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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


„Nachg’lauf’n is er mir halt,“ entgegnete sie, „Schritt und Tritt, i hab’s eam net verwehr’n können und –“ sie stockte etwas – „ungern g’sehn hab’n i a net! Er is ja a saub’rer Bursch und a braver Mensch – von Liab war freili no koa Red’ – daß eam grad’ di Nachricht von unserer Heirath koä Freud g’macht hat, kann i eam net verübel’n! Da müaßt er koa Mannsbild sei!“

Rupert entgegnete nichts. Es begann jetzt stark zu regnen, und grelle Blitze zuckten über den Buchenwald, daß er für Augenblicke im blauen Licht stand. Sie stiegen eilig aufwärts. Alle Freudigkeit der Natur war verschwunden und eben so der Frohsinn in ihren Herzen. Als sie durchnäßt und athemlos vor der Alm angekommen waren, nahmen sie Abschied; er mußte in die Winterstube, die nicht weit von der Alm gelegen war, wo er sein Jagdzeug zurückgelassen hatte; in aller Früh’ wollte er im Dienst sein. Anna drückte den Geliebten fest an sich, und als eben ein Blitz die Landschaft erhellte, sah er Thränen über ihre Wangen rollen.

„Was hast denn, Anna?“ sagte er, „an so an Freud’ntag woana?“

„Mir is so bang, Rupert, als wenn a Unglück unterweg’s wär’, es preßt ma d’ Thräna ’raus, i kann nix dafür!“

„A was, das hat g’wiß der Mathias verschuld’ mit sein G’schwätz, und ’s G’witter macht eim a so bang! Morg’n muß i zum Förster, weg’n mein Abschied, nacher komm i zu Dir! Wie d’ Sonn scheint, is all’s anders! Pfüa’ Gott, Anna, mei liabe Anna! Das war ja a freudiger Tag, der soll net so ausgeh’n!“

Ihre Küsse schallten durch die Nacht, dann verschwand Anna in der Hütte.

Rupert stieg den schmalen Steig zur Jägerhütte hinab; Blitz auf Blitz zuckte, in grellem Schein den Weg beleuchtend. Als er unten war, sah er noch einmal gegen die Hütte hinauf und that einen Juchschrei. Niemand antwortete, und selbst bedrückt ging er durch die Nacht, die ihnen Allen heute keine Ruhe bieten sollte; nicht der Anna, die im Stübchen auf den Knieen lag vor dem schmerzverzerrten Heiland in der Ecke, in unbewußter Herzensangst – nicht für Rupert, den der Schlaf floh auf seinem Heulager und den wüste Träume quälten – nicht für Mathias, den die Qualen der Eifersucht wie Schlangenbisse vom Lager trieben. Dazu brüllte der Donner unaufhörlich, Blitz auf Blitz zuckte hernieder, schwefligen Geruch verbreitend – tosend stürzte der Bergbach, vom Regen angeschwellt, in die Tiefe.

(Fortsetzung folgt.)




Die Revolution in Sofia

und die unfreiwillige Reise des Fürsten Alexander von Bulgarien nach Reni und Lemberg.

In diesen Tagen erscheint ein Buch, das, ganz in unserer Zeitgeschichte stehend, mit Spannung erwartet wird. Es sind dies „Mittheilungen aus dem Leben und der Regierung des Fürsten Alexander von Bulgarien. Nach persönlichen Erinnerungen von Adolf Koch.“[1] – Alsbald nach der Erwählung des Prinzen Alexander von Battenberg zum Fürsten von Bulgarien erhielt Herr Adolf Koch eine Berufung als Hofprediger nach Sofia und befand sich seit dieser Zeit in einer Vertrauensstellung bei dem Fürsten. Bei Ausbruch der Revolution in Sofia bemühte sich die außerhalb des Palais wohnende Umgebung des Fürsten vergeblich, zu demselben zu dringen, und so entschloß sich Hofprediger Koch dem Fürsten nachzureisen und ihm, wenn irgend möglich, Hilfe zu schaffen. Aber erst in Lemberg traf er den Fürsten, als dieser eben angekommen war, und überbrachte ihm die ersten vollständigen Nachrichten von dem, was unterdessen in Bulgarien und in der übrigen Welt vorgegangen.

Und hier in Lemberg war es, wo Fürst Alexander seinem Hofprediger die Vorgänge der letzten Tage erzählte. Unseren Beziehungen zu dem uns befreundeten Verleger des Buches und der Erlaubniß des Verfassers verdanken wir es, wenn wir vor Ausgabe des Werkes die Erzählung des Fürsten hier wiedergeben, wie sie im Buche selbst zu lesen sein wird.


Ich hatte, so erzählt Fürst Alexander, am 21. August bis tief in die Nacht hinein gearbeitet und war kaum eingeschlafen, als ich durch Lärm, der von dem Gang vor meinem Schlafzimmer aus zu mir drang, wieder geweckt wurde. Es mochte etwa 1/22 Uhr gewesen sein. In dem nächsten Augenblick stürzte auch schon mein bulgarischer Diener Dimitri in mein Zimmer und rief, an allen Gliedern zitternd und bebend: „Sie sind verrathen; man will Sie ermorden. Fliehen Sie, ehe es zu spät ist.“ Ich sprang aus dem Bette und nahm meinen Revolver in die Hand. Da hörte ich militärische Kommandorufe und athmete erleichtert auf. Ich sagte zu Dimitri. „Ich bin gerettet, das Militär ist da.“ Der aber, immer noch bebend„ stieß die Worte hervor: „Nein, fliehen Sie, das Militär ist’s gerade, das Sie tödten will.“ Da stürzte ich im Hemd an die zum Garten führende Thür; aber sowie ich dieselbe öffnete, bekam ich Feuer. Gleich darauf hörte ich Schüsse von allen Seiten. Ich ging daher durch den dunkeln Korridor nach der Dienertreppe und in den ersten Stock hinauf in den Wintergarten, um von dort aus einen Ueberblick zu gewinnen und zu sehen, ob es noch möglich wäre, zu entkommen. Es war da droben so dunkel, daß ich meine Hand nicht vor den Augen sehen konnte, aber an der Feuerlinie der schießenden Soldaten konnte ich erkennen, daß das ganze Palais umstellt und an ein Entkommen nicht mehr zu denken war; die einschlagenden Kugeln ließen keinen Zweifel an dem Ernst der Lage aufkommen. Zugleich hörte ich die hundertstimmigen Rufe. Dolu Kajaz! (Nieder mit dem Fürsten!) Darauf ging ich in mein Zimmer zurück, um meine Uniform anzuziehen; denn ich wollte mich wenigstens in Uniform niederschießen lassen. Im Zimmer wieder angekommen, beschloß ich Licht zu machen; aber sofort schossen die Soldaten zum Fenster herein. Deßhalb löschte ich mein Licht wieder aus und zog im Dunkeln, so schnell ich konnte, und ohne erst Unterkleider und Strümpfe anzulegen, meine Uniform an.

Während dessen wurde der Lärm, das Waffengeklirr und Geschrei aufgeregter Menschen immer stärker. Als ich fertig war, trat ich hinaus auf den Korridor. Dort wurde ich sofort von einer Masse Menschen umringt, und obwohl nur eine einzige Stearinkerze brannte, konnte ich doch an dem Blitzen der Bajonette sehen, daß etwa 150 Mann um mich herstanden. An Widerstand war natürlich nicht zu denken, da nur zwei Leibwächter da waren. Diese wollten zwar Feuer geben, aber ich verbot es ihnen. Ich ging nun, gedrängt von diesem Menschenhaufen, in die Vorhalle des Palais. In demselben Augenblicke kam auch mein Bruder. Wie ich dastand, riß ein frecher Kadett aus dem auf dem Tische aufliegenden Einschreibebuch ein Blatt heraus, und die ganze, wie deutlich zu spüren war, stark angetrunkene Schar schrie mir zu: ich solle meine Abdankung unterschreiben. Einige der Frechsten, darunter namentlich Kapitän Dimitriew, hielten mir dabei den Revolver unter die Nase. Eine Unterhaltung mit diesen aufgeregten Menschen war unmöglich. Nur das Eine konnte ich ihnen sagen: sie sollten selber schreiben, da ich nicht wisse, welchen Grund ich für meine Abdankung angeben solle. Da nahm einer der umstehenden die Feder und begann zu schreiben, machte aber in seiner Betrunkenheit so viel Kleckse und unleserliche Zeichen, daß er selbst, wie er das Geschriebene vorlesen wollte, den Versuch wieder aufgab. Da nahm ich ohne Weiteres die Feder und schrieb auf dieses Papier: „Gott schütze Bulgarien! Alexander.“ Kaum hatte ich geschrieben, so rissen sie mir das Blatt unter den Händen weg, und Kapitän Dimitriew steckte es, ohne es anzusehen – so aufgeregt war er – in die Tasche. Dann verlangten sie von mir, daß ich nach dem Kriegsministerium gehe. Dort wurde ich in ein Zimmer gebracht und innerhalb und außerhalb meines Zimmers wurden Soldaten als Wachen aufgestellt. Außerdem ging ein Officier mit dem Revolver in der Hand in meinem Zimmer auf und ab.

Während ich noch dort war, kam Kapitan Venderew, die Hände in den Taschen, um sich an meinem Anblick zu weiden. Ich fragte ihn: „Was habt Ihr mit mir vor?“ und erhielt als Antwort: „Du kommst nach Rußland.“ Eine halbe Stunde später wurde ich gezwungen, in einen Wagen zu steigen, ohne daß mir erlaubt worden wäre, meinen Bruder, wie ich gewünscht hatte, zu mir zu nehmen. Er mußte in einen andern Wagen steigen. Beim Einsteigen bemerkte ich etwa 50 Officiere, die ruhig meinem Weggehen zusahen. Wir fuhren zunächst auf der Orchanier Straße, bogen aber bald rechts ab und hielten etwa 25 Kilometer von Sofia in einem elenden Kloster auf dem Eropolbalkan. Dort wurden wir in ein enges dumpfes Gemach gesteckt, das voll von Flöhen, Wanzen und sonstigem Ungeziefer war und keinen Tisch und Stuhl enthielt. In der Nacht um zwei Uhr wurde ich geweckt. Man brachte mir Civilkleider aus Sofia. Am folgenden Morgen ging es weiter über Teschkesen, wo wir uns einige Zeit aufhielten, nach Vrazza auf holperigen, steinigen Wegen. Wir kamen Abends zehn Uhr dort an. Die Stadt schien wie ausgestorben. Die Nacht brachten wir in einem elenden Hau[s] zu. Morgens 51/2 Uhr wurde wieder aufgebrochen. Zehn Kilometer hinter der Stadt auf der nach Rachowa führenden Chaussee, an einer Stelle, wo sich das Terrain wellenförmig erhebt und Tannengestrüpp sich zu beiden Seiten der Straße hinzieht, wurde plötzlich Halt gemacht. Ich sah, wie die Officiere sich im Walde zerstreuten, augenscheinlich, um etwas zu suchen. Ich ahnte sofort Unheil, und in der That suchten sie, wie mir später der wachhabende Officier mittheilte, einen Platz aus, um mich zu erschießen, weil sie in Vrazza die sichere Nachricht erhalten, daß ein Theil der Truppen sich geweigert habe, der neuen Regierung den Eid zu leisten. Nach einer peinlichen halben Stunde ging es weiter. Nachmittags drei Uhr erreichten wir bei Rachowa die Donau. Dort konnte ich einige Augenblicke mit dem Kapitän eines österreichischen Donaudampfers sprechen und erhielt von diesem den Antrag, er wolle mich, falls ich auf sein Schiff kommen könne, an das rumänische Ufer bei Piket übersetzen. Aber es war mir unmöglich. Ich mußte meine Yacht besteigen, die von Rustschuk geholt worden war, und fuhr mit derselben unter Bedeckung von etwa 100 Mann und vielen mir meist ganz unbekannten Officieren stromabwärts.

Ich und mein Bruder mußten uns in dem Speisesaal aufhalten, dessen Fenster und Thüren mit Doppelposten besetzt waren. Während des Tages war es unerträglich heiß. Die Maschine unseres Schiffes wurde

  1. Verlag von Arnold Bergsträßer in Darmstadt.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 114. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_114.jpg&oldid=- (Version vom 11.11.2023)