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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Ein verhängnißvolles Blatt.

Erzählung aus den bayrischen Bergen von Anton Freiherrn v. Perfall.
(Schluß.)


6.

Am andern Tage hatte Anna eine Unterredung mit David, der durch diese unverhoffte Entwicklung zahmer geworden war. Sie bot ihm eine große Summe, die sie wohl selbst ruinirt hätte, für Auslieferung der Schrift. Doch dazu ließ sich David nicht bestimmen, er befand sich zu wohl in seinem Machtgefühl über zwei Menschen, als daß er auf dasselbe verzichtet hätte. Anna mußte sich dazu bequemen, ihn im Hause zu behalten. Arbeiten sollte er nur so viel als nöthig war, um nicht die Aufmerksamkeit der Leute noch mehr zu erregen, die überhaupt schon über die Geduld des Langbauern, einem solchen Knecht gegenüber, den Kopf schüttelten.

Zum Glück war an dem verhängnißvollen Abend Niemand vom übrigen Gesinde im Hause, und als den andern Tag der Tod der Alten bekannt wurde, fiel es Niemand auf. Sie war ja in hohen Jahren und schon lange leidend.

Das ganze Dorf ging zu dem Begräbniß; sie hatte fast alle als Kinder schon gekannt, die jetzt hinter ihrer Bahre gingen.

Aeußerlich blieb Alles beim Alten im Langbauernhof. Man hätte glauben können, der tiefste Friede herrsche hinter diesen Mauern. Das leidende Gesicht, die verweinten Augen Anna’s erklärte man durch ihren Schmerz über den Tod der Mutter, die sie so lieb gehabt hatte; übrigens sah man die Beiden außer beim Sonntagsgottesdienst nie. Sie galten überall als fleißige ruhige Leute, die nichts kannten, als die Arbeit.

Kaiser Wilhelm im 90. Lebensjahre 1887.
Originalaufnahme von M. Ziesler.

Anna blieb oft die ganze Woche auf der Alm, wo jetzt eine Sennerin eingestellt war. Dort fühlte sie sich noch am erträglichsten; dort sah sie wenigstens David nicht, der jetzt wieder der Herr im Hofe war. Dieses Verhältniß fraß der stolzen Bäuerin am Leben; jeder Versuch, die Last abzuschütteln, war vergebens gewesen: sie mußten sie wohl tragen bis an ihr Lebensende. Dazu kam die unaufhörliche Angst, all das könne doch vergebens sein, David könne doch plaudern! Sie war jetzt mit hereingezogen in diesen verbrecherischen Kreis, und wenn ein Gendarm sich dem Hof näherte, zitterten sie alle Beide, er möge zu ihnen eintreten.

Mathias ging umher wie ein Gespenst; der letzte Halt in seinem Leben, die Liebe Anna’s war ihm genommen. Nun stand er allein da mit der heimlichen, brennenden Qual in der Brust – das höhlte seine Wangen, beugte ihm den Kopf und hier und da zogen sich schon weiße Fäden durch seinen Bart. Es war ein unerträgliches Leben! Rupert war jetzt schon fürchterlich gerächt.

David allein gedieh in dieser Zeit; er wurde ordentlich rund bei der guten, kräftigen Kost, dem müßigen Leben; er arbeitete immer weniger, und die Bäuerin hielt ihn auch gar nicht mehr dazu an, sie war froh, wenn er nicht da war. Seines Schweigens konnte sie unter diesen Umständen sicher sein, keine verdächtige Aeußerung kam je über seine Lippen, mehr verlangte sie nicht von ihm. Allmählich wiegte man sich in eine gewisse Sicherheit, vielleicht konnte sich das Verhältniß mit der Zeit, die ja Alles vergessen macht, doch wieder bessern – dachte Mathias nicht mit Unrecht. Ein Weib kann nicht lange hassen, wo es geliebt wird, und Sünden, selbst Verbrechen aus Liebe werden gerne vergeben! So stahl sich doch noch immer ein Hoffnungsstrahl in seine Nacht, und so lang der noch leuchtet, wenn auch noch so spärlich, so lang ist man nicht ganz unglücklich.

Inzwischen fand David das müßige, gute Leben, welches er führte, langweilig. Als der Oktober kam, war er oft Tage lang aus; Niemand wußte wo. Das beunruhigte Mathias; er ahnte, wohin David ging. Die alte Leidenschaft war wieder erwacht, und als er in David’s Abwesenheit einmal in dessen Stube kam, sah er eine Drahtschlinge unter dem Bett hervorblitzen. Jetzt wußte er, daß seine Vermuthung richtig war. Aber wie! Wenn David erwischt wurde – er trug ja das Büchel immer bei sich – dann war er selbst doch verloren!

Als Jener einst wieder nach dreitägiger Abwesenheit heimkam, machte Mathias ihm darüber Vorwürfe. David leugnete auch nicht, daß er sich wieder mit Schlingenlegen befasse und erst heute früh sich eine Rehgais gefangen.

„S’ is mir wenga ums Geld als um d’ Hetz’, die ’s dabei giebt! Was geb’ i aufs Geld, fehlt mir ja nix bei Euch; aber dem Jaga, dem schlauen Reiser, der moant, eam kam nix aus, a Nas’n drah’n, das is a G’spaß für mi; dös riegelt mi ordentli auf, und der Posthalt’r is a froh, wenn er a billig’s Wildprett kriagt!“

„Wegen mein’r treibst, was D’ magst, aber wann’s Di a mal d’ erwisch’n sammt dem verflucht’n Büach’l, das D’ all’weil mit Dir tragst, was nacher? Nacher is mit Dir und mit mir aus!“

„Mi d’ erwisch’ns net! Mach’ Dir koan Angst! S’ Schlingaleg’n macht koan so dumma Lärm als Schiaß’n; ma kon’s bei der stockfinstr’n Nacht thuan – da derwisch oan!“

Das beruhigte aber Mathias wenig, und so oft David fort war, bemächtigte sich seiner die alte Bangigkeit.

David hatte Glück. Reiser und der Jäger hatten schon ein paar Mal Schlingen gefunden und dieselben abgeschnitten, aber vergeblich mühten sie sich ab, den schlauen Dieb zu erwischen.

Paßten sie Nächte lang, so kam nichts – schauten sie nach einigen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 189. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_189.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)