Seite:Die Gartenlaube (1887) 080.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Ein verhängnißvolles Blatt.

Erzählung aus den bayerischen Bergen von Anton Freiherrn v. Perfall.
1.

Durch den im glühenden Sonnenlicht ruhenden Buchenwald am Bergabhang schallt Axthieb, das Kreischen einer Säge, und hier und da weckt ein rauschender Fall, von dem Krachen zersplitterten Holzes begleitet, das Echo in den gegenüberliegenden schroffen Wänden. Der längst überständige Buchenwald am Grünberg ist heuer vom Oberförster in S… zum Abtriebe bestimmt. Bis der erste Schnee fällt, muß die ganze Arbeit gethan sein; jetzt ist schon Ende Juli, und noch wogt überall das grüne Laubdach, den nahen Tod nicht ahnend.

Auf dem Schlagplatz sieht es aus wie auf einem Schlachtfelde! Uralte Buchen liegen gefällt kreuz und quer, von den einen nur noch der Rumpf, der nackte Stamm, andere ächzen eben unter den wuchtigen Axthieben zweier kräftiger Bursche, die das Geäst abhacken. Bereits in gleich lange Stücke zerschnittene sind die steile Berglehne hinabgerollt und sammeln sich unten in wirrem Haufen; die gelbbraunen Schnittflächen blitzen wie polirt herauf – das Brennholz! Stämme von besonders edlem, geradem Wuchse sind der Rinde beraubt und glänzen hell im Sonnenlichte – das Bauholz!

Die zwei Burschen hieben mit einer wahren Wuth, daß die kleinen Aeste oft weit davon sprangen. Aus dem groben Hemde blickte die braune behaarte Brust, man sah jede Muskel anschwellen beim Heben der Axt. Kurze Lederhosen, unzählige Male mit grobem Zwirn geflickt, in allen möglichen Farben spielend, in denen das ursprüngliche Schwarz kaum mehr zu erkennen war, bedeckten das Bein bis an die Kniee, die dunkelbraun aus den grobwollenen Strümpfen hervorsahen.

Von unten herauf, wo die geschnittenen Blöcke sich angesammelt, ertönte der Axtschlag des Kliebers, der mit dem Keil die Blöcke spaltete, von oben das Gekreisch der Säge, welche zwei Holzknechte automatisch hin und her bewegten. Aus dem Einschnitt spritzten die Sägespähne links und rechts, immer tiefer fraßen die gierigen Zähne in das saftige Fleisch.

„Obacht, Mathias,“ ruft jetzt einer der Männer, „sonst druckt’s uns ’s Blatt ab. Die Keil’ her und trau dem Tropf’n net!“ Dabei sah er prüfend in die Wipfel der Buche, „wenn er über ’n Stock einirennt, kann’s an Fuß kost’n.“

Der Angesprochene, ein junger hochgebauter Mann mit üppigem blonden Vollbarte, folgte dem Rath und holte die eisenbeschlagenen Keile. Mit wuchtigen Hieben, deren Echo die Wände drüben scharf wiederhallten, trieb sie der Alte in den Schnitt ein.

„Obacht, Tony, er kimmt!“ rief der Jüngere; der Alte sprang auf die Seite – der Baum neigte sich zuerst langsam; dann stürzte er, die Luft durchschneidend, mit einem dumpfen Krach zu Boden! Im den Bergen antwortete es, von Schlucht zu Schlucht vergrollemd – wie Ehrensalven für den zweihundertjährigen tapferen Kämpen in Sturm und Ungewitter!

Die Beiden wischten sich den Schweiß, der von der Stirn, von dem durchnäßten Haar, von dem Nasenrücken herabträufelte, mit den unförmlichen Händen ab. Auch die Andern rasteten einen Augenblick; nur der Klieber unten hieb noch wacker drauf los, als gälte es, Franzosenköpfe zu spalten.

„Hast noch a Bisl an Schnaps?“ rief der Eine zu Mathias herauf, ein kleiner magerer Kerl, dem man die Kraft nicht zutraute, mit der er die Axt eben schwang.

„Nix mehr, David,“ dabei winkte Mathias mit der leeren Flasche. „Im Kob’l[1] is no eppas, trink a Wasser, das giebt Kraft! Bei dem Verdienst leid’s so kan Schnaps mehr! Bei dem schiach’n Holz vierundfünfzig Pfennig für’n Kubikmeter – da kannst’ D’r d’ Seel aus’n Leib außa hak’n und derhakst da no nix! – No – wenn heut’ der Forstner kimmt, sag i’s ihm frisch weg!“

„Und wann er da ist,“ erwiederte David, „sagst do nix! Immer die alte G’schicht; ös habt’s d’ Schneid net dazua!“

Der Alte mit der Säge hatte sich unterdeß auf einen Stumpf niedergesetzt und stopfte seine Pfeife, mit zwei Fingern in einer riesigen vergilbten Schweinsblase herumgrabend. Er lachte still vor sich hin bei dem Gespräch der Jungen.

„Für enk langt’s nacher a net,“ begann er, „ös versauft’s do am Sunnta all’s und verthuat’s es mit die Madeln. I bi an alt’r Loda[2] und arbeit dreißig Jahr auf dem Revier, es war ender schlechter wia jetz’ und daspart hab’ i’ mir dengerscht a bisei was fur die alt’n Tag. Hab a koa Bier g’sehn den ganz’n Summa –“

„Und wohl a koa Madl,“ fiel der Mathias lachend ein, „da bin i net dabei, Toni, i net!“

„Und i a net,“ rief der Kleine herauf, „freu’ mi jetz scho am Sunnta.“

„Und was willst am Sunnta?“ fragte Mathias.

„Tanz’n, Mathias, tanz’n, daß d’ alte Post unt’n wacklat wird!“ dabei schlug er auf die Schenkel und schnackelte mit der Zunge.

„Und mit wem willst denn gehn?“ führ Mathias lachend fort, „mit der Anna a mal net!“

„Und Du a net!“ fiel David ein, „dafür werd der Rupert sorg’n, Dei guater Freund! Er is grad ob’n bei ihr!“ Er deutete auf die Höhe, wo ein grüner Almenfleck sich saftig an das dunkle Himmelsblau anfügte. Der Giebel einer Almenhütte ragte fast schwarz daraus hervor. „Und bitt’s zum Tanz für nächst’n Sunnta, i hab’n g’seh’n wia i Butt’r g’holt hab’!“

„Oben is er?!“ Das Gesicht des Mathias verlor den früheren gutmüthigen Ausdruck, und unwillkürlich sah er auch hinauf. „Na! weg’n meina gnua! Und am Sunnta geht er mit der Anna zum Tanz nach S…?“

„Freili,“ erwiederte David, „hab’s ja selber g’hört, wia sie’s mit anand ausg’macht hab’n!“

„A netta Jaga! Am Sunnta zum Tanz gehn! I hab’ nix dageg’n,“ fügte er hinzu, „mir is glei liab’r so, nacher bleib’ i da!“

„Gieb Obacht, Mathias!“ David winkte mit dem Finger, „dem Rupert is net z’traun, der hat lange Füaß, in oaner Stund geht er auffi von S…!“

Der Alte erhob sich kopfschüttelnd und ging wieder an die Arbeit, dem nächsten Buchenstamme zu, der jetzt fallen sollte.

Mathias kerbte ihn auf der Seite, nach der er stürzen sollte, mit einigen Beilhieben ein. David und der Andere hieben wieder mit neuem Eifer drauf los. Ein Schwarzspecht ließ seinen klagenden Ruf vernehmen, Witterungswechsel verkündend. Die Säge knarrte wieder, sonst regte sich kein Leben in der Mittagshitze.

Die Männer merkten es in ihrem Eifer gar nicht, daß unterdeß ein junger untersetzter Mann in Jägertracht auf die Lichtung hinausgetreten war. Die graue Joppe mit dem gestickten Eichenzweig auf dem grünen Kragen, das Emblem mit der Krone am verwitterten Hut, den die Spielhahnfeder zierte, ließen in ihm den Forstmann erkennen. Es war der Gehilfe Reiser aus S… Das männliche Braun seines Antlitzes, der kohlschwarze mächtige Vollbart gaben ihm etwas Martialisches, aber eine gewisse Koketterie, mit welcher er das flotte Hütchen auf dem schwarzen wolligen Haar trug, stimmte nicht gut dazu. Auf einen mächtigen Bergstock sich stützend, den linken Arm auf die Büchse gelehnt, schaute er lange unbeobachtet der Arbeit zu. Sein schwarzer „Dachsel“ mit braunen Läufen war auf einen Stamm gesprungen und betrachtete von da aus bald die Arbeiter, bald fragend seinen Herrn, was er denn eigentlich wolle.

Plötzlich zog dieser einen gelben Maßstab hervor und legte denselben prüfend an einen abgeschnittenen Block, der eben abgerutscht und vor ihm an einem alten Stock hängen geblieben war.

„Mathias,“ rief er. „Was soll das heiß’n? Da sind schon wieder einige zu kurz abg’schnitt’n. Könnt Ihr denn net aufpass’n? Ihr wißt, daß der Förster es g’nau damit nimmt! Habt Ihr denn keine Aug’n im Kopf? Ich glaub’, Du hast Deine Gedank’n wieder wo anders, Mathias! Nimm Dich in Acht, es kost Dir sonst Dei Brot!“

Dieser sägte ruhig weiter und entgegnete kein Wort; Toni hörte so weit überhaupt nichts.

Der Forstgehilfe ging zu David, der ihm eine Prise aus der Birkendose bot.

  1. Kob’l gleich Rindenhütte.
  2. Loder gleich Geselle.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 80. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_080.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)