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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Ein verhängnißvolles Blatt.

Erzählung aus den bayerischen Bergen von Anton Freiherrn v. Perfall.
(Fortsetzung.)


Gut’n Abend, Leut!“ sprach Mathias, der soeben erschienen war und mit spöttischen Blicken Anna und Rupert betrachtet hatte.

Nur Reiser erwiederte den Gruß, die andern sahen und hörten nichts. – Jetzt bemerkte ihn Anna.

„Was willst, Mathias?“

„Du wirst jetzt koa Zeit hab’n! A Milch brauchet i, es langt nimmer für ’n Schmarn! Laß Di net stör’n, i kann scho wart’n!“

Anna ward über und über roth, gerade für den Mathias war diese Scene nicht bestimmt. Rupert kehrte sich ärgerlich um.

„Ueberall bist doch um d’ Weg, wo ma Di net braucht! ’s is ja do no net Feierabend!“

Die beiden Männer sahen sich mit gehässigem Ausdruck an. Mathias mit dem echten Germanenkopf, dem rothblonden Bart, den hellblauen Augen, Rupert mit dem südlichen Typus, der dunklen Hautfarbe, dem pechschwarzen Schnurrbart. Die Antipathie der beiden Rassen schien in ihnen verkörpert zu sein.

„No, bei Euch wär’ grad a net Feierabend!“ entgegnete Mathias, „’s giebt all’weil z’ thun im Revier, b’sunders jetz, wo so viel g’wildert wird, wia i hör!“

„Wenn Du da bist, dann fehlt nix im Revier! – Lach nur! A mal geh ’st mir do ei; dann is Feierabend für Di; dafür steh i Dir guat!“ entgegnete Reiser.

Anna war mit dem gefüllten Krug wieder gekommen.

„Was hab’n’s denn allweil mit Dir, Mathias? Laß ihna do de paar Reach (Reh)! Di mach’n s’ net glückli, bist ja sonst a tüchtiga Bua!“

Ueber Mathias’ verdrossenes Antlitz zog es wie Freude bei diesen freundlichen Worten.

„Hast Recht, Anna, ’s is a net halb so arg als ma’s macht, aber, mei Gott, oa Freud’ muaß der Mensch do hab’n, wenn eam sonst All’s g’nomma werd!“

Anna hielt den durchdringenden Blick nicht aus, den Mathias jetzt auf sie richtete. Sie wußte, was er mit dem „All’s“ meinte.

Reiser hatte unterdeß seinen Stutzen genommen und ging zur Thür hinaus.

„I geh mit,“ sagte Rupert und packte zusammen.

„Also am Sunnta, Anna, sieht ma Di auf d’r Post?“

„Dös is g’wiß, Herr Reiser, da darf i net fehl’n! B’hüt Gott mit anand!“ Rupert faßte sie um die Taille und flüsterte ihr etwas in das Ohr, sie nickte zustimmend mit dem Kopfe.

Es war schon Abend geworden, die Felswände drüben erglänzten im rothen Licht, über dem Thale lagerten blaue Schatten, von nah und fern ertönte das melodische Geläute der weidenden Rinder; vom Schlag herauf hörte man den Schall der Axt – da war noch immer nicht Feierabend.

Rupert und Reiser waren bald im Walde verschwunden, sie wollten noch eine Pürsche auf einen Rehbock machen. Mathias ging mit dem Krug abwärts, oft blieb er stehen und sah auf die Alm zurück, aber Anna zeigte sich nicht mehr, sie hatte wohl im Stall zu thun – dann ging er kopfschüttelnd weiter.

„Wenn der Rupert net wär’, wer woaß!“ murmelte er vor sich hin – „wer woaß, was All’s sein kunnt!“

Als er hinunter kam, war die Arbeit beendet; aus dem Dache des Rindenkobels zog schon blauer Rauch empor.

David, der alte Toni und der Klieber saßen um die Herdstelle; Jeder kochte sein Abendbrot auf eigenem Feuer. In den großen Pfannen brodelte das Schmalz. Toni machte sich soeben einen tüchtigen Schmarrn zurecht, während David mit seinen Fuchsaugen den Preßknödeln zusah, wie sie im Schmalze sich blähten und immer brauner wurden. Der Klieber rührte in einem dicken Mehlbrei, daß der Schweiß ihm auf der Stirn stand.

Mathias begnügte sich mit einem Stück Brot, ihm war nicht ums Essen. –

Draußen war die milde Sommernacht eingefallen; der Kauz rief im Buchenwald seinen schwermüthigen Ton; in der Schlucht nebenan rauschte der Bergbach, in den Wipfeln brauste es geheimnißvoll, Leuchtkäfer zogen ihre mystischen Kreise, ein kräftiger Harzgeruch stieg auf von den gefällten Bäumen, und fern am Horizonte zuckte es hie und da elektrisch auf.

Die Leute steckten ihre Pfeifen in Brand, der alte Toni kroch ins Heu, seine alten Knochen bedurften der Ruhe. Da trat Reiser in den Lichtkreis. – Die hohe Gestalt war etwas gebeugt, er hatte einen Rehbock im Rucksack.

„Is Rupert no net da? Wir hab’n uns hier z’sammab’stellt.“

„Werd wohl schwerli mehr komma,“ entgegnete Mathias, der eben mit Kennermiene den Bock prüfte, den Reiser in die Ecke gelegt. „A sauber’s G’wichtl![1] Es freut mi, daß es ’n g’schoss’n habt’s, dem Rupert hätt’ i ’n net vergunnt!“

Auch David machte sich mit dem Bock zu schaffen. „I moan, dös is an alt’r Bekannt’r!“ lispelte er Mathias ins Ohr, „aus ’n Erlgrund, kennst ’n net am G’wichtl?!“

„Wo hab’n’s den g’schoss’n, Herr Reiser?“ fragte er laut den Gehilfen.

„Im Erlgrund, mach’ schon die vierte Pürsch d’rauf!“

David stieß Mathias heimlich in die Seite. Reiser fing nun auch an, sein Abendbrot zu kochen, und David sprang dienstfertig um ihn herum, blies das Feuer auf, holte frisches Wasser und setzte sich dann mit seiner kleinen Holzpfeife in die Ecke.

Mathias ging vor die Thür und blickte gegen die Alm hinauf, die schwarz in den Nachthimmel hineinragte. Das Fenster rechts war beleuchtet – ein kleiner rother Punkt – an dem blieb sein Auge haften. Was dort oben vorgehen mag? Seine Gesichtszüge wurden düster, drohend schüttelte er die geballte Faust hinauf, dann setzte er sich auf einen Baumstumpf und brütete vor sich hin. –

Oben saßen Rupert und Anna in der kleinen sauberen Stube und versprachen sich Treue fürs Leben. Sie hat ihm das Versprechen abgeschmeichelt, die Jägerei lassen und ein tüchtiger Bauer werden zu wollen. Er sagte zu Allem Ja. Er hatte ja jetzt schon die Jagd vergessen über ihren schwarzen Augen. Nächsten Sonntag sollte er bei ihrer Mutter förmlich anhalten und dann auf der „Post“ die Verlobung gefeiert werden. Sie flüsterten und kosten ins Endlose fort. Der rothe Gams war schon längst darüber eingeschlafen, er hatte sich’s im „Kreischter“ bequem gemacht, sein Herr fragte nicht nach ihm. Durch das offene Fenster zog die würzige Nachtluft, ein unbestimmtes Tosen erscholl vom Thal herauf, hier und da schwebte ein Glockenton herein von einem sich bewegenden Rind, – sie merkten’s nicht, daß die Kerze schon heruntergebrannt war, plötzlich erlosch sie, brenzlichen Qualm verbreitend.

Anna ging hinaus, that noch einen Blick gegen den Sternenhimmel, der in erhabener Ruhe über den Berggipfeln sich spannte, sandte einen Juhschrei hinaus in die Nacht in der Ueberfülle ihres Glückes und verschloß die Thür.

Mathias saß noch immer vor dem Kobel. Als der rothe Punkt verschwand, den er zuerst verflucht, ward’s ihm noch ärger zu Muthe. Die Finsterniß erzeugte noch schrecklichere Bilder in seiner Phantasie, und der Juhschrei klang wie Hohn vom Berge.

Er ging in die Hütte und grub sich ins Heu, wo die Anderen schon um die Wette schnarchten. Schlafen konnte er nicht – er starrte in die verglimmende Gluth am Herde.

„Ja, wenn der Rupert net wär’, wer woaß –!“




2.

Ein herrlicher Sonntagmorgen stand über der Rainalm. Die Messingringe an den Milchkübeln draußen vor der Thür blitzten im Sonnenlicht; in der Küche war Alles blank geputzt und gescheuert: die rothblinkenden Kupferpfannen an den Wänden, der große Kessel über dem Herd, die farbigen Tassen und Teller in den Gestellen. Selbst die Leitkuh, die träumerisch in der Nähe der Hütte stand, hatte das breite gestickte Glockenband um, mit dem sie im Frühjahr so stolz auf die Alm gezogen. Aus ihrem rosigen Maul troff es zu beiden Seiten wie Silberfäden; und die

  1. Gewichtl gleich kleines Geweih.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 94. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_094.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)