vor der Verwendung der Klaque, „welche sich in letzter Zeit im k. k. Hofoperntheater unliebsam hervorthat“, eindringlich warnt. Es nützt das gar nichts, denn die Klaque ist ein geschäftlicher Faktor, und da leider Gottes heut zu Tage sowohl die meisten unserer Bühnenschriftsteller wie unserer Bühnenkünstler, von den Direktoren ganz zu schweigen, Geschäftsleute sind, welche schallende Erfolge haben wollen, um sie in klingende umzuwechseln, so wird die Klaque nach wie vor ihr „Handwerk“ ausüben, und der Beifall, den man mit Recht die „Nahrung des Künstlers“ genannt hat, wird auch fernerhin wie jedes andere Nahrungsmittel verfälscht werden.




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