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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

No. 13.   1887.
      Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig oder jährlich in 14 Heften à 50 Pf. oder 28 Halbheften à 25 Pf.



Herzenskrisen.

Roman von W. Heimburg.
(Fortsetzung.)

Mademoiselle in ihrem rauschenden Seidenkleide trippelte neben Alfred her, das Herz voll Zorn über diese spießbürgerlichen Ansichten. Er ging langsam, den Hut in der Hand, als sei es ihm zu heiß, ohne zu sprechen, nur hier und da einen „Guten Abend!“ erwiedernd, der ihm von einer Bank vor den Hausthüren her zugerufen wurde. Als sie an dem Eckhause der Wasserstraße vorüber kamen, an der Apotheke zum „Goldenen Elefanten“, trat eine große lichte Gestalt heraus auf die Straße, und in dem hellen Schein, der durch die Fenster strahlte, erkannte Adler den Besuch seiner Mutter, Fräulein Selma. Sie stand, ohne ihn zu bemerken, und sah glücklich lächelnd durch die Scheiben zurück, hinter denen ein zierlicher junger Herr mit schwarzem Schnurrbärtchen beschäftigt war, eine Flasche Medicin zu pfropfen und mit buntem Papier zu verbinden. Dann ging sie eilig in der Richtung seines Hauses fort.

„Gute Nacht – mille remerciments, Doktor!“ sagte Mademoiselle vor der Pforte des Meerfeldt’schen Grundstückes. „Vergessen Sie uns Einsame nicht!“

„Schlafen Sie wohl, Mademoiselle; ich werde meine Pflicht als Hausarzt gewissenhaft erfüllen.“

Als er zurückkam, schritt er mit einem ruhigen „Guten Abend!“ an der Laube vorbei, aus der jetzt Fräulein Selma’s helles Kleid leuchtete.

„Alfred!“ rief die Mutter.

„Ich bitte um meine Lampe,“ scholl es aus der Hausthür zurück, „ich habe zu arbeiten.“

Dettchen brachte eilig das Verlangte, ließ die Vorhänge herab und entfernte sich, auf den Fußspitzen gehend. Er saß dann an seinem Schreibtisch vor einem angefangenen Berichte über die Beschaffenheit des Trinkwassers hiesiger Stadt, den Bau einer Wasserleitung betreffend; aber er hielt die Feder in der Hand, ohne sie einzutauchen.

Sie ging nicht zurück zu den mutterlosen Kindern, sie hatte nicht einmal die Absicht dazu gehabt! Sie folgte Hortense als Gesellschafterin, als Freundin in das vornehme Leben des reichen Hauses.

Wie würde es gehen zu Woltersdorf? – Da war sie schon wieder, die Sorge um sie! – Was ging sie ihn noch an? Und hastig tauchte er die Feder in das große Porcellantintenfaß und schrieb:

„In dem Wasser des Rathhausbrunnens zum Beispiel entdeckte ich bei der gestrigen Untersuchung eine erhebliche Menge salpetriger Säure –“

Es war zwei Uhr Morgens, als er einen Strich darunter machte, um sich zur Ruhe zu begeben.




Acht Tage waren vergangen, da hielt Lucie einen Brief in der Hand, auf den Hortense mit ihren riesigen Buchstaben die Adresse geschrieben.

Hermine Spies.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 197. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_197.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2024)