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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


Der französische General Savary, damals Gouverneur von Ostpreußen, gab mit grausamer Rohheit der Königin zu verstehen, sie solle ihre Schmucksachen verkaufen.

„Ach,“ erwiederte sie, „ich habe es längst gethan; nur eine Schnur Perlen besitze ich noch. Die bedeuten Thränen, die ich jetzt so häufig vergieße, darum passen Perlen für mich.“

Bei einem Feste, auf dem sie erscheinen mußte, trug sie einen Kranz von Kornblumen und sah „engelschön“ darin aus, wie in den Memoiren der Gräfin Voß zu lesen ist.

An dieses erste Jahrzehnt seines Lebens erinnert sich Kaiser Wilhelm noch immer mit Wehmuth: das verklärte Bild der Mutter schwebt ihm im Schmuck der blauen Blumen vor Augen.

Zwei Jahrzehnte später, auch in der schönen Sommerzeit, wo die Rosen und die Linden blühen und das reifende Korn sich mit blauen Blumen schmückt, machte Prinz Wilhelm eine Reise, über welcher ein Glücksstern aufgegangen war: er holte sich die siebzehnjährige holde Braut aus Weimar. Die Trauung sollte am 11. Juni 1829 in der Schloßkapelle zu Berlin vollzogen werden. Nach althergebrachter Sitte mußte die Prinzessin Augusta im Schlosse von Bellevue unweit Berlin absteigen und von dort aus in feierlichem Aufzuge sich zur großen Kapelle des Berliner Schlosses begeben.

Die Fahrt von Weimar nach Berlin dauerte volle drei Tage!

Daß der hohe Verlobte dieselbe mitmachte, war nicht von der Etikette diktirt, sondern von seinem Herzen. Wie der ritterliche Feramors in der schönen Dichtung „Lalla Rookh“ von Thomas Moore, wollte er das Märchenglück einer Brautfahrt genießen. Er fuhr in einem offenen Galawagen, mit vier prächtigen Rappen in Silberbeschlägen bespannt, unter dem Jubelruf der dichtgedrängten Menge aus dem Schloßhofe von Weimar eine Stunde früher als die Braut fort.

Augenzeugen schilderten seine Persönlichkeit mit Bewunderung und proklamirten ihn als den schönsten Mann seiner Zeit: er war hochgewachsen, kräftig gebaut; seine edlen jugendfrischen Gesichtszüge hatten neben dem Ausdruck würdevoller Festigkeit eine herzgewinnende Leutseligkeit. Goethe schrieb über ihn: „Man kann ihn nicht sehen, ohne ihm von Herzen ergeben zu sein und ihn aufrichtig hochzuachten; er ist ein ernster und männlicher Charakter.“

Wie schön die Prinzessin-Braut war, kann man sich denken, wenn man erfährt, daß sie ihrer erlauchten Mutter glich, welche dieselbe weltberühmte Schönheit besaß wie ihre Brüder, die Kaiser Alexander I. und Nikolaus I.; auch über Prinzessin Angusta hat Goethe das maßgebende Urtheil gefällt, daß sie schon in frühester Jugend einer ernsten Geistesrichtung ergeben war. Als sie in den bräutlichen Triumphwagen stieg, der mit Blumenketten geschmückt und mit sechs weißen, hermelinartig schwarzgefleckten Pferden bespannt war, schwebte ein Lächeln des Glücks auf ihrem rosigen Antlitz; aber Thränen der Rührung glänzten in ihren schönen Augen, die dem herzlichen Abschied galten, welchen die weißgekleideten Jungfrauen von Weimar von ihr nahmen, indem sie die Prinzessin mit Kränzen, Gedichten und Geschenken überhäuften. Sie selbst und ihre Hofdamen hatten kaum Platz in dem blumengefüllten Wagen.

In dem Städtchen Eckartsberga wurde die Prinzessin von den Abgesandten des Königs von Preußen empfangen, um nach altem Brauch als „Landeseigenthum“ feierlich begrüßt zu werden. Bei dieser Ceremonie wie bei all den zahlreichen anderen Ovationen war der vorausgeeilte Bräutigam zugegen, um dieselben durch seinen Zuspruch erleichternd für die junge Prinzessin zu gestalten.

Hier spielte sich eine idyllische Scene ab: die Ehrenpforten von Eckartsberga waren reich geschmückt mit den schönsten Kornblumen, woran sich der Prinz sichtlich erfreute. Er ließ sich zwei Sträußchen davon geben, überreichte einen der Geliebten und steckte den andern sich selbst an. Nun wußte sie, daß er die blaue Blume ganz besonders liebte, und vergaß es nie, sie auf allen Geschenken für ihn anzubringen; sowohl gestickt wie gemalt, hat sie dieselbe unzählige Male dargestellt; gleichsam als Sinnbild des Familienglücks schien die bescheidene Feldblume verehrt zu werden.

Die Ehe des jungen Prinzenpaars gestaltete sich schattenlos; doch fehlte längere Zeit der erwünschte Kindersegen; erst nach zwei Jahren wurde der glorreiche Thronfolger geboren, nämlich am 18. Oktober 1831; daß er an diesem denkwürdigen Tage das Licht der Welt erblickte, hielten alle wahrhaften Patrioten mit Recht für eine gute Vorbedeutung. Auch daß er von allen Enkeln am meisten der Königin Luise ähnlich sieht, ja eigentlich allein der Universalerbe ihrer Schönheit geworden ist, machte ihn zum Liebling des deutschen Volkes. Es schien fast, als sollte er das einzige Kind seiner hohen Eltern bleiben; erst nach sieben Jahren wurde ihnen die Tochter geboren, welche mit idealer Pietät das Leben des Vaters verschönt und behütet.

Am 22. März wird sich das Kaiserauge an der Fülle der Kornblumen erfreuen, die zur neunzigsten Geburtstagsfeier dargebracht werden. Wie alljährlich prangen die Gemächer des Kaisers im reichsten Schmuck von exotischen Gewächsen, aber die einheimische schlichte Kornblume nimmt doch überall den höchsten Rang ein. Sinnend steht Kaiser Wilhelm oft an dem historischen Eckfenster seines bescheidenen Wohnhauses, auf welches der Titel „Palais“ kaum anwendbar ist, und fällt sein Blick auf das Standbild des großen Königs, so denkt er wohl an die merkwürdige Vorbedeutung, daß gerade an dieser Stelle das Denkmal des Herrschers errichtet wurde, der den Hohenzollern den Weg zum Ruhme zeigte, aber in seinen kühnsten Hoffnungen nicht ahnen konnte, bis zu welcher Höhe sie emporsteigen würden.

Kaiser Wilhelm’s feste und doch so milde Hand legte den Grundstein zu Deutschlands welthistorischer Größe.

Das Arbeitszimmer des Kaisers, an dessen Fenstern ihn stets so viele tausend Augen suchen, ist sein Lieblingsaufenthalt und trägt das Gepräge seiner Eigenthümlichkeit. Er hat dort alle theuern Erinnerungen um sich gesammelt, ganz besonders aber die Reliquien des Andenkens seiner Mutter. Neben dem Schreibtisch auf einer Platte von schwarzem Marmor erinnern gemalte Kornblumen an sie, und ein kleiner Schrein birgt ihre schöne Todtenmaske. Nur sehr selten ist es möglich, sie zu betrachten, aber niemals wird das Auge sie vergessen, welches sie auch nur einmal sah!




Aus Kaiser Wilhelm’s Privatleben.

Das tägliche Leben des Kaisers Wilhelm ist, soweit es sich auf den engeren Familienkreis bezieht, ein durchaus einfaches, fast bürgerliches. Der Verkehr mit seiner Gemahlin, mit der kronprinzlichen Familie, mit der Familie des Prinzen Wilhelm ist ein überaus herzlicher, und wenn dem hohen Herrn die kleinen Urenkel gebracht werden, zeigt er sich als der zärtlichste Urgroßvater.

Nicht minder innig sind die Beziehungen zu der großherzoglich badischen Familie. Mit welch rührender Liebe die Frau Großherzogin von Baden an ihrem kaiserlichen Vater hängt, wie die hohe Frau um sein Wohl besorgt ist und stets nach Berlin kommt, um in seiner nächsten Nähe zu weilen, sobald die Kaiserin im Frühjahr die Bäder aufsuchen muß: das ist eine altbekannte Thatsache.

Aber auch von Seiten des Kaisers wird die kindliche Anhänglichkeit der großherzoglichen Tochter durch eine bei jeder Gelegenheit sich kundgebende Liebe erwiedert, und der hohe Herr versäumt nie nach seiner Emser Kur den alljährlichen Besuch bei den badischen Herrschaften auf der Insel Mainau.

Eben so wie das hochbetagte kaiserliche Paar mit Beginn eines neuen Tages sich von dem gegenseitigen Befinden Kenntniß verschafft und der hohe Herr der Kaiserin oft schon im Laufe des Vormittags in deren oberen Gemächern einen Besuch abstattet oder dieses ihrerseits geschieht (die Parterre-Räume des Kaisers sind mit den Zimmern der Kaiserin durch einen Aufzug verbunden), so sieht man auch den deutschen Kronprinzen sich meist zu Fuß schon in den Frühstunden ins kaiserliche Palais zu seinen Eltern begeben. Auch Prinz Wilhelm kommt oft von Potsdam ins Palais.

Wenn einmal der greise Monarch ans Zimmer oder wohl gar ans Bett gefesselt ist und die Kunde mit Blitzesschnelle sich durch die Stadt verbreitet hat, so daß im Laufe des Tages Tausende von Theilnehmenden aus dem Publikum das Palais umlagern: dann zeigen sich im Inneren desselben so recht die herzlichen Beziehungen der Familie unter einander. Dem greisen Monarchen werden von allen Mitgliedern so viele Beweise inniger und sorgender Theilnahme entgegengebracht, daß derselbe oft selbst die beruhigendsten Versicherungen zu geben sich veranlaßt sieht. Und dieselbe Besorgniß zeigt auch der Kaiser, sobald in der Familie ein Erkrankungsfall gemeldet wird.

Die Umgangsformen in der kaiserlichen Familie sind durchaus zwanglos und des Kaisers Leutseligkeit und herzgewinnende Freundlichkeit ermuntert nicht selten die jüngeren Familienmitglieder in seiner Nähe zu heiteren Scherzen und Späßen, die ihm sichtliche Freude bereiten. Die Umgangssprache in der kaiserlichen Familie ist deutsch, die Hofsprache dagegen, das heißt bei größeren Festlichkeiten, wo das Ceremoniell beobachtet wird, französisch. Im vertraulichen Verkehr bedienen sich die Majestäten ihrer Vornamen „Wilhelm“ und „Augusta“, eben so wie auch die kronprinzliche Familie und die des Prinzen Wilhelm in der zwanglosesten Weise bei ihren Vornamen genannt werden. Das vertrauliche „Du“ wird gegenseitig gewechselt. Seit dem Feldzuge von 1870 und 1871 und den eigenhändigen Siegesdepeschen des Kaisers an seine Gemahlin ist es kein Geheimniß, daß der deutsche Kronprinz von seinen Eltern „Fritz“ genannt wird. Weniger bekannt mag sein, daß die Frau Kronprinzessin den Namen „Viki“ (Abkürzung von Viktoria) führt.

Wie groß die Herzensgüte des Monarchen, wie menschenfreundlich und rücksichtsvoll er überall zu handeln bedacht ist, selbst gegen seine Dienerschaft: das kann nicht genug von den Betheiligten gerühmt werden. Es giebt altgediente Leute in der unmittelbaren Umgebung des Kaisers, die während ihrer ganzen langen Dienstzeit nicht ein hartes, tadelndes Wort von dem hohen Herrn gehört haben. Stets legt derselbe Milde und Güte, Nachsicht und Anerkennung an den Tag. Es sind oft Fälle vorgekommen, wo Bedienstete recht erhebliche Versehen begangen hatten und auf Entlassung gefaßt waren. Statt dessen hörten sie aus dem Munde ihres Gebieters nur die Worte: „Ich wünsche, daß Dergleichen nicht wieder vorkommt!“ Damit war die Sache erledigt. Und es kam gewiß nicht wieder vor.

Wenn zur Tafel keine Einladungen ergangen sind und die Majestäten allein speisen, so geschieht dies um 5 Uhr im sogenannten Vortragszimmer neben dem Arbeitszimmer des Kaisers. (Früher wurde in den oberen Räumen der Kaiserin servirt.) Das Diner besteht meist aus fünf Gängen und ist nur für die Majestäten allein servirt, die sich in vertraulicher Unterhaltung gegenüber sitzen. Austern, die der Kaiser sehr liebt, fehlen in der Saison nie auf der Tafel; ebenso Geflügel, und namentlich Kapaunen lieht der Kaiser vorzugsweise. Wein trinken die Majestäten wenig. Nur etwas Champagner oder Rothwein, letzterer mit Wasser vermischt, wird beliebt.

Noch immer ist der Gang des greisen Herrschers fest und sicher, die Gestalt aufgerichtet, sobald er sich im Gespräch befindet. Eines Stockes bedient sich derselbe in den Gemächern niemals. Beim Lesen und Schreiben setzt der Kaiser meist eine Brille auf, doch nicht immer; die Theaterzettel liest er ohne Brille.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 194. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_194.jpg&oldid=- (Version vom 25.3.2023)