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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


Deine Pflicht als Ehrendame. – Nun, Luz,“ fuhr sie fort und setzte sich auf die breite Fensterbank, „nun ist die Sache abgemacht, in vier Wochen heirathen wir!“ Sie seufzte dabei komisch, und dann begann sie leise zu singen. Lucie kannte das, wenn sie sang, sah es böse in ihrem Herzen aus, dann war es nahe vor einem Sturme.

„In vier Wochen schon? Und Du bist damit einverstanden?“

„Ja, mein Schatz. Wir werden uns seiner Mutter vorstellen, und dann wird unser idyllisches Leben auf Woltersdorf beginnen. Ich schlage vor, Du und ich – wir schaffen uns Lämmchen an mit rosenrothen Bändern und Hirtenstäbe, und er bläst die Flöte dazu – es kann ganz nett werden. Nun, der Kopf steckt einmal in der Schlinge!“

„Ich wiederhole Dir,“ sagte Lucie angstvoll, „zieh den Kopf heraus und erkläre ihm ehrlich: ‚ich liebe Sie nicht! Ich will Sie nicht unglücklich machen!‘“

„Lieber eine Hölle mit ihm, als noch einmal entlobt vor der Welt dazustehen!“ sprach Hortense. Es klang, als hätte sie die Zähne zusammengebissen. „Ich brauche nur an Wilken zu denken, wenn er die Nachricht bekommt, daß die Verlobung des Herrn Weber und der Frau von Löwen gelöst sei, und ich sehe deutlich, wie er mit ernster Miene den Schnurrbart streicht und murmelt: ‚Sie ist eben unmöglich, ich habe ganz korrekt gehandelt.‘ – Lieber morgen schon in das Elend!“

Die schmale Hand, die in Luciens Rechten lag, ballte sich zur Faust.

„Ich habe ja noch keine Garantie, daß es nicht doch so kommt,“ fuhr sie fort. „Großpapa versicherte mir zwar, er habe Waldemar Andeutungen gemacht, daß Papa ein leichtsinniger Mensch sei; aber daß er – daß er mehr als das, fand er nicht nöthig zu verrathen, und ich, ich bin so feige, ich kann es nicht. Nun, es finden sich vielleicht gute Freunde, die ihm den Morast zeigen, auf dem die Blume gewachsen, die er sich pflücken will. Und dann – dann, Luz, ich weiß nicht, was dann wird.“

„Soll ich mit ihm sprechen?“ fragte das Mädchen. „Ich bin überzeugt: er ist unterrichtet und Du ängstigst Dich ganz grundlos. Und wenn er es auch jetzt erst erführe, er hat Dich lieb, Hortense, und Deines Vaters Ruf wird Dir in seinen Augen nicht schaden.“

„O – Du kennst die Männer nicht! Eitelkeit und Egoismus, das sind ihre Haupttugenden. Nein, sprich nicht mit ihm, ich will es nicht, laß das Schicksal seinen Gang gehen. Verlasse Du mich nur nicht, Luz.“

„Oder sagen wir, verlasse Du mich nicht, Hortense,“ gab das Mädchen zurück, „Du bist meine einzige Zuflucht in der Welt.“

„Meine gute kleine Maus,“ flüsterte die junge Frau weich, „nein, wahrhaftig nicht, ich kann mir kein Leben denken ohne Dich.“

„Ich will mich auch nützlich machen bei Dir,“ versprach Lucie. „Du bist doch nicht zur Arbeit geschaffen, ich will Dir alle Lasten abnehmen, die kleinen Sorgen und Mühen des Haushaltes, die man den Dienstboten nicht überlassen darf, Du sollst gar keine Dornen spüren, nur die Rosen sollen Dir blühen.“

Hortense lachte. „Was willst Du denn thun? Thee aufgießen und nach Tische eine Tasse Mokka machen? Weiter wüßte ich nichts außer der Riesenaufgabe, mir das Leben ein wenig ertragen zu helfen, und das verstehst Du so gut, mein Liebling. Morgen reist er übrigens ab, um sein Haus vorzubereiten für meinen Einzug, wie er sagt, vermuthlich läßt er die Putten am Plafond des Saales, die ihre runden Beinchen so vergnüglich in die Luft strecken, frisch vergolden und die verschnörkelten Möbel mit geblümter Seide neu beziehen. Auch wird er noch allerlei alte Andenken und zärtliche Briefchen verbrennen wollen –.“

„Aber, Hortense!“ sagte Lucie halb lachend, halb entrüstet, „Du hast wirklich eine recht schmeichelhafte Meinung von ihm.“

„O Kind,“ sprach die junge Frau gähnend, „das verstehst Du nicht! Ich besitze einen Vetter bei irgend einem Garderegiment, der hatte drei Tage lang vor der Hochzeit zu thun, um alle diese Andenken an eine vergnügte Junggesellenzeit zu vernichten. Schließlich vergaß er eine kleine Photographie, und dieses Bildchens wegen wäre es in der Folge zwischen dem jungen Ehepaar beinah zur Scheidung gekommen. Damit ist nicht zu spaßen.“ Und sie glitt von der Fensterbank herunter und gähnte abermals. „Ich bin schrecklich müde, Luz, schlaf wohl!“

„Und morgen reist Herr Weber schon?“

„Schon? Gott sei Dank! Ein Bräutigam ist doch entsetzlich langweilig. Gute Nacht, Luz!“

Sie küßte das Mädchen auf die Stirn und verließ das Zimmer. „Wie traurig!“ dachte die zurückbleibende, „so arm an Liebe, an Idealen; so unfähig, an Reines, Edles zu glauben. Arme Hortense!“

Am andern Nachmittag reiste Herr Weber ab, nachdem er am Morgen Doktor Adler aufgesucht hatte. Er sah ganz glücklich aus, als er von dort zurückkehrte. „Er ist noch immer der alte anständige gute Kerl,“ sagte er bei Tische, verstummte aber rasch, als sein Blick auf Lucie fiel, die mit gesenkten Augen neben Hortense saß.

Hortense ließ sich zum Abschied von ihm auf die Stirn küssen und nannte ihn: „lieber Waldemar.“ Aus seinen Augen sprach ein aufrichtiger Trennungsschmerz. „Auf Wiedersehen, auf frohes glückliches Wiedersehen!“ sagte er bewegt, und Hortense rief ihm nach: „Vergessen Sie nicht, den Stall für den Goldfuchs herrichten zu lassen, er ist gewöhnt in der Box zu gehen!“ Sie stand in der geöffneten Hausthür und sah bei diesen Worten nach dem Pferdestall hinüber, über dessen Thür sich der schöne Kopf ihres Lieblings bog, und dieser Anblick beschäftigte sie so sehr, daß sie das Fortrollen des Wagens überhörte, aus dem ein paar sehnsüchtige Männeraugen vergeblich nach einem letzten Blick von ihr zurückschauten.

Mademoiselle, die in ihrem Zimmer am Fenster saß, schüttelte den Kopf. Sie hatte erst heute früh erfahren, daß in vier Wochen die Hochzeit stattfinde und daß Lucie dazu auserwählt sei, der jungen Frau in ihre neue Heimath zu folgen. Sie würde hier bleiben, allein und vergessen, lediglich auf die Schachpartie mit dem Baron angewiesen, und mußte noch obendrein dankbar sein, daß Hortense ihr das Gnadenbrot gab. Erbärmliches Leben – das war der Lohn für ihre Treue! Und selbst, wenn Madame verheirathet ist, wenn sie Kinder bekommt, so würde sie mit ihrer unvergleichlich ruhigen Malice sagen: „Liebste Bertin, alle Hochachtung vor Ihnen, aber meine Töchter sollen besser erzogen werden als ich; ich kann Sie nicht gebrauchen.“

In der That, so etwas Aehnliches hatte Madame schon einmal zu ihr gesprochen, als sie eine derartige zarte Andeutung gewagt. „O, das Alter!“ – Und sie ging zu ihrer Kommode und nahm aus dem untersten Fach ein Paar Rückenkissen hervor; sie zeigten eine petit point-Stickerei, zwei Wappen auf weißem Atlas. Die waren für Hortense’s Vermählung mit Wilken beslimmt gewesen. Das mit des Letzteren Wappen geschmückte war nun überflüssig geworden und einen Ersatz bot Herr Weber in dieser Beziehung nicht. Ein langer Seufzer entfuhr der kleinen dicken Dame. „O, es ist grenzenlos ärgerlich! Nun que faire – Hortense muß sich mit einem Kissen begnügen.“




Und die Wochen flogen dahin. Der Vorbereitungen waren es wenige; die Ausstattung an Leinenzeug brauchte nur in Kisten gepackt und auf den Bahnhof gesendet zu werden; es war ja Alles schon fix und fertig gewesen. Der köstliche Spitzenschleier, den Hortense’s Mutter schon getragen, lag bereit, die junge Frau zum zweiten Male zu schmücken Von Gerson war ein weißes Seidenkleid gekommen, ein schöner weicher Stoff, der schwere Falten warf, und für das Standesamt eine schwarze Spitzenrobe, ebensolches Mantelet und Hütchen, Alles mit Jetperlen übersäet.

Der Baron hatte seine sämmtlichen Orden auf den Frack heften lassen, Mademoiselle ihrem bordeauxfarbenen Gewand mit vergilbten echten Spitzen den möglichsten Glanz zu geben versucht, und Lucie nahm ein weißes Kaschmirkleid aus der Garderobe, um an diesem Tage nicht in dem düstern Schwarz erscheinen zu müssen.

Nur wenig Gäste würden erwartet. Von den Verwandten des Bräutigams sollte nur der jüngste Bruder kommen, der in Hamburg als Procurist einer großen Firma lebte. Die Mutter hatte abgelehnt, weil die Reise zu weit für eine alte müde Frau sei, sie hoffte die Schwiegertochter bald in ihren eignen vier Pfählen begrüßen zu dürfen. Die andern Geschwister waren nicht geladen, da Hortense entschieden gegen eine große Feierlichkeit

Einsprache that. So kamen denn nur noch der Busenfreund des

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