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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

No. 11.   1887.
      Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt. — Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. — In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. — In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 25 Pfennig.



Herzenskrisen.
Roman von W. Heimburg.
(Fortsetzung.)


Im Speisezimmer des Meerfeldt’schen Hauses, dessen braun tapezierte Wände überreich mit Rehkronen und Hirschgeweihen geschmückt waren, saß man beim Diner; der alte Herr oben vor der kleinen Tafel, rechts von ihm Hortense, links der Bräutigam, und neben diesem Mademoiselle, dem Tage zu Ehren in rothseidenem Gewande, einen schwarzen Spitzenshawl um die Schultern. Zur Seite Hortense’s hatte Lucie ihren Platz gefunden.

Es war seltsam steif und feierlich, dieses Mahl; schon das düstere Zimmer, vor dessen Fenstern dichtes Gebüsch dem Tageslicht den Eingang verwehrte, die kellerartige Atmosphäre, welche unwillkürlich die Blicke nach dem großen Kamin lenkte, mit dem Wunsche, dort eine Flamme aufsprühen zu sehen, schufen eine gewisse ungemüthliche Stimmung, obgleich Champagner in den Gläsern perlte und auf dem riesigen Büffett im Hintergrunde der ganze Silberreichthum des alten Herrn zur Schau gestellt war.

Hortense hatte heimlich Luciens Hand erfaßt, sie rührte das Essen kaum an, sie trank nur von Zeit zu Zeit einmal. Der alte Herr machte den Wirth in der ceremoniellen Weise einer früheren Zeit; er war liebenswürdig gegen die Damen und unendlich höflich gegen den Bräutigam. Ob er mit Hortense’s Wahl einverstanden – das hätte auch der schärfste Beobachter nicht zu ergründen vermocht; jedenfalls hätte er den willkommensten Freier nicht anders behandeln können, als diesen großen, ruhigen blonden Mann an seiner Seite.

Man sprach von der Besitzung Weber’s, welche Herr von Meerfeldt noch von früher her kannte. Hortense saß mit unendlich gleichgültiger Miene dabei; sie schien die lebhafte Unterhaltung der Herren kaum zu beachten. Erst als man auf Pferde zu sprechen kam, ward sie aufmerksamer. Mademoiselle, die sehr viel Champagner trank – sie behauptete, es in Deutschland vor langer Weile gelernt zu haben - sagte jetzt zu Lucie über die Tafel, indem sie den silbernen Fruchtkorb etwas zur Seite schob:

„Wissen Sie, Lucie, daß ich einen Umgang gefunden habe in diesem Krähwinkel? Die Tante unseres Arztes. O, sie ist charmant, ganz charmant, so bescheiden und einfach! Ich ging einmal zu ihm, um ihn zu konsultiren, und traf nur diese Dame; ich kam ganz enchantirt von ihr nach Hause.“

„Ja, sie ist herzensgut,“ gab Lucie zu. Sie


Spreeschiffer. 0 Originalzeichnung von H. Lüders.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 165. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_165.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2024)