Seite:Die Gartenlaube (1887) 133.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

No. 9.   1887.
      Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. — In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig oder jährlich in 14 Heften à 50 Pf. oder Halbheften à 25 Pf.



Herzenskrisen.

Roman von W. Heimburg.
(Fortsetzung.)

Hortense begann ein wunderliches Treiben, sie schien von einem wahren Vergnügungstaumel erfaßt zu sein. Spazierfahrten, Theater, Besuche folgten sich ohne Unterbrechung. Es war eine Pensionsfreundin in Dresden verheirathet an einen Officier, eine andere an einen Rittergutsbesitzer der Umgegend, und – was sie früher weit von sich gewiesen, ja ängstlich vermieden hätte – jetzt suchte Hortense die Damen auf. Sie fuhr bei ihnen vor, unter Scherz und Lachen wurde ein Diner auf der Terrasse verabredet, eine Wasserfahrt nach Pillnitz. Und Abends nach dem Theater saßen sie mit der heiteren Gesellschaft im Saale des Hôtels; Hortense hatte sie eingeladen. Sie lachte und plauderte und schien die Heiterste von Allen.

Waldemar Weber war auch mit in das lustige Treiben hinein gerathen. Lucie wußte nicht, hatte ihn Hortense ermuthigt, oder hatte er sich selbständig dazu gefunden; genug, er war mit dabei und saß so ruhig auf seinem Stuhl und sprach mit seiner tiefen Stimme, die sich schon beim ersten Klange Geltung zu verschaffen wußte, mit den Herren von Jagd und Pferdezucht, mit den Damen von zierlichen Nippsachen, die in einer Thüringer Porcellanfabrik angefertigt würden, und von denen er ihnen Proben versprach für ihre Nipptische.

Lucie saß still dabei. Sie fragte sich, was Hortense wolle. Und sie fand keine Antwort.

An Wilken’s Polterabend blieb Hortense zu Hause, sie hatte eine Partie nach der Bastei abgelehnt unter dem Vorwand, daß sie Kopfweh habe. Sie lag in der That mit geschlossenen Augen und blassem Gesicht auf dem Sofa des verdunkelten Zimmers.

„Hortense,“ sagte Lucie mitleidig und streichelte ihre bleichen Wangen, „wenn ich nur wüßte, warum Du Dich so wissentlich krank machst?“

Hortense faßte die weiche Mädchenhand, aber sie antwortete nicht.

Lucie war heute von einer eigenthümlichen Angst erfüllt, sie ging im Laufe des Tages wohl drei- bis viermal hinunter und fragte den Portier nach Briefen. Er hatte nie etwas. Ob dies Schweigen ein gutes oder böses Zeichen sei, überlegte sie, als sie zum fünften Male vergeblich nachgeforscht hatte. Sie stand mit besorgter Miene im Vestibül, an ihr vorüber schleppten Gärtnerburschen riesige Lorbeer- und Myrthenbäume in den Saal, dessen Thüren weit offen standen. Im Hintergrunde schimmerte ein purpurrother Vorhang, an dem der Tapezierer noch beschäftigt war, und auf der improvisirten Bühne stand ein Herr mit weißem Schnurrbart und verhandelte mit dem Wirth.

Die Treppe herunter kam Wilken am Arm einer

Karl und Adolf Müller.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 133. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_133.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2024)