Seite:Die Gartenlaube (1887) 109.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Deckel zu demselben, so daß die abgeschnittene Lichtschnuppe in den Kasten gepreßt und daselbst festgehalten wurde. Die Lichtschnuppe durfte weder auf den Tisch noch auf die Tischdecke fallen, sie durfte auch nicht fortglühen, denn sonst lag die Gefahr vor, daß jede neu hinzukommende den alten Vorrath wieder entzündete, wodurch ein starker Dunst, ein unangenehmer Geruch und möglicherweise allerlei Unreinlichkeit entstanden sein würde.

Da übertrug ein weiser Mann die Stahlfeder, die Seele der Taschenuhr, auf die Lichtputze und bewirkte damit, daß sie sich von selber fest zuschloß. Hierdurch waren die geschilderten Gefahren beseitigt, aber das Instrument blieb stets noch verbesserungsfähig.

Es lag ganz platt auf dem Tisch auf; und es war nicht bequem, in die Scherengriffe zu fahren. Da gab man der Lichtputze drei Füße, zwei an den Griffen und einen an der anderen Seite. Auf drei Füßen steht man bekanntlich fester als auf vieren, denn drei müssen immer in dieselbe Ebene fallen. Jetzt konnte auch die feinste und zarteste Hand das Werkzeug leicht und bequem von dem Tische aufnehmen. Damals kam die Redensart auf: „Der Schönste (oder die Schönste) putzt das Licht“. Sie gab in unserer Jugend den Anlaß zu allerlei scherzhafter und harmloser Galanterie, welche die heutige Jugend für recht altmodisch halten würde.

Trotz dieser und anderer Verbesserungen ging es aber mit der Lichtputze wie mit so vielen anderen Erscheinungen; unmittelbar an die höchste Blüthe schloß sich die Periode des Sinkens und Falles, welche sich entwickelte im Zusammenhang mit der Erweiterung und Verbesserung unserer Beleuchtungsstoffe und Beleuchtungsapparate.

In meiner Jugend dominirte die Oellampe, auf welcher man vegetabilisches Oel brannte und die in allen wesentlichen Bestandtheilen mit der altrömischen Lampe übereinstimmte – sogar bis auf das zierliche Zänglein, das an ihr herabhing und dazu bestimmt war, den Docht herauszuziehen und zu regeln. Cylinder waren noch nicht erfunden.


Der kleine Liebling.
Nach dem Oelgemälde von F. Prölß.


Ich habe heute eine kunstvolle Imitation einer in Pompeji ausgegrabenen schönen Bronzelampe auf meinem Tisch stehen. Sie erinnert mich an das ärmliche Lämpchen, bei welchem ich vor langen Jahren den Cornelis Nepos studirte. Die Konstruktion ist dieselbe.

Im Uebrigen brannte man Talglichter, und ich will hier erzählen, wie es sich damit verhalten. Es war ungefähr um das Jahr 1830. Damals lebte meine Großmutter noch. Sie stand an der Spitze eines großen bäuerlichen Haushalts, und in diesem Haushalt wurde nicht nur Flachs gesponnen und gewebt, um die großen Leinwandkisten zu füllen, sondern auch sonst Mancherlei fabricirt, das man heut zu Tage nicht mehr selbst macht, sondern kauft. Ich nenne hier nur Brot, Kuchen, Branntwein, Bier und Lichter, namentlich Talg- oder Unschlittlichter. Zwar gab es damals auch schon Seifensieder und Lichtzieher, welche diese heut zu Tage auch so ziemlich verschwundenen Unschlitt- oder Inseltlichter gewerbsmäßig fabricirten, allein meine Großmutter sagte: „Was man selbst machen kann, das soll man nicht kaufen und nicht von anderen Leuten machen lassen. Ich esse mein eigenes Brot und will auch meine eigenen Talglichter brennen. Was man so für gewöhnlich kauft bei dem Krämer oder dem Höker, das ist oft schlecht und in der Regel sehr theuer, und bei uns Bauern ist immer das Geld rar und wir haben’s nöthig für Pacht und für Steuern, das Andere haben wir in Hülle und Fülle, so Gott will. Wir haben das schönste Talg von Schafen und Rindvieh, und auch die Dochte können wir uns selbst drehen aus zartem Garn oder Wolle. Wir haben also den Rohstoff selbst, er kostet uns weiter nichts, der Seifensieder aber muß ihn kaufen. Natürlich ist er darauf aus, sich seine Arbeit möglichst theuer bezahlen zu lassen und einen großen Gewinn für sich herauszuschlagen. Deßhalb bin ich der Meinung: wir ziehen unsere Lichter uns selber. In meiner Familie ist ein altes Recept, Lichter zu gießen, von Geschlecht zu Geschlecht überliefert, und ich habe dazu gläserne Lichterformen. Die Lichter, die ich gieße, brennen viel länger, nämlich volle zwölf Stunden, und wenn man sie in eine Lade mit fein- und reingeschnittenem Stroh legt, so behalten sie auf Jahr und Tag ihre untadelhafte helle weiße Farbe. Die Lichter vom Seifensieder aber sind von Haus aus schon schmutzig-gelb und sie bekommen mit jedem Tag eine unappetitlichere Farbe, auch ihr Duft ist nicht immer ganz lieblich.“ So sprach die Großmutter.

Gewiß ist: es gab damals in der ganzen Gegend keine schöneren Talglichter, als die, welche meine Großmutter selig in ihren gläsernen Formen eigenhändig gegossen hatte, aber sie hatten mit den übrigen, weniger schönen Talglichtern doch den gemeinsamen Fehler, daß sie geputzt oder, wie es bei uns hieß, geschnäuzt werden mußten. Der verkohlte Docht verzehrte sich noch nicht in sich selber, sondern blieb auf dem Licht stehen, und wenn man ihn nicht abkniff, dann brannte das Talglicht schief und trübe und begann zu fließen. Man mußte es also von Zeit zu Zeit putzen, damit es wieder hell leuchte. Die abgekniffenen Dochte sammelten sich in dem an der Lichtputze angebrachten Behälter. Jeden Morgen wurden diese Behälter ausgeleert und gereinigt. Man nannte die verkohlten Dochte „Licht-Schnuppen“, und man hat den Ausdruck „Schnuppen“ ja auch auf die Sterne übertragen, von welchen man wohl annahm, daß sie sich ebenfalls „schnäuzten“ oder von Engelshänden geschnäuzt werden mußten, damit sie wieder heller brannten.

Die dem Kasten der Talglichtschnäuze entnommenen Lichtschnuppen wurden mit Sorgfalt gesammelt. Seltsamer Weise hielt man sie für ein unfehlbares Mittel wider die Kolik. Wenn Jemand Bauchkneifen verspürte, dann nahm man einen großen Löffel voll Branntwein, – „aber reiner Franzbranntwein muß es sein,“ sagte meine Großmutter – rührte einige solcher Schnuppen hinein, bis das Ganze eine dickflüssige gräuliche Masse bildete, schluckte dieselbe mit Todesverachtung hinunter und behauptete dann, es habe geholfen. Das glaubten damals die vernünftigsten Leute. Heut zu Tage glaubt man zwar dieses nicht mehr, dafür aber anderen Unsinn.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 109. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_109.jpg&oldid=- (Version vom 18.2.2023)