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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Sonst nahm das Mathias gewiß nicht übel; David war ja schon lange Mitwisser seiner geheimen Gänge, aber jetzt fuhr er wüthend auf – „wie er denn so was behaupten könnt’! er sei den ganzen Tag in M. g’wes’n, bei der Nacht hab’ er sich a Bisl verganga.“

„Nur net glei so hitzi!“ entgegnete David, „Du hast’s ja selbst neuli g’sagt am Sunntag, wollst den Rupert d’ran krieg’n, mir is auch ganz gleich – bin selb’n net sei Freund – woaßt ja!“

David dachte weiter nicht darüber nach und verschlief die ganze Geschichte. Als aber jetzt die Nachricht kam, „der Rupert gehe ab“, fiel ihm dieses Gespräch, das ganz auffallende Benehmen des Mathias ein.

„Er hat’s than!“ sprach’s in seinem Innern, „wann überhaupt was d’ran is an dera G’schicht!“

Alles brach nun auf, der von Anna angegebenen Richtung zu; sie allein hatte ja die Schüsse gehört; das war der einzige Anhaltspunkt.

In der Reviergegend angekommen, welche von einer mitten aus dem Tannenunterholz hervorragenden, steil abfallenden Kalksteinwand „die graue Wand“ benannt war, vertheilte der Förster die Leute, wie bei einer Treibjagd, in der Entfernung von dreihundert Schritt, um ein möglichst großes Terrain abzusuchen. Wenn Einer etwas Verdächtiges oder den Jäger selbst antreffen sollte, so hatte er sofort Lärm zu machen.

Mathias war der Nächste an David. Dieser konnte ihn genau beobachten; nach seiner bestimmten Ansicht wußte Mathias am besten, wo zu suchen sei, und so ließ er ihn keinen Augenblick aus den Augen; kam man in die Nähe des verhängnißvollen Platzes, so mußte er es irgendwie an ihm merken!

Bald war die ganze Gesellschaft in dem zerklüfteten Terrain verschwunden, man hörte nur noch das Klappern der eisenbeschlagenen Bergstöcke, das Abrutschen von Gestein unter den Tritten der Suchenden.

Anna ging zwischen dem Förster und Reiser; ihr Athem flog, ihr scharfer Blick drang überall umher, jetzt mußte sie ja an der Stelle sein, wo sie die Schüsse gehört zu haben glaubte. Jeden Augenblick fürchtete sie den Leichnam des Geliebten zu erblicken, dann hoffte sie wieder! Minute um Minute verrann, ohne daß ein Zuruf ertönte, ohne daß man etwas fand. Eine schwächere Natur als die ihrige wäre der wahnsinnigen Aufregung erlegen; aber dieser kraftstrotzende Körper gab nicht nach.

David war schon weit vorgedrungen, bald näherte er sich wieder einer unbewaldeten Fläche, nur ein kleiner Kessel, rings von niederen Wänden eingeschlossen, war noch zu durchschreiten; auf einmal bemerkte er, daß Mathias gerade diesen vermied: er zog sich immer mehr seitwärts hinauf, so daß er fast mit seinem obern Nebenmann zusammentraf, dabei stolperte er jeden Augenblick, und sein Gesicht war aschfahl.

Dem Kleinen mit den Luchsaugen entging das nicht, und wie ein Hund auf der Fährte des Wildes, schnupperte er jetzt überall umher, keinen Busch ließ er undurchsucht. Auf einmal vernahm er leises Winseln eines Hundes, eine junge Fichte, gerade unter ihm, bewegte sich heftig; er sprang darauf zu und hätte bald laut aufgeschrieen vor Erstaunen. – Der rothe „Gams“ war dort angebunden an einen Riemen, daneben lag ein Rucksack, der Hund zerrte wüthend an der Leine, als er Jemand nahen sah. David schnitt rasch die Leine durch und beschwichtigte den Hund, damit er keinen Lärm mache. Rupert war sicher in der Nähe und zwar todt, das war klar, schon wollte David die Andern rufen, da kam ihm der Gedanke, er könne eben so gut die Entdeckung allein machen.

Der Hund, sonst ein lauter Kläffer, war scheu und kroch nur langsam, mit eingezogenem Schweif hinter David her. Er schnupperte in der Luft herum, den Wind suchend und stürzte dann vorwärts, direkt in den kleinen Kessel; im Augenblick war er verschwunden. Dann kehrte er wieder zurück, machte einige Schritte vorwärts und sah sich wieder nach David um, als winke er ihm zu folgen. Dieser vertraute sich nun ganz der Leitung des Hundes. Plötzlich sprang Gams über einen großen Felsblock, der gerade im Wege lag, hinüber und stieß ein jämmerliches Geheul aus.

Jetzt war es Zeit, die Oberen hatten es auch gehört und riefen schon herab, mit einem Sprung war David hinter dem Felsblock, und vor ihm lag – Rupert mit zerschossener Brust. Das gestockte Blut besudelte das Hemd, ein Schwarm von Fliegen erhob sich brausend! Er mußte zuerst, an der großen Fichte angelehnt, gesessen sein, ehe er starb. Die ganze zusammengesunkene Stellung deutete darauf hin.

Als David näher trat, bemerkte er in der linken Hand des Todten ein offenes Büchelchen, das Weiß des Papieres blitzte aus dem grünen Moos heraus. Er faßte darnach – doch die Hand war fest darüber geschlossen, nur mit einer heftigen Anstrengung vermochte David es ihr zu entreißen. Die Andern schrieen von oben herab, ob er etwas gefunden habe, aber er hörte sie gar nicht, so gierig betrachtete er das Büchlein; starr hing sein Auge auf der letzten Seite. „Mathi..“ stand hier mit Bleistift geschrieben, mit ganz verzerrten Buchstaben und ein blutiger Fingerdruck war darauf sichtbar.

„Mathi..!“ Die andern zwei Buchstaben konnte er dazu errathen – er hatte also recht vermuthet. Böse Gedanken schienen ihm gekommen – verschmitzt lächelnd ließ er das Büchlein in seiner Tasche verschwinden.

Mathias hätte schon längst da sein müssen, er schien sich Zeit zu lassen. Anna aber, die bei dem Rufe unten in den Knieen wankte, entwand sich mit Gewalt den Männern, welche strebten, sie zurückzuhalten, da sie ja jetzt mit Gewißheit wußten, welch’ ein Anblick der Armen harrte. Sie überstürzte sich fast in wilder Hast, unaufhaltsam durch die Büsche hinunterbrechend. Da – mit einem wilden Aufschrei stand sie plötzlich an der Leiche! Sie stürzte nicht über ihn, sie fiel auch nicht in Ohnmacht, wie eine Bildsäule stand sie da, mit der Rechten sich am Gesträuch festhaltend. Die Augen stierten bewegungslos, nur die krampfhaft arbeitende Brust verrieth Leben.

Der Förster und Reiser, die nun auch herabgekommen und selbst von diesem Anblick entsetzt waren, führten sie gewaltsam abseits; sie ließ es ruhig geschehen, kein Wort kam über ihre Lippen, sie setzte sich auf den Boden, verhüllte ihr Gesicht in der Schürze und brach nun in lautes Gejammer aus.

Mathias war auch herangeschlichen, das erkünstelte Erstaunen bei dem Anblick des Todten kämpfte in seinen Zügen mit einem unverkennbaren Entsetzen, welches er vergebens zu bewältigen trachtete. Sein Anblick müßte jedem aufgefallen sein, der auf ihn Acht gegeben hätte; zum Glück waren der Förster und Reiser zu sehr mit dem Todten beschäftigt, nur David ließ ihn nicht aus den Augen.

„Wer muaß denn das ’than hab’n, Mathias?“ sagte er, „am End der Tiroler von neuli – no, es muaß ja aufkomma, glaubst D’ net, Mathias?“

„Wohl mögli!“ entgegnete dieser, sich den Schweiß mit dem Sacktuch abtrocknend, „obwohl ’s hart sein wird, den z’ find’n.“

„Moanst?“ erwiederte David, „oft is leichter, als ma ’s glaubt!“

Mathias sah ihn ängstlich an.

„Woaßt Du vielleicht was?“ fragte er fast geistesabwesend.

„Woher soll i was wiss’n? I war ja den ganz’n Tag in S., Du ehnder, Du warst ja do auf ’n Berg! Hast Niemand begegnet unterwegs?“

„Der Tiroler war’s,“ hub der Förster an „i möcht’ wetten, der ihm neuli auskommen is. Die Kerl vergess’n so was net, er soll ja dem Mathias so gleich seh’n! Kennst Du vielleicht einen in der Gegend, bei dem das der Fall is?“

David verneinte dies. Die Aeußerung machte ihn nachdenklich: am Ende hatte sich der Sterbende geirrt, vielleicht hatte ihn die Aehnlichkeit getäuscht, vielleicht war es doch nicht der Mathias? Hätte dieser nur nicht so scheu dagestanden, David würde jetzt daran gezweifelt haben. Das Buch mit der Schrift brannte förmlich in seiner Brusttasche, durch dieses Buch war Mathias mit Leib und Leben sein eigen! Dieses Gefühl, einen Menschen so ganz abhängig von sich zu wissen, war dem David ein Labsal, er triumphirte innerlich über die Macht, die er nun in der Hand hatte. Vor der Hand sollte Niemand davon wissen, auch der Mathias nicht.

Der Leichnam durfte nach dem Gesetz nicht berührt werden, bevor nicht die gerichtliche Kommission erschienen war, und der Förster mußte sofort einen der Leute nach dem Landgericht senden.

Mathias drängte sich zu diesem Dienst und war im Nu verschwunden.

Der Schuß mußte aus nächster Nähe abgefeuert worden sein; Papierpfropfen hingen in dem schwarzen Schnurrbart des Todten;

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