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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Wartezimmer und Arbeitsstube. Wieder stand er und betrachtete vom Eckfenster aus die Sandsteinstufen die zur Hausthür emporführten. Es ist so ein eignes Haus wie ein lebendiges Wesen. „Wir gehören nun zusammen, wir erleben gemeinschaftlich, was da kommt,“ spricht es. Und des Mannes Gedanken flogen in die Zukunft; wird das Glück mit uns einziehen über diese Schwelle? Wird die Zufriedenheit hier bei uns wohnen? Die Zufriedenheit und der süße Gottesgast, der Friede?

Es war ihm wunderbar weich ums Herz in diesem Augenblick. Unter den Bäumen dort drüben sah er im Geiste ein liebliches blondes Weib, rosige gesunde Kinder, ein trautes stilles Glück. Er fuhr sich plötzlich über die Augen, da stand sie ja wirklich im lichten Sommerkleide, die Augen auf die Hausthür gerichtet, aber nicht wie er sie eben gesehen. Die weichen Züge hatten einen fast verstörten angstvollen Ausdruck.

Er bemerkte es nicht. Er ging hinaus ihr entgegen. „Willkommen!“ sagte er einfach, „das ist nun unser Heim!“

Sie gab ihm flüchtig die Hand. „Ist Tante mit hier?“ Und als er verneinte, blieb sie zögernd stehen.

„Ich meinte, wir Beide, die wir hier wohnen sollen, würden besser allein einig über die Bestimmung der Zimmer. Ich liebe das Dazwischenreden Anderer nicht.“ sagte er und trat zur Seite, um sie in die Thür gehen zu lassen. „Du sollst allein bestimmen.“

Sie traten Beide in das Haus.

„Sieh, die Pforte zu Deinem Reich steht offen,“ sprach er, auf die Küche deutend. „Willst Du nicht hineingehen?“

Sie war mitten im Flur stehen gehlieben; nun schüttelte sie leise den Kopf.

„So wollen wir mit den oberen Räumlichkeiten beginnen.“

Gehorsam schritt sie die mäßig breite Holztreppe hinan und trat in ein völlig leeres Zimmer. Die Fenster gingen nach der Hinterseite, hohe Bäume vor den Fenstern schufen ein fast spukhaftes Dämmerlicht in diesem Raume, und unter ihren Zweigen hinweg sah man über einen schmalen Grasplatz auf das stille, langsame Flüßchen, das, hier die Grenze des Gartens bildend, die Stadt durchzieht.

Es war ihr, als sollte sie ersticken in dem niedrigen kleinen Gemach. Sie fand keine Worte.

„Gefällt es Dir?“ fragte er.

„Ja,“ sagte sie tonlos.

Er war neben sie getreten, und wie er sie so stehen sah, den Kopf von ihm abgewandt, die kleine bebende Hand an den Fenstergriff gelegt, da war es, als ob den sonst so ruhigen Mann plötzlich die Leidenschaft packte in dieser heimlichen Stille und Einsamkeit, wo die selige Zukunft aus jedem Winkel des Hauses lugte, aus jedem Blatt des Gartens winkte. Er zog das Mädchen in seine Arme und küßte ihren Mund so heiß, wie nie bisher.

Empört stieß sie ihn zurück.

„Lucie!“ sagte er vorwurfsvoll, und sich herunterbeugend sah er in ihr Gesicht. Er erschrak, so grünlich bleich schaute es ihn an. „Was fehlt Dir? Bist Du krank?“

„Nein!“

„So bist Du psychisch leidend. Warum sprichst Du Dich nicht aus, Lucie? Was ist Dir? Sage es mir! Du bist furchtbar verändert seit ein paar Wochen.“ fuhr er fort, „ich habe Dich nie mehr lachen hören – fühlst Du Dich unglücklich?“

Sie sah an ihm vorüber und schüttelte den Kopf. Todeseinsam war es um sie herum.

„Ich denke, es ist das Beste,“ nahm er wieder das Wort, „wir beeilen uns mit dem Fertigstellen unseres Heims, und Du kommst dann zu mir; ich –“

Eine jähe Röthe färbte ihr Gesicht. „O nein, nein!“ stammelte sie.

Ueberrascht blickte er auf. „Was hat dieses ‚Nein!‘ für eine Bedeutung?“

Sie preßte die Lippen auf einander und athmete schwer, in ihren Augen lag es plötzlich wie stumme Entschlossenheit.

Warum dies ‚Nein‘?“ fragte er noch einmal. „Freust Du Dich nicht mehr auf Dein Heim?“

Selbst eine harmlosere Natur hätte diese heiße Röthe nicht für mädchenhafte Scham halten können.

„Antworte,“ rief er heftig, „was heißt dies ‚Nein‘? Reut Dich Dein Wort?“

Einen Augenblick flog es wie zuckender Schreck durch ihre Glieder, dann neigte sie stumm den Kopf, ein langes unheimliches Schweigen entstand. An den Fensterscheiben trieb ein Falter sein Spiel, der sich hier hereinverirrt; man hörte in dem schwülen Gemache nur das leise Schwirren der Flügel und das Stoßen des Thieres gegen die durchsichtigen Schranken.

„Du irrtest Dich also? Du möchtest Deine Freiheit wieder haben?“ kam es endlich klanglos von seinen Lippen. Mit der Rechten stützte er sich schwer auf das Fensterbrett.

„Ja, ich irrte mich!“ sagte sie leise.

Wieder eine lange Pause.

„Dann – ja, dann!“ sprach er mühsam. „Und was nun?“

„Ich weiß es nicht.“

„Warum? Warum?“ rief er auf einmal laut und schmerzlich. Und als sie nichts erwiederte, fragte er noch einmal: „Weil Du mich nicht liebst?“

„Ja! – Nicht so wie – wie – – und Du mich auch nicht!“

„Ich Dich nicht, Lucie? Ich Dich nicht?“

Sie nickte trotzig. Du wolltest ja, daß wir uns kennen lernen sollten. Es ist gut so gewesen –.“

„Gut so!“ wiederholte er mechanisch.

Sie hielt die Augen gesenkt, sie wollte ihn nicht ansehen; es mußte ein Ende werden um jeden Preis. Er rührte sich lange nicht; endlich wandte er sich, ging zu dem nächsten Fenster und befreite den Schmetterling. „Komm!“ sagte er dann fast rauh.

Sie schritten die Treppe hinunter und aus dem Hause. Mit fester Hand drehte er den Schlüssel um. „Und was nun?“ fragte er noch einmal.

„Ich gehe zu Hortense – und werde meiner Schwester schreiben.“

„Zu Frau von Löwen?“

Sie hatte während der letzten Minuten eifrig und hastig an ihrem Verlobungsring gedreht.

„Auch das noch!“ sagte er, „gieb her!“ – Die beiden Ringe tauschten sich in ihren zitternden Händen aus. Die letzte flüchtige Berührung.

„Vergieb mir!“ bat sie stockend, mit unbeweglichem blassem Gesichte.

Er antwortete nicht. So schritten sie mit einander dem Ausgange zu; hinter ihnen schloß sich die Pforte des Gartens, und just in diesem Augenblick zerrissen die Wolken vor der Abendsonne und tauchten Haus und Bäume in ein rosiges zauberhaftes Licht, daß es aussah wie ein Märchendaheim.

Sie sahen es Beide. Sie standen da, als habe der Engel sie aus dem Paradiese vertrieben. Vielleicht in diesem Augenblick – wenn sie noch einmal zu ihm aufgesehen –? Sie wandte sich rasch, und ohne ein Wort ging sie nach rechts, er nach links. Sie mit wankenden unsicheren Schritten, die erst allmählich erstarkten; er hoch aufgerichtet und gerade.

(Fortsetzung folgt.)




Ueber den Schlaf und die Verhütung der Schlaflosigkeit.

Von Dr. A. Kühner, prakt. Arzt in Frankfurt am Main.
(Schluß.)


Die Mittel zur Verhütung der Schlaflosigkeit sind ebenso vielfältig, wie die Ursachen ihrer Entstehung. In dem einen Fall wird es gelingen, durch Enthaltsamkeit oder Beschränkung in dem Genuß gewisser schädlicher Substanzen, durch Vermeidung der Aufnahme einer reichlichen oder späten Abendmahlzeit den naturgemäßen Schlaf herbeizuführen; in andern Fällen wird ein kühleres Lager oder Zimmer den erwünschten Erfolg bringen, vor Allem aber erweist sich ein angemessenes Verhalten während des Tages und insbesondere in späten Abendstunden, die Beschränkung geistiger

und mechanischer Beschäftigung zu dieser Zeit oder überhaupt, der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 88. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_088.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)