Seite:Die Gartenlaube (1887) 059.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

zu berichten, damit Du es schön bequem hast, Dich auf anderer Leute Kosten zur praktischen Hausfrau heranzubilden. Und wenn ich Dir getreulich und haarklein berichte, so ist auch ein Bischen Egoismus dabei; denn Hugo, das habe ich mir geschworen, soll von häuslichen Kalamitäten so wenig als möglich erfahren. Mama mag ich auch nicht beunruhigen, aber eine vertraute Seele muß ich haben, der ich beichten kann!

Seit ich hier bin und Wirthschaftsgeld habe und sehe, wie schnell ich mit zehn Mark immer fertig bin, kommen mir auch finanzielle Gedanken. Nicht eigentlich Sorgen, wir haben zu leben, aber brillant sind unsere Verhältnisse gerade nicht, die Mama hat darin den Bekannten gegenüber ein Bischen übertrieben, weil sie immer sagt: besser Neider, als Mitleider! Und daß sie meine Ausstattung elegant machen ließ, das war gewiß sehr recht; man richtet sich doch nur einmal ein, und alle meine Freundinnen hatten es eben so. Du solltest nur einmal meinen kleinen Salon sehen. Reizend, sage ich Dir, mit den türkischen Vorhängen und Kameltaschen-Fauteuils! Ich kniee jeden Morgen eine Viertelstunde vor der kleinen japanischen Ausstellung, die auf dem lackirten Schränkchen aufgebaut ist. Hugo sagt zwar, er könne den Nutzen von Porcellanaffen und kupfernen Kröten im Wohnzimmer nicht einsehen, aber das macht mich nicht irre. Nebenan im Eßzimmer steht dann das wundervolle große Büffett und die hohen geschnitzten Sessel – Alles so pikfein! Die Menschen waren ja vermuthlich früher auch nicht unglücklich in ihren altmodischen, häßlichen Möbeln, aber so glücklich wie wir können sie sich nicht gefühlt haben!

Eines ist ärgerlich: wir werden leider nicht oft Gäste von unserem Prachtbüffett bewirthen können. Gestern haben wir unseren Jahresüberschlag gemacht. Hugo’s Assessorgehalt und meine Zinsen (Papa konnte eben auch nicht so viel für mich abgeben, wir sind ja Vier!), also das zusammen macht im Jahre beinahe viertausendfünfhundert Mark aus; davon soll man als gute Hausfrau hier in Neustadt ausgezeichnet wirthschaften können. Wenn man nur erst diese gute Hausfrau wäre!

Mama gab mir ein, wie sie sagt, ausgezeichnetes Kochbuch mit als Rath für alle zweifelhaften Fälle. Ich habe es wiederholt schon heimlich konsultirt, um vor meiner als sehr brav und ehrlich berühmten, aber herzlich unkultivirten Rike mit der gehörigen Festigkeit auftreten zu können. Aber das, was ich suchte, stand leider nicht darin.

Solltest Du’s zum Beispiel glauben, daß ich mir seit gestern den Kopf zerbreche, um heraus zu bringen, wie man eigentlich das Zimmerreinemachen angeben muß? Lächerlich, nicht wahr? Aber wenn man es eben nicht weiß!

Daß die meinigen nicht ordentlich gemacht sind, soviel sehe ich, aber ich suche umsonst in meiner Erinnerung, wie das bei uns zu Hause angestellt wurde. Ich weiß nur so viel: wenn wir drei Mädels Morgens zum Frühstück kamen, saß die Mama hinter der Kaffeemaschine und das Zimmer war rein und warm. Dann gab es zwei Stunden lang draußen und in den Stuben ein Herumfahren mit Besen und Wischlappen, es wurde geklopft und gebürstet, und man stolperte im Dunkeln im Hausflur über die Putzkübel. Das ist meine ganze Erinnerung, denn Morgens spielte ich immer Klavier und ging dann in meine Stunden. Aber jetzt gäbe ich viel darum, wenn mich Mama einmal so gründlich den „Stubendienst“ gelehrt hätte, wie sie das immer mit den neuen Mädchen that, die wir bekamen! Dann wüßte ich jetzt, wann gekehrt und wann naß abgewaschen wird, und hätte nicht ein unbestimmtes Angstgefühl bei dem Worte „Putzerei“. Die tritt ja wohl von Zeit zu Zeit mit einer gewissen Regelmäßigkeit ein, aber woran merkt man, daß es Zeit ist? Ich habe keine Ahnung davon und vor meiner Rike will ich mich nicht durch falsche Angaben blamiren, lieber warte ich, bis sie von selbst zu putzen anfängt!

Aber das könnte vielleicht lange dauern. Heute Morgen, als ich ins Eßzimmer trat, war es sehr warm, aber schlechte Luft darin, der Boden zeigte lange Streifen und auf den Möbeln lag der Staub bereits in der Höhe meiner Nase (Du weißt, daß dies keine sehr beträchtliche Erhebung ist). Hugo merkte glücklicher Weise nichts; er war während des Frühstücks so fröhlich und übermüthig, daß er mir vorschlug, die prachtvolle Krystallbowle als Opfer für den „Neid der Unterirdischen“ aus dem Fenster zu werfen. Als er nun auf sein Bureau gegangen war, holte ich mir Rike herein, um ihr zu sagen, das Zimmer sei nicht gut gemacht. Ich hütete mich wohl, vom „Kehren“ oder „Aufwaschen“ zu sprechen, weil ich nicht wußte, welches von Beiden zu geschehen habe. Darauf schrie sie mir in wirklich ganz grobem Tone zu: „Jetzt mach’ ich schon sechzehn Jahre die Zimmer bei den feinsten Herrschaften, und jetzt soll’s auf einmal nicht recht sein!“ Fuhr hinaus und schlug die Thür hinter sich zu, und ich hörte absichtlich nicht auf die abgebrochenen Worte, die noch einige Minuten lang hereindrangen.

In unserer großen Stadt sind doch die Dienstboten viel artiger. Aber hier in dem kleinen Nest – und diese ist von der Hauswirthin noch extra als „Juwel“ engagirt worden! Nun, sie kann wenigstens kochen, das ist ein Trost, und ich gedenke, es ihr so schnell als möglich abzusehen. Hugo hat mir freilich oft gesagt: Du brauchst nicht zu kochen, dafür giebt es Dienstboten! Aber gestern, als ich Rike wegen nothwendiger Besorgungen Vormittags ausschicken mußte, und in ihrer Abwesenheit nur Feuer anmachen und das Fleisch zusetzen wollte, und es gar nicht hinbrachte und dreimal die rauchenden Steinkohlen wieder aus dem Herd herausholen mußte – da hatte ich Mühe, die Thränen zurückzuhalten. Als sie kam, brannte es in fünf Minuten, aber die Zeit zum Zusetzen des Fleisches war längst vorüber, es kam hart auf den Tisch, und Hugo machte ein kurioses Gesicht. Das war mir schrecklich, ich fühlte mich so beschämt, aber er tröstete mich, er ist so unendlich gut und lieb!

Einen Weg wüßte ich, um mir Rath zu holen, aber ich scheue mich zu sehr davor. Du hast wohl gehört, daß meines Mannes Mutter hier lebt, nicht bei uns im Hause, aber ganz in der Nähe; zu ihr könnte ich wohl gehen, doch gerade sie soll mich nicht in meiner jetzigen Unbehilflichkeit sehen und ihren Sohn wegen seiner unpraktischen Frau bedauern. Meine Mama sagte mir beim Abschied: „Emmy, sei klug der Schwiegermutter gegenüber! Immer Distanz und keine Einmischung, sonst wirst Du die Sklavin in Deinem Hause! Und wenn sie auch hierin vielleicht ein wenig zu weit geht, denn böse sieht die Frau Regierungsrath (ich kann sie nicht Mutter nennen!) nicht gerade aus – so hat sie doch Etwas in ihrem strengen Blick, das mir das Herz zusammenzieht. Ich bin ganz sicher, daß sie mich nicht leiden mag – das sage ich auch nur Dir, liebste Marie, aber es ist gewiß so. Vorigen Winter, als mich Hugo nach unserer Verlobung zu ihr brachte, glaubst Du, sie wäre auch nur ein Bischen aufgethaut? Nein, sie verlor ihr feierliches Wesen keinen Moment, und ich hatte das Gefühl, daß sie mit einer völlig strafenden Miene den Vogel auf meinem Hut und das reizende Theerosenbouquett betrachtete, welches meinen Muff verzierte. Du weißt, auf mein Gefühl kann ich mich unbedingt verlassen, es sagte mir in jenem Augenblick, daß niemals zwischen uns ein herzliches Verhältniß sein wird, daß sie mich mit Abneigung betrachtet, vielleicht eben, weil sie ihren Sohn so zärtlich liebt. Vor ihm darf ich auch alles Dies nicht laut werden lassen, er verehrt sie grenzenlos und sagte mir schon zwei Tage nach der Hochzeit: „Wenn Du es erreichst, meiner Mutter ähnlich zu werden, Herzensschatz, so bist Du der Vollkommenheit nahe.“

Wenn Einen nur nicht so frieren würde neben dieser Vollkommenheit!

Nein, mein Herz schlägt in wärmeren Pulsen:

„Die Welten dreh’n sich all um Liebe,
Lieb’ ist ihr Leben, Lieb’ ihr Tod,
Und um mich wogt ein Weltgetriebe
Von Liebeslust und Liebesnoth!“ …

Das Letztere ist nun freilich nicht gerade wörtlich zu nehmen, aber es klingt doch reizend. Weißt Du was? Ich möchte einmal eine rechte Liebesnoth haben, so eine Situation, wo man mit Gefahr seines Lebens den Geliebten rettet, oder sein Vermögen für ihn hingiebt, oder sich einer glücklicheren Nebenbuhlerin opf– nein, das lieber doch nicht!

Der Schlosser, die Rike, der Laufbursche aus dem Materialwaarenladen, Hugo’s alter Pintscher, Alles durch einander rufend, schreiend, bellend – und schon halb ein Uhr – ich noch im Schlafrock – und Hugo kann in fünf Minuten da sein! Leb’ wohl, schnellstens lebe wohl!
 Deine Emmy.




Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 59. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_059.jpg&oldid=- (Version vom 14.5.2023)