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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


zwei, urtheilen Sie, ob ich mich täusche, wenn ich annehme, daß diese beiden Schriftstücke von ein und derselben Hand geschrieben sind?“

Er hatte ein kleines Tischchen zum Fenster gerückt und legte nun eine Postkarte und einen Zeitungsabschnitt, auf dessen weißem Rand einige Zeilen geschrieben waren, neben einander und reichte Lucie eine Lupe.

Das Mädchen beugte den blonden Kopf darüber. „Ich kann aber nichts dafür, wenn ich die Worte dabei lese,“ sprach sie.

,Darum bitte ich sogar, auch das Gedruckte. Vielleicht erinnern Sie sich, daß ich, im Begriff mit Hortense nach dem Standesamt zu fahren, einen expressen Brief bekam. Diese Zeitungsnotiz war in ihm enthalten. Lesen Sie!“

Es war der Ausschnitt einer französischen Zeitung und enthielt den Bericht eines Skandals in Baden-Baden, dessen Held Herr von Löwen war. Letzterer habe den Grafen S. gefordert, weil derselbe ihn beim falschen Spiel ertappt zu haben behauptete; der Geforderte habe aber die Genugthuung verweigert, da es unter seiner Würde sei, sich mit ihm zu schlagen, und besagter Herr von Löwen sei sodann noch an demselben Tage spurlos verschwunden. Man vermuthe, er treibe sich in Belgien umher; hoffentlich gelinge es der Polizei, seiner habhaft zu werden.

Am Rande standen folgende Worte geschrieben: „Wunderbar, daß ein Mitglied der hochehrenwerthen Familie Weber, die sonst so wählerisch ist, sich mit der Tochter dieses mauvais sujet verheirathet! Schreiber dieses sah die junge Dame, in Begleitung des Herrn Papa, vor einigen Jahren in Baden-Baden herumabenteuern.“

Lucie war roth erglüht. „Abscheulich!“ sprach sie.

„Bitte, vergleichen Sie die Schriftzüge! Die Karte an und für sich ist nicht von Bedeutung, auch nicht an mich gerichtet, sondern an einen mir befreundeten Herrn, der sie gelegentlich von dem mir längst Verdächtigen erhalten hat und mir borgte, behufs Feststellung der Thatsache.“

„Es ist kein Zweifel,“ rief das Mädchen, „dieselben Formen, dieselben Uebergänge und breit aus einander gezogenen Buchstaben.“

„Das meine ich auch, ich danke Ihnen, Fräulein Lucie.“

„Wer ist der Schreiber?“ fragte sie unwillkürlich.

Einer, der vor zwei Jahren einen Korb von meiner Schwester davontrug, eine erbärmliche Rache! Er lebt in unserer nächsten Nähe, das heißt, er war seit einem halben Jahre im Auslande und ist erst vor einigen Tagen zurückgekehrt. Und nun soll –“

„Was wollen Sie thun?“ unterbrach sie.

„Ihn züchtigen!“

„Wie aber?“

„Das ‚Wie?‘ ist meine Sache, Lucie! Bitte dringend, daß Hortense vor der Hand nichts davon erfährt.“

Das Mädchen war bleich geworden. „O, immer dieser Vater!“ stammelte sie.

„Lassen Sie den unglücklichen Mann. Er liegt schwer erkrankt in einem belgischen Hospital.“

„Sie wissen?“

„Ich weiß Alles, ich kenne seine Vergangenheit, besser vielleicht, als selbst die Tochter, und nicht erst seit der letzten Zeit.“

„Ahnt das Hortense?“

Er faltete die Zettel zusammen und legte sie in seine Brieftasche. „Hortense? Sie hat den Namen ihres Vaters nie erwähnt mir gegenüber, und ich verlange nicht, daß die Tochter seine Anklägerin werde.“

„Wie schwer hat sie gelitten um seinetwillen! Ich bitte Sie, beurtheilen Sie aus diesem Grunde Manches milder bei ihr,“ sagte Lucie. Sie wußte selbst nicht, wie ihr diese Entschuldigung auf die Lippen kam. Verlegen senkte sie den Kopf.

„Ich habe kein Recht über sie zu klagen, Lucie,“ sprach er. „Hortense hat nie geheuchelt, daß sie mich liebe, ich kann weiter nichts thun als warten, warten in Geduld, ob nicht doch einmal ihr Herz sich wendet.“

Er hatte die letzten Worte leise gesprochen; nun schwiegen sie Beide.

„Seien Sie mein guter Anwalt,“ sagte er endlich, sich zusammennehmend; „Hortense liebt Sie – und, Fräulein Lucie: Diskretion!“

Er schüttelte ihr die Hand. Niedergeschlagen kam Lucie zurück und traf die alte Frau noch mit Hortense plaudernd.

„Ja, so war’s, gnädige Frau,“ sprach sie, ohne sich stören zu lassen, „halbtodt und erstarrt brachten sie ihn. Seine Frau Mutter und die jüngste Schwester, die damals noch nicht verheirathet war, kamen gleich zur Pflege her. Ich erzähle eben, Fräulein“ wandte sie sich an Lucie, „wie unser Herr einen Mann aus dem Fluß gezogen beim Eisgang. Er ertrank beinah, aber nachher hat der Kaiser ihm die Rettungsmedaille geschickt, das ist der schönste Orden, sagte meine Gräfin immer, den kriegt nur der, der sein Leben gewagt für einen Anderen. Doch was sprach ich denn – ja richtig, das wollte ich nur sagen: es war ein lustiges Leben, als der Herr wieder gesund wurde. Die Damen blieben noch ein paar Wochen hier, drüben im Saal haben sie getanzt und drunten im Garten beim Mondenschein. Jetzt ist’s auch gar zu trübselig, alle meine schönen Konserven in der Speisekammer und dem Herrn seine feinen Weine liegen umsonst da. So war’s noch nie auf Woltersdorf, selbst nicht, als der Herr ganz allein wirthschaftete.“

Die junge Frau drehte eine Rose zwischen den Fingern, auf ihrem Gesicht lag eine zarte Röthe. Sie sah Lucie an, als frage sie: „Was wollte er von Dir?“

„Dein Mann – er will –“

Sie stockte und schwieg, es fiel ihr nichts ein.

„Was geht das mich an!“ unterbrach sie Hortense kurz und erhob sich. „Auf Wiedersehen bei Tische!“ Damit verließ sie das Zimmer.

Lucie blieb traurig zurück. Wollte es denn niemals Tag werden zwischen den beiden Menschen? Nein, Hortense liebte ihn nicht, würde ihn nie lieben. Er hoffte umsonst. Aber sie wollte noch einmal mit ihr sprechen, wollte ihr sagen, daß sie Unrecht thue gegen ein Herz, das ihr so treu ergeben. Ja, sie wollte sein Anwalt sein und der ihre, sie mußten glücklich werden, diese Zwei.




Am Tage darauf, es war an einem Sonntag, ging Lucie in die Kirche. Als sie die Allee durchschritt, gesellte sich Weber zu ihr, der aus dem Gewächshause kam. Er erkundigte sich nach Hortense, das Mädchen hatte sie noch nicht gesehen.

„Steht sie nicht dort am Fenster?“ fragte er, sich nach dem Hause umschauend. Auch Lucie wandte sich, aber sie erblickte nichts als die Vorhänge. Ruhig plaudernd gingen sie weiter. Am Ausgange des Parkes blieb er stehen; er wollte zurück, um Hortense beim Frühstück Gesellschaft zu leisten. „Beten Sie für uns mit,“ sagte er scherzend, aber seine Miene war bekümmert.

„Ja, von Herzen!“ erwiederte sie warm.

Er wandte sich rasch und schritt auf Umwegen zurück. Als er im Hause nach Hortense fragte, erhielt er den Bescheid, die gnädige Frau sei vor wenigen Minuten ausgeritten. Er zuckte die Schultern und sah in den Regen hinaus. Lucie kehrte nach ein paar Stunden aus der Kirche zurück, die Essenszeit rückte heran. Hortense war immer noch nicht da. Endlich ritt sie auf den Hof, Lucie kam ihr ängstlich auf der Treppe entgegen.

„Mein Gott, Hortense, in diesem Wetter!“

Die junge Frau lachte, aber sie schüttelte sich dabei vor Frost. „Ich werde gleich zu Tische kommen, bitte, wartet nicht auf mich.“

„Ich will Dir doch helfen.“

„Ich danke,“ klang es zurück. Sie zog eine lange nasse Spur auf dem blauen Teppich und verschwand hinter einer Thür.

Lucie harrte allein im Eßzimmer; Weber schritt in der Nebenstube auf und ab, dann ließen sich Stimmen dort innen vernehmen: „Wie konntest Du bei diesem Wetter ausreiten, Hortense!“

„Es machte mir Vergnügen.“

„Ein schönes Vergnügen!“ sagte er, „Du wirst krank werden.“

„Sei nicht böse!“ klang es wider Erwarten sanft.

„Ich bin nicht böse, nur besorgt.“

„Ich danke Dir, aber komm zu Tische,“ bat sie und öffnete die Thür des Speisezimmers. Sie hatte auch jetzt noch ein Lächeln um den Mund. „Können wir essen?“ fragte sie Lucie.

„Gewiß, wir haben ja nur auf Dich gewartet.“

„Ich habe einen Brief von Mademoiselle,“ sagte Hortense ganz beiläufig; „Großpapa ist vor einigen Tagen wieder ohnmächtig geworden.“

Man sprach bedauerlich darüber. Weber äußerte, er wolle an Adler schreiben deßhalb.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 202. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_202.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)