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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


Hortense war darüber erst traurig, dann böse geworden. Als ob es in zwei Monaten nicht noch früh genug sei, nach Bornrode zu kommen, das man auf der Rückreise auf einem kleinen Umweg bequem erreichen konnte!

„Wenn ich aber Sehnsucht habe?“ war des Mädchens Antwort gewesen.

„Sehnsucht?“ Hortense hatte die Achseln gezuckt und sich abgewendet. Und so hatten sie sich getrennt; zum ersten Male, so lange sie zusammen waren, ohne das alte herzliche „Gute Nacht!“

Nun wußte Lucie, Hortense war schon in aller Morgenfrühe an ihrem Lager gewesen und hatte den Strauß gebracht. Sie fühlte etwas wie Beschämung und nahm sich vor, gleich zu ihr zu gehen und zu danken. Als sie im Begriff war, aufzustehen, klinkte leise die Thür, und Hortense, in einem weißen Morgenkleide, trat ein, kam zu dem Bette herüber, kniete vor demselben nieder und küßte Lucie, wie eine Mutter ihr Kind küßt am Geburtstage.

„Ich danke Dir für Alles,“ sagte sie einfach.

„Und ich Dir, Hortense!“

„Sei ruhig! Was ist das gegen Deine Liebe und Güte! Wenn ich etwas Vertrauen zu den Menschen wiedergewann, wenn ich wieder am Leben Gefallen fand, dann danke ich es Dir, nur Dir allein.“

Lucie hielt ihr den Mund zu. „Sei still, Hortense!“ sagte sie gerührt.

„Und nun will ich auch eine Sommerwohnung miethen, wie Du es wünschest. Ich habe den Wagen schon bestellt, wir fahren nach Tische hinaus. Du sollst sie selbst aussuchen und wenn es Dir überhaupt gefällt in Dresden, so kehren wir auch zum Winter hierher zurück.“

„Das kommt auf Dich an, Hortense.“

„Es wird sehr gemüthlich werden in unserer Häuslichkeit, nicht wahr?“ plauderte die junge Frau und setzte sich auf den Bettrand.

Lucie nickte. „Wir packen dann alle Deine schönen Sachen aus, die Du in Italien gekauft hast, und schmücken die Zimmer damit.“

Hortense stand auf.

„Und damit sie noch schöner werden,“ sagte sie, „will ich den hellen Tag und die gute Beleuchtung heute früh benutzen und mein Bild weiter malen. Holst Du mich ab in der Galerie?“

„Ich bin wie immer um ein Uhr vor der Sixtinischen Madonna,“ rief das Mädchen der jungen Frau zu, die eben hinter der Thür verschwand.

Eilig kleidete sie sich an; sie hatte unverantwortlich lange geschlafen. Als sie in den Salon trat, fand sie vor ihrem Frühstückskouvert ein Etui aus schwarzem Leder, ihren Namenszug in Gold gepreßt darauf; und als sie es öffnete, blinkte ihr ein Ring entgegen, der einen wundervollen Sapphir in seiner Mitte trug. Und als sie überrascht näher hinschaute, fand sie innen das Datum des heutigen Tages eingravirt.

Sie legte den Ring in das Etui, nahm ihn wieder heraus und schob ihn endlich an den vierten Finger der linken Hand. Dann setzte sie sich still vor ihrer Theetasse nieder und betrachtete das funkelnde Kleinod. Es kam ihr in den Sinn, daß vor Jahresfrist noch ein einfacher goldener Reif da gesessen, und sie schüttelte auf einmal den Kopf, als wollte sie Jemand heftig widersprechen. „Nein,“ flüsterte sie, „er hatte mich nicht lieb – es war gut und recht so!“

Sie frühstückte langsam und setzte sich dann an den Schreibtisch. Sie wollte an Mathilde ein paar Worte senden; seit Wochen war jede Nachricht von ihr ausgeblieben. Als sie eine Seite geschrieben, schmerzte sie der breite Goldreif; sie wollte ihn abziehen, aber es war nicht möglich, und als es endlich gelang, da war ihr die Stimmung zum Schreiben vergangen. Sie setzte ihren Hut auf und ging auf einem Umwege nach dem Zwinger.

Ein Weilchen stand sie hinter Hortense’s Staffelei, die einen der kleinen Niederländer kopirte, und schaute ihr zu; und als gerade Niemand in dem Kabinett war, küßte sie die Wange der jungen Frau und dankte ihr für das kostbare Geschenk.

„Zeig’ her, mein Liebchen,“ sagte Hortense, „paßt er?“

„Ich konnte ihn nicht an der Hand behalten, er drückte,“ und sie hielt zum Beweise den stark gerötheten Finger hin.

„Ich werde ihn ändern lassen,“ nickte die junge Frau. Und da eben wieder eine Schar Engländerinnen eintrat, deren neumodige Reifröcke und riesenhafte Hüte mehr Platz in Anspruch nahmen, als für die Malerin angenehm sein konnte, verließ Lucie ihre Freundin und ging zur verabredeten Stelle.

In dem kleinen feierlichen Raume der Sixtinischen Madonna war es wunderbarer Weise kirchenstill und leer heute, nur ein einzelner Herr saß auf dem rothen Sammetpolster, in die Andacht des Schattens versunken. Lucie nahm, ohne nach ihm hinzusehen, ihren Platz ein und richtete die Blicke auf das Bild. Sie hatte sich sehr verändert! Das naive Mädchen aus dem einsamen Forsthause war eine vollendete Dame geworden neben Hortense; das Gesicht unter dem barettartigen Strohhütchen erschien schmäler; das frische Roth der Wangen war zu einem feinen Rosa gedämpft; die braunen Augen schienen größer geworden, aber sie sahen nicht mehr so fragend und staunend in die Welt; es lag ein Ausdruck von stiller Sehnsucht in ihnen. Sie trug ein dunkles, einfaches, aber vorzüglich sitzendes Kostüm; Handschuhe und Stiefel tadellos, und in der Hand hielt sie einen Sonnenschirm mit Elfenbeinstock, den ihr Hortense in den Basars zu Florenz gekauft hatte.

Der Herr neben ihr im grauen Touristenanzug, über welchem er den Feldstecher am Riemen trug, den Strohhut in der Hand, wandte ihr erst jetzt sein von einem blonden Backenbart umrahmtes Gesicht zu, und aufstehend rief er erfreut:

„Sie, mein Fräulein? Und da sitze ich schon eine ganze Weile neben Ihnen, ohne Ahnung davon? Rechnen Sie die Schuld der gebenedeiten Jungfrau zu und verzeihen Sie meine Nachlässigkeit!“

„Mein Gott, auch hier?“ dachte sie.

Er stand noch immer vor ihr. „Wann kamen die Damen nach München?“ fragte er.

„Wir besannen uns anders und gingen an die italienischen Seen. Seit vier Wochen sind wir hier.“

Er lachte belustigt und hob drohend den Finger. „Das heißt auf militärisch: den Feind düpiren!“ – Hinter aller Freundlichkeit dieser blitzenden blauen Augen sah aber doch etwas Ernstes hervor. ‚Was ich will, setze ich durch‘, meinte Lucie darin zu lesen. – „Wie lange will Frau von Löwen hier bleiben?“

„Es ist ganz unbestimmt,“ erwiderte sie aufstehend, und mit einer leichten Verbeugung wandte sie sich dem Ausgange zu. Im nächsten Saal kam ihr Hortense heiter entgegen; sie wickelte eben die Leinwandschürze zusammen.

„Komm,“ sagte sie, „ich freue mich auf die Spazierfahrt.“

Arm in Arm schritten sie die breite Treppe hinab; da fühlte Lucie, wie die Hand der jungen Frau zuckte, und als sie ihr in das Gesicht sah, war es fahl geworden. Ihnen entgegen kam ein hochgewachsener Herr; er trug einen bräunlichen eleganten Sommeranzug, hatte dunkle Augen und Haar und war trotz seines Civils unschwer als Militär zu erkennen. Auf dem breiten Absatz der Treppe trafen sie zusammen; Lucie sah, wie er mit tiefer Verbeugung zur Seite trat und wie die Röthe der Verlegenheit sein Gesicht färbte. Hortense schien den Gruß nicht zu bemerken; sie hatte den Kopf nach der andern Seite gewandt. Unten trat sie hastig zur Garderobe und nahm die leichte Jacke über den Arm. „Komm!“ sagte sie zu Lucie und versuchte während des Gehens vergeblich ihre Handschuhe über die zitternden Finger zu streifen.

„Was ist Dir, Hortense?“ fragte Lucie besorgt, „wer war der Herr?“

„Wilken,“ klang es tonlos.

Lucie faßte unwillkürlich unter den Arm der jungen Frau; so schritten sie über den Platz dem Hôtel zu.

„Der Wagen wartet, gnädige Frau,“ redete der Portier Hortense an.

„Ich fahre nicht,“ sagte sie, „bezahlen Sie den Kutscher und schicken Sie ihn fort, – oder – vielleicht willst Du fahren, Lucie?“

Das Mädchen sah sie vorwurfsvoll an. „Ich bleibe bei Dir.“

(Fortsetzung folgt.)




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 106. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_106.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)