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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Auch das wurde nicht fertig gesungen. „Erlaubt, daß ich nur spiele,“ sagte sie, und ein altes Menuett erklang, so leise und zierlich, wie von einer Spieluhr aus alter Zeit.

Lucie träumte in den Garten hinaus. Der Spingbrunnen rauschte und die Mondstrahlen lagen auf den Rasenflächen, auf denen man einst vielleicht nach jenen Klängen getanzt hatte. Vor ihren Augen schimmerte es wie bauschende Gewänder und flatternde Schleifen, es schwebte und drehte und verbeugte sich.

„Hör’ auf Hortense,“ rief sie neckend, „Du beschwörst Geister! Ich denke, die ganze lustige Gesellschaft von dazumal muß wieder lebendig werden bei diesen Klängen. Wie schade, daß Du nicht singst!“

„Ich kann nicht,“ sagte sie, „mir sind alle die sentimentalen Liebeslieder so unsympathisch,“ und sie schloß geräuschlos den Flügel und kam zu Lucie herüber. „Verzeihe, Luz!“

„O, ich! Aber Dein Mann hätte Dich gewiß gern gehört?“

„Ein andermal! Ein andermal!“ erwiederte sie ungeduldig; „es singt sich so schlecht auf Kommando, man muß aufgelegt sein.“

Aus dem äußersten Winkel des Saales kamen jetzt Schritte und entfernten sich durch eine der Thüren.

„Du hast ihn verletzt!“ sprach Lucie.

„O, Gott bewahre!“ erwiederte Hortense. „Er sieht nach, ob etwa drüben die Knechte mit Licht auf den Heuboden steigen oder so etwas Aehnliches, obgleich dazu der Inspektor vorhanden ist. Nur keine unnöthigen Formalitäten und Rücksichtnahmen bei der Aussicht, sein ganzes Leben mit einander verbringen zu müssen. Du weißt ja, Luz, heucheln kann ich nicht. Ich möchte Dich aber nicht mehr ermüden, Schatz; willst Du schlafen?“

„Ja,“ sagte das Mädchen, „ich bin müde.“

„Komm, ich bringe Dich hinüber.“ – Sie blieb dann noch eine Weile bei ihr sitzen, während Lucie sich vor dem Spiegel die Haare aufflocht.“

„Kannst Du Dir vorstellen, Luz,“ sagte sie endlich, „daß er die begehrteste Partie war in der ganzen Umgegend?“

„Dein Mann? O ja, das glaube ich,“ klang es überzeugungsvoll.

„O, ich meine nicht seines Besitzes wegen! Es soll Frauen geben, die sogar etwas wie Leidenschaft für ihn empfunden haben.“ Sie schüttelte den Kopf, als wollte sie es verneinen, und sah Lucie dabei fragend an.

„Er ist ein stattlicher, ritterlicher Mann – warum nicht, Hortense?“

„Du glaubst es?“ Sie schwieg ein Weilchen und wickelte ein blaues Band um ihre Finger, an Lucie vorüberblickend. „Gute Nacht, Luz, schlafe schön!“ Sie küßte das Mädchen auf den Mund und ging hinaus.

Lucie stand noch am Fenster und sah auf den Wasserstrahl der Fontäne, der Silberfunken im Mondlicht warf. – Gott sei Dank, sie war nicht ganz unnütz, sie würde Arbeit haben; Arbeit – das Einzige, was sie hinwegtragen konnte über Leid und Sehnsucht, das Einzige, was ihr das Hiersein weniger drückend machte; das Einzige, womit sie Hortense Dankbarkeit erweisen konnte für die Zuflucht, die sie ihr bot. Nichts würde ihr zu schwer, zu viel werden für sie, nichts! Wenn sie nur auch helfen könnte, daß Hortense glücklich würde – es sah nicht aus danach, trotz alles Glanzes und Schimmers.

Lucie hielt Wort. Früh stand sie auf und ging in die Wirthschaftsräume hinunter, und wenn Hortense an den Frühstückstisch trat, so sah sie ein freundliches Gesicht und fand einen frischen Blumenstrauß neben ihrem Teller. Keine Frage über wirthschaftliche Gegenstände kam zu den Ohren der jungen Frau; es ging Alles wie am Schnürchen; die Dienerschaft war musterhaft unter Luciens Aufsicht, ein richtiger Musterhaushalt. – Frau Rein wurde krank, Hortense erfuhr es erst, als Weber besorgt das Mädchen fragte, ob ihr die Arbeit nicht zu viel werde? Sie schüttelte lächelnd den Kopf.

„Niemals!“ sagte sie, und ihre Augen suchten Hortense, „ich fühle mich befriedigter, als seit langer Zeit. Ich bin an Arbeit gewöhnt.“

Sie hatte auch stets Zeit für die junge Frau. Sie ging im Park mit ihr spazieren, sie las ihr vor und machte Besorgungen in der Stadt mit ihr und für sie, sie half gewissenhaft Hortense das Leben ertragen und das war nicht leicht, es gehörte Geduld dazu. Die junge Frau war nie launenhafter gewesen als jetzt: bald still, bald von einer ungewohnten Heiterkeit. Mitunter spielte sie halbe Tage lang Klavier, an anderen rührte sie keine Taste an, auch auf das Bitten des Gatten nicht. Sie schlief einmal bis in den Mittag hinein, und das andere Mal erschreckte sie Lucie in aller Morgenfrühe, die eben aus dem Garten kam mit frisch geschnittenen Blumen für Hortense’s Boudoir. Sie ritt stundenlang allein spazieren, ohne Lucie oder ihren Mann zu benachrichtigen, und lag dann müde und abgespannt auf ihrem Sofa.

Herr Weber ließ sie gewähren. Er fand sich anscheinend mit Ruhe in diese wechselvollen Stimmungen, kein Widerspruch, keine Kaprice brachte ihn außer Fassung, gleichmäßig artig und freundlich verkehrte er mit ihr. Aber er bat sie nun nicht mehr, mit ihm auszufahren; sie hatte es öfters abgelehnt, er erzählte ihr schon nach einigen Tagen nie mehr von den Geschehnissen in Haus und Hof, er hatte keine andere Antwort darauf erhalteu als ein: „So?“ oder „Ach!“ Es blieb ihm nichts übrig, als in Hortense’s Abwesenheit das Wirthschaftliche mit Lucie zu besprechen.

Und das Haus lag da wie vergessen, kein Wagen bog mehr durch das weit geöffnete schmiedeeiserne Thor, dessen vergoldete Spitzen auf dem dunkelgrünen Hintergrund der Bäume blitzten, kein fremder Blick bewunderte das Empfangszimmer mit seiner blauseidenen koketten Einrichtung. Es waren wunderliche Wochen, die mit der Augusthitze über Woltersdorf dahinzogen, gewitterhaft schwül wie in der Natur war die Stimmung der Menschen, aber ein Sturm, der da draußen die Wolken zertheilt, der neue frische Luft von den Bergen herabweht, blieb für die Gemüther aus. Ein Tag schlich wie der andere hin, die „gute Laune“, die einst hier ihr Scepter geschwungen, schien sich mit in das Gewölbe am Ende des Parkes geflüchtet zu haben, das über dem Grabe des lustigen Grafen „Papillon“ erbaut war. In lateinischer Sprache stand über der Pforte zu lesen: „Omnes una manet nox!“ – „Auf Alle harret ein und dieselbe Nacht.“

Ja, dieselbe Nacht! Aber wie war der Tag?

Hortense saß anfänglich stundenlang in Luciens Zimmer; es war da so traut und gemüthlich. Das Mädchen hatte sich ein Plätzchen zum Nähen eingerichtet, auf dem Tische lagen stets einige Bände, die sie just las, daneben das Wirthschaftsbuch und eine Schiefertafel zur Berechnung. In den Vasen des Kamins dufteten frische Rosen, die Silhouette der verstorbenen Mutter und eine kleine verblichene Photographie Mathildens hingen über dem Bette, verdeckt von den rosageblümten Vorhängen wie ein heiliges Geheimniß. Dort war Hortense ruhig und beobachtete, wie das Mädchen rechnete oder nähte.

„Warum bist Du so still?“ fragte diese oft, und Hortense hatte irgend eine nichtssagende Antwort. Mit feinem Taktgefühl schwieg Lucie, sie suchte nur so viel wie möglich die junge Frau zu erheitern.

„Du solltest doch Verkehr suchen, Hortense,“ sagte sie eines Tages, „Du brauchst Zerstreuung, und ebenso Dein Mann.“

„Ich bin ja bereit, nach Ostende zu gehen mit ihm – er will nicht.“

„Er war so lange von der Heimath entfernt, Hortense.“

„Du hast doch für Alles, was er thut, eine Entschuldigung, Luz; schade, Du würdest viel besser für –“ Sie schwieg und biß sich auf die Lippen.

Das Mädchen hob die Wimper und sah sie verwundert an. „Ich verstehe Dich nicht!“ sagte sie. „Bitte, sprich deutlicher, Hortense.“

Die junge Frau umarmte die Freundin und küßte sie. „Vergieb mir, Luz, ich bin halb verdreht.“

„Und warum bist Du böse auf ihn?“

„Ich bin es ja gar nicht,“ stotterte Hortense.

„Fräulein!“ rief Frau Rein, die eben wieder ihre Pflichten, soweit es die Kräfte gestatteten, übernommen hatte, und schob sich durch die Thür, „der Herr möchte Sie einen Augenblick sprechen; er wartet im Saal.“

„Verzeih, Hortense, es ist wahrscheinlich wegen –“

Die junge Frau winkte mit der Hand. „Es ist ja gleichgültig, weßwegen. Ich werde Dich hier erwarten.“

Lucie ging; sie fand ihn am Fenster, lesend. Als sie eintrat, wandte er sich um.

„Verstehen Sie sich auf Handschriften?“ fragte er. „Bitte,

haben Sie die Güte, Fräulein Lucie, vier Augen sehen mehr als

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