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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

der Komiker ist so witzlos wie nur möglich; die Leute, welche neben Einem sitzen langweilen sich ganz augenscheinlich oder ärgern sich auch wohl, je nach Temperament … und nichts desto weniger erdröhnt das Theater, selbst bei den mattesten Aktschlüssen, von Beifall, der bombasticus furiosus wird für seine schauspielerischen Schandthaten durch mehrfachen Applaus bei offener Scene belohnt und verbeugt sich auch mit gewinnendem Lächeln trotz des Zischens, das von anderer Seite ertönt, die Sentimentale rührt einen Theil der Anwesenden zu Thränen, und der trockene Komiker erzielt wahre Lachsalven! Der unbefangene Zuschauer, der nicht oft Gelegenheit hat, das Theater zu besuchen, greift sich an den Kopf und zweifelt einen Augenblick daran, ob er wacht oder nicht etwa in das Land der Träume entführt ist, wo bekanntlich die logische Folge von Ursache und Wirkung aufgehoben ist. Nein, möchte man ihm da zurufen, nein, mein lieber unbefangener Zuschauer, der du Europens übertünchte Theatererfolge nicht kennst, du wachst vollkommen! Was du da erlebt hast, kannst du in schwacher oder drastischer Form fast bei jeder großstädtischen „Première“ wieder erleben, und das nicht nur in Europa … du hast eben die Klaque bei ihrer Arbeit gesehen, das ist die ganze Lösung des Räthsels, welches dich so in Verwirrung und Erstaunen setzt!

Wer öfter ins Theater geht und dann sein Augenmerk nicht nur den Vorgängen auf der Bühne zuwendet, sondern auch das Publikum ein wenig in den Kreis seiner Betrachtungen zieht, der kommt leicht dahinter, was es mit der Klaque auf sich hat, und gewinnt mit der Zeit ganz interessante Einblicke in die Art und Weise ihrer Thätigkeit. Zunächst lernt er die Unterscheidung zwischen der gelegentlichen und der berufsmäßigen Klaque kennen und dann deren beide Unterabtheilungen, die positive und die negative Klaque.

Die gelegentliche Klaque ist die harmloseste, trotzdem sie die häufigste ist. Der von ihr ausgehende Beifall ist entweder Familien- oder Freundesapplaus und vermag keinen Erfolg zu schaffen, höchstens der schon vorhandenen freundlichen Stimmung ein wenig nachzuhelfen. Nur dann „drückt“ der Familienapplaus ein Stück „durch“, wenn es einen „sehr verwandten“ Dichter zum Autor aufweist und dieser Vettern und Basen bis in das zehnte Glied aufgeboten hat. Das ist dann der „Familienerfolg“, der weniger in der Großstadt als in Provinzstädten zu gedeihen pflegt. In die Gattung des Familienapplauses gehört auch die „Handarbeit“ der „Theatermutter“, die sich nicht rührt, wenn der „erste Held und Liebhaber“ noch so glänzend gespielt hat, aber mit wahrer Vehemenz klatscht, wenn die Scene, welche ihre „Tochter“ vor die Koulissen führt, auch nur den geringsten Vorwand zum Applaudiren bietet.

Mit dem Freundschaftsapplause verhält es sich ähnlich. Er gilt entweder einem Autor von weit reichender persönlicher Bekanntschaft oder einer hübschen Schauspielerin, die da weiß, „wie es gemacht wird“, und nicht nur von der Bühne herab zum Publikum in Beziehungen tritt. Bemerkenswerth ist dabei, daß es fast stets nur Schauspielerinnen, selten männliche Akteurs sind, bei denen ein Freundschaftsapplaus zu konstatiren ist.

Himmelweit von diesem gelegentlichen Applause verschieden ist der berufsmäßige, der von der „Klaque“ besorgt wird. Das ist ein Geschäft wie jedes andere und sogar meist ein recht einträgliches. Die Klaque dient am häufigsten den Bühnenkünstlern, weit seltener den Theaterdirektoren und naturgemäß am seltensten den Autoren. Sie ist organisirt, untersteht einem „Chef“, einem Unternehmer, der seine Klaqueure engagirt und Vereinbarungen mit dem Theaterdirektor, den Autoren oder den einzelnen Bühnenmitgliedern trifft. Eine ganze Reihe von Theatern steht in dauernder Verbindung mit einem solchen „Chef“ und zahlt ihm regelmäßige Gage. Das ist z. B. bei den meisten Pariser Theatern, aber auch anderwärts wie z. B. in Wien der Fall. Die Existenz dieser Leute ist den Theaterhabitués wohl bekannt, das große Publikum erfährt von ihr erst, wenn sie beendet ist, denn nach dem Tode des Ehrenmannes kann man seinen Nekrolog in den Zeitungen lesen, dann heißt es z. B.:

„Das Theater an der Wien hat einen schweren Verlust erlitten: Herr Joseph König, der Chef der Klaque dieser Bühne, ist am Mittwoch gestorben. Der Verblichene hat dreißig lange Jahre dem Verbande des Theaters angehört und von demselben auch in den schweren Tagen der Noth seine ‚Hand‘ nicht abgezogen. Für eine Monatsgage von dreißig Gulden lieferte er die sogenannten freundlichen Erfolge, während er sich die Hervorrufe einzelner Mitglieder von diesen separat bezahlen ließ. Er war ein braver Mann und hatte ein Alter von 67 Jahren erreicht. Den Erfolg der jüngsten Millöcker’schen Operette, der nicht Erfolg von seinem Erfolge war, überlebte er nicht lange.“

Sehen wir uns die Thätigkeit der Klaque einmal näher an. Sie beginnt natürlich mit der Regelung der Finanzfrage, indem sich der Chef der Klaque ein paar Tage vor der „Première“ zu dem Autor begiebt oder vor dem Auftreten eines „Gastes mit unterlegtem Kontrakte“ diesem oder dieser seinen Besuch macht. Ist die Firma der Klaque eine „feine“, so vollzieht sich das Geschäft in ganz chevaleresker Form. In Wien z. B. existirt ein Chef der Klaque, der von solcher Noblesse ist, daß er sogar peinlich berührt wird, wenn man in seiner Gegenwart von Geld überhaupt nur spricht. Er pflegt in einem solchen Falle zu sagen: „Mein Fräulein, ich kam nur, um mir das Vergnügen Ihrer persönlichen Bekanntschaft zu verschaffen. Daß Sie sich mit uns in geschäftliche Verbindung setzen, ist ja selbstverständlich, denn es ist hier Usus, aber ich persönlich habe mit Vereinbarungen irgend welcher Art nichts zu thun. Das ist Sache meines Associés, der sich morgen die Ehre geben wird, Sie aufzusuchen.“ In der That erscheint dann am nächsten Tage ein weit weniger nobel aussehendes Individuum, welches das Feilschen und Handeln gründlich versteht und sogar, wenn etwa die Höhe seiner Forderung erschreckt und die „Klientin“ dann lieber ganz auf die Hilfe der Klaque verzichten will, nicht mehr von den Vorzügen des positiven, sondern von den Nachtheilen des negativen Klaquirens spricht, nicht mehr Erfolge in Aussicht stellt, sondern mit – „auszischen lassen“ droht. Das hilft fast immer, und wenn nicht, so haben nur Die den Schaden, welche sich nicht zu einer Einigung mit der Klaque herbeiließen.

Anch in Berlin, wo das Vorhandensein einer Klaque so oft abgeleugnet wird, giebt es eine solche Doppelfirma für Erfolge, die freilich zu den Theatern als solchen keine Beziehungen hat, sondern nur mit den einzelnen Mitgliedern und den Autoren in Geschäftsverbindung steht.

Herr S., der eine Chef derselben, erschien vor nicht gar langer Zeit am Tage vor der Aufführung eines neuen Stückes im königlichen Schauspielhause in der Wohnung des Autors und verlangte nicht nur ein ziemlich hoch beziffertes Honorar, sondern auch eine Anzahl von Freibilletts für „seine Leute“. Als der Dichter den Mann energisch abwies und ihm bemerkte, daß er es vorziehe, seine Erfolge ohne Hilfstruppen aus „Handwerker“kreisen zu erringen, lächelte Herr S. höhnisch und sprach, mit dem Rande seines Cylinderhutes im Takte auf seine Kniescheibe klopfend, die denkwürdigen Worte:

„Probiren Sie es, Herr Doktor; aber nehmen Sie sich auch recht hübsch in Acht, daß Sie nicht durchrasseln!“

Und in der That, der Antor „rasselte durch“, sogar mit „Pauken und Trompeten“. Ohne die negative Thätigkeit der Klaque wäre es vermuthlich zu einem Resultate gekommen, das man „kaum einen Achtungserfolg“ hätte nennen müssen; mit der Klaque hätten die Blätter ein halbes Dutzend Hervorrufe bei sehr freundlichem Gesammterfolge verzeichnen können, gegen die Klaque gab es eine „totale Niederlage“.

Die von der Klaque gegen Pränumerandozahlung verabreichten Erfolge sind natürlich nicht billig. Eingeweihte versichern, daß ein von ihr gelieferter „rauschender Erfolg“ mit 10 bis 12 Hervorrufen nicht unter 300 Mark zu haben ist, ganz abgesehen von den Freibilletts, die zum Theil an die „Leute“ vertheilt, zum Theil aber auch verkauft werden und dann eine ganz hübsche Nebeneinnahme des „Chefs“ bilden. Verhandelt derselbe aber nicht mit Autoren, sondern mit Bühnenkünstlern, so läßt er sich auf die Verabfolgung von Gesammtsuccessen meist nicht ein, sondern verlangt Honorirung von Einzelleistungen laut Tarif. Bei der erwähnten Berliner Firma kostet z. B. ein Applaus bei offener Scene 10 Mark, ein Hervorruf das Doppelte. Dementsprechend ist auch die „Lachsalve“ und die „tief gehende Rührung“ auf dem Preiskourant der Klaque angesetzt.

Sind die Geldangelegenheiten zur Befriedigung des Chefs erledigt, hat der Autor bezahlt und die Freibilletts geliefert oder

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 207. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_207.jpg&oldid=- (Version vom 1.4.2023)