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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

geregelte Wechsel von Anstrengung und Ruhe, von geistiger und körperlicher Arbeit von dem wohlthuendsten Einfluß.

Ueberblickt man die Lebensweise so vieler geistig Arbeitender, so wird man finden, daß es namentlich das Mißverhältniß zwischen geistiger und körperlicher Arbeit oder das plötzliche Aufgeben gewohnter Anstrengungen ist, welche Störungen des Schlafes unausbleiblich nach sich ziehen. Für alle Diese giebt es kein Mittel, das sicherer gegen Schlaflosigkeit wirkt, als der ausgiebige Gebrauch der Muskelkraft, die körperliche Bewegung. „So viel Bewegung,“ sagt Tristram Shandy, „so viel Leben und Freude“, und man kann hinzufügen „auch so viel Schlaf“. Ob aber diese Bewegung bis zur völligen oder auch nur stärkeren Abspannung fortgesetzt werden soll, wozu häufig mit Rücksicht auf den Schlaf große Neigung besteht, oder nur bis zur eintretenden leichten Ermüdung, muß wieder der Einzelfall entscheiden. Und ebenso muß die Entscheidung, ob diese Bewegung in Spazierengehen, Gartenarbeit, Reiten, Rudern, Schwimmen, Jagen, Turnen, Schlittschuhlaufen etc. bestehen soll, ganz den persönlichen Verhältnissen angepaßt sein. Sehr viel wird von Denen gefehlt, die mäßiges Spazierengehen zumal in ebener Gegend meist für genügend erachten zur Beförderung der Gesundheit und eines naturgemäßen Schlafes. Mit Recht hat man geltend gemacht, daß der Spaziergänger einem Landwirth gleicht, der einen Dritttheil seines Besitzthums bebaut, das Uebrige aber brach liegen läßt. Für Diejenigen, denen Zeit und persönliche Verhältnisse die Ausführung ausgiebiger Bewegungen der oben gedachten Art nicht gestatten, kann ich aus eigener und fremder Erfahrung eine Modifikation der Gymnastik dringend empfehlen, ein Verfahren, das darin besteht, abwechselnd in stehender und knieender Stellung mittelst schwerer, dem individuellen Bedürfniß auzupassender Hanteln, deren Gewicht für den erwachsenen gesunden Menschen auf etwa je acht Pfund festgestellt werden kann, körperliche Bewegungen nach Bedarf täglich oder in Zwischenräumen von mehreren Tagen auszuüben.

Diese Bewegungen, die stets nur kurze Zeit, meist kaum eine Viertelstunde mit angemessenen Unterbrechungen bei kühler Temperatur, reiner Luft, leichter Bekleidung, nie unmittelbar vor oder nach der Mahlzeit oder nach dem Genuß aufregender Getränke, gegen Abend und keinenfalls in später Abendstunde vorzunehmen sind, gewähren bei geeigneter Vorsicht, Schonung und nicht bis zur Uebermüdung fortgesetzt, die günstigsten Erfolge. Bei Solchen, die zu Herzklopfen, Kurzathmigkeit bei Vornahme körperlicher Bewegungen neigen, erscheint eine Berathung des Arztes unerläßlich, da durch übertriebene, einseitige körperliche Anstrengung leicht Nachtheile entstehen und da Zustände vorhanden sein können, welche die Anwendung unseres Verfahrens geradezu verbieten oder nur mit Vorsicht gestatten. Namentlich das weibliche Geschlecht ist im Allgemeinen für Muskelanstrengungen weniger geeignet, und dürften für dasselbe vorkommenden Falles die im Nachfolgenden zu ertheilenden Rathschläge im Allgemeinen als empfehlenswerth sich erweisen.

Zum Herbeiführen des Schlafes ist der Nervenreiz, den die Kälte, die Anwendung des kalten Wassers, hervorbringt, mit Vortheil zu verwerthen. Als kaltes Wasser ist hierbei das unter 25° C. befindliche anzusehen und sind im Allgemeinen folgende Bezeichnungen für die verschiedenen Abstufungen üblich: Wasser von 0 bis 5° C. als eiskalt, 5 bis 10° sehr kalt, 10 bis 15° kalt, 15 bis 20° mäßig kalt, 20 bis 25° kühl, über 25° temperirt. Für unseren Zweck wird sich meist die Anwendung mäßig kalter oder kühler Temperaturen empfehlen. Da der Kältereiz um so stärker, um so erschlaffender wirkt, je näher er dem Gehirn angebracht wird, so erweist sich zunächst ein kalter Kopfumschlag, das heißt ein in mäßig kaltes Wasser getauchtes, ausgepreßtes, in einfacher, höchstens zweifacher Schicht über einander liegendes leinenes Tuch oft von vorzüglicher schlafmachender Wirkung, insbesondere für sensible Frauen. In ähnlicher Weise wirken kühlende Brustumschläge namentlich bei bestehender Herzaufregung günstig. Solche, die mit der Prießnitz’schen Wasserkur vertraut sind, mögen die feuchtkalte Leibbinde, Einwickelungen, Abreibungen mit naßkalten Tüchern, Sitzbäder, kalte Vollbäder, kalte Uebergießungen, Douchen in den verschiedensten Modifikationen und Temperaturen mit Vortheil verwenden.

Eine rasche kalte Abreibung des Körpers vor Schlafengehen ist namentlich zur heißen Jahreszeit bei Schlaflosigkeit in der Regel von ausgezeichnetem Erfolge. Ich verordne sie an heißen Tagen an Stelle der empfohlenen ausgiebigen Körperbewegung. Personen, die zur Schlaflosigkeit neigen, sollten zu dieser Zeit stets ein Gefäß mit frischem Wasser im Schlafzimmer bereit halten, um erforderlichen Falles eine derartige Abwaschung vorzunehmen. Für Solche, denen die Anwendung der Kälte nicht zusagt, bringt oft ein warmes Bad den gewünschten Erfolg.

Als ein wunderbar wirkendes, mächtiges, inneres Hilfsmittel zur Herbeiführung des Schlafes ist der Gemüthszustand anzusehen. Es ist daher sehr wichtig für einen gesunden Schlaf, daß man in ruhiger Gemüthsverfassung zu Bett gehe. Man muß mit den Kleidern alle Sorgen und Lasten des Tages ablegen. Alle Aufregungen wirken vor dem Schlafengehen schädlich; Seelenruhe und Gleichmuth sind dagegen erwünscht. Leider ist dies leichter gesagt, als gethan; man achte aber vorzüglich bei Kindern darauf, daß man, wie es oft zu geschehen pflegt, beim Entkleiden derselben nicht zu viel mit ihnen scherze, sie zum heftigen Lachen reize oder ihre Phantasie durch schauerliche Erzählungen errege.

In der Einwirkung auf den Gemüthszustand sind auch manche Methoden begründet, die dahin zielen, durch Fixiren der Aufmerksamkeit auf gewisse Vorgänge und Gegenstände beruhigend und einschläfernd zu wirken. Hierher gehört z. B. Gardner’s Methode, Schlaf zu machen. Man athmet bei geschlossenem Mund auf der rechten Seite liegend tief ein und sucht die ganze Aufmerksamkeit nur auf das Athmen zu richten, z. B. auf den Eintritt der Luft von der Nase bis in die Lungen und von da wieder heraus, während alle anderen Gedanken fern gehalten werden.

Aehnlichen Einfluß hat oft das beständige Zählen von 1 bis 10 und rückwärts, das Recitiren eines wohlbekannten Gedichts. Alle diese Verfahrungsweisen wirken durch Ablenkung der Aufmerksamkeit, der Seelenthätigkeit, des Denkens. Aber gerade den Denkern, für welche sie empfohlen sind, ist es oft selbst beim Einschlafen schwer, nichts oder an gleichgültige Dinge zu denken.

Zur Herbeiführung eines genügenden Schlafes bedient man sich vielfach auch gewisser Substanzen, welche in einer uns noch nicht nach allen Richtungen hin ausreichend bekannten Weise auf das Nervensystem wirken, die Thätigkeit desselben hemmen, Beruhigung und Erschlaffung bedingen. Hierher gehört vor Allem der Alkohol. Die Wirkung des Alkohols, mag er in Form von Bier, Wein oder anderer geistiger Getränke genossen werden, ist jedoch eine ganz verschiedene und oft entgegengesetzte, je nach der eingeführten Menge. Es giebt eine große Anzahl von Personen, die nicht schlafen können, bevor sie nicht eine gewisse Menge alkoholischer Getränke genossen. Für einen gesunden Körper sind sie entbehrlich. Immerhin wirkt ein mäßiger Genuß nicht schädlich. Unmäßigkeit auch im Genuß geistiger Getränke verscheucht allmählich den Schlaf, anstatt ihn zu befördern.

Ein anderes Schlafmittel, von dessen Anwendung ich oftmals bei Solchen, die nicht an den Genuß alkoholischer Getränke gewöhnt sind, sehr günstige Erfolge gesehen, ist das Legen des Kopfes auf ein mit Hopfen gefülltes Kissen. In England ist dieses Verfahren schon seit längerer Zeit in Gebrauch, und man erzählt sich, daß im Jahre 1871, als gelegentlich der schweren Erkrankung des Prinzen von Wales eine allen angestrengten Bemühungen der Aerzte trotzende Schlaflosigkeit in hohem Grade beängstigend und aufreibend wirkte, die Anwendung dieses einfachen Mittels den längst ersehnten Schlaf herbeiführte.

Von ärztlicher Seite ist neuerdings auf Grund physiologischer Erwägungen die Anwendung der Milchsäure als Schlafmittel empfohlen worden. Bei Manchen wirkt sie vorzüglich. Schon in der Form von ein bis zwei Tellern dicker Milch, des Abends genossen, ruft sie bei einzelnen, schlecht schlafenden Personen einen anhaltenden, gesunden Schlaf hervor.

Uebersieht man die große Reihe der von uns zur Verhütung der Schlaflosigkeit angegebenen Mittel und Methoden, so sollte man glauben, daß es kaum jemals beim Gesunden zur Beförderung des Schlafes der Anwendung gewisser Arzneimittel bedürfe, die nur in die Hände des Arztes gehören und deren Mißbrauch die schlimmsten Folgen haben kann. Wir nehmen hier Gelegenheit, vor dem Gebrauche aller dieser Mittel, Opium, Chloroform, Morphium, Belladonna etc. eindringlich zu warnen. Gerade in dem letzten Jahrzehnt hat die unberufene Anwendung einer Menge dieser Mittel zur Erzielung des Schlafes auch bei Gesunden

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 90. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_090.jpg&oldid=- (Version vom 13.2.2023)