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verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Jagdzimmern für den Hof und die Gäste, enthält der zweistöckige Bau noch im Erdgeschoß die Wohnränme des jetzigen Jagdzeuginspektors.

Von Joachim II. an sind alle Hohenzollern hier oft und gern aus- und eingegangen. Die Nähe der Residenz, der ausgezeichnete Jagdgrund mit seinem herrlichen Wechsel von Wald und Wasser mögen zum guten Theil diese Gunst bewirkt haben. Auch der große Kurfürst liebte es, mit reichem Gefolge hier manchmal Einkehr zu halten, mit ihm sein Hofpoet, der märkische Dichter Nikolaus Peucker.

Jagdschloß Grunewald in seiner Abgeschiedenheit, der malerischen Lage am blauen See, ist schön. Der Blick von den Uferhöhen droben unter den moosbefranzten, leise rauschenden Kiefern über das in lichtes Grün gebettete, giebelgekrönte Schloß, den leuchtenden See mit seinen schilfumgürteten Buchten, bietet ein Bild echt märkischer Poesie. Aber noch ein Anderes ist’s, das dieser Stätte einen unsagbaren Zauber verleiht. Es ist der Schatten einer unglücklichen Frau, die zu mitternächtiger Stunde händeringend durch die öden, dunklen Räume irrt.

Anna Sydow, genannt „die schöne Gießerin“, die Wittwe des Stückgießers Dietrich, deren tragisches Ende noch heute ein Räthsel für uns ist, sie ist es, welche die Sage als hier lebendig eingemauert bis heute nicht schlafen läßt. Nachgewiesen ist, daß schon Friedrich Wilhelm II., wenn er sich zuweilen hierher zurückzog, um dieses spukhafte, nächtliche Treiben wußte. Ist’s eine Sage? Zwischen den zwei Jagdzimmern, welche früher unser Kaiser benutzte, befindet sich hinter dem Ofen in der Mauer ein großer Hohlraum, welcher ehemals die Fortsetzung einer jetzt oben abgebrochenen alten Wendeltreppe aufwies. Die baulichen Einrichtungen beweisen, daß diese Treppe einstens bis zum Erdgeschoß reichte. Das ist die Grabkammer der schönen Gießerin, wie das Volk meint.

Vor den Augen des begehrlichen, lebenslustigen Joachim II. hatte die arme Gießerin einst Gnade gefunden. Die Schönheit ihrer Gestalt, die heitere Milde, welche von ihrem Wesen ausging, ihr kluger Sinn ließen den Kurfürsten für sie in heißer Liebe entbrennen, und als 1549 im Jagdschloß Grimnitz seine Gemahlin, Kurfürstin Hedwig, durch die morsche Decke auf darunter befindliche Hirschgeweihe so jammervoll stürzte, daß sie nur noch an Krücken sich fortbewegen konnte und bald das Zeitliche segnete – da sah der Fürst kein Hinderniß mehr, seine Gießerin fortan ganz auf seine Seite zu ziehen. Sie ward sein besseres Theil, das nunmehr sein ungebundenes Genußleben nach den Gesetzen der Schicklichkeit regelte. Die öffentliche Achtung blieb ihr nicht versagt. Ueberall erschien sie an seiner Seite und Jeder wetteiferte, der schönen, segenspendenden Frau seine Huldigungen darzubringen.

Es war im Schloß Köpenick. Von der Wolfsjagd in den Müggelsberger Forsten heimgekehrt, stand der Kurfürst mit seinem Gefolge, umdrängt von neugierig herbeigelaufenem Volk, im Schloßhofe, die erlegte Beute musternd, neben ihm Anna Sydow im Kreise ihrer herangewachsenen Söhne. Die Bauern steckten die Köpfe zusammen, als sie der noch immer schönen Frau ansichtig wurden, und flüsterten, daß es zu den Ohren des fürstlichen Jagdherrn scholl:

„Ist das die unrechte Frau unseres allergnädigsten Kurfürsten? Wie darf er thun, was wir nicht thun dürfen?“

Das schnitt dem Fürsten tief ins Herz. Ernst wandte er sich um und sagte leise zu der Gießerin:

„Du solltest bei Seite treten; sie nehmen Aergerniß daran.“

Sie that es und mied fortan alle öffentlichen Feste. Seitdem sind uns auch alle verbürgten Nachrichten über ihr trübes Lebensende verschwunden. Birgt diese Mauer eine Todte? Wir wissen es nicht, aber das Volk hält daran fest. Ehe Mitternacht herangekommen ist, geht es wie Seufzer durch die stillen Hallen, und es ist, als schlüge eine Stirn wehvoll gegen die Mauern unter Schluchzen und bitterem Weinen. Dann ist Jagdschloß Grunewald wieder ein verzauberter Märchenort geworden. Unten der schweigende dunkle See, in dessen Fluth sich die Sterne beschauen und an dessen Ufern das Schilf geheimnißvolle Zwiesprach mit den tief sich herniederneigenden Wipfeln der Erlen und Kastanien hält. Nebelschleier spinnen ihre feuchten Kronen um die schauernden Kiefernhäupter und nichts unterbricht die einsame Stille, als das Knarren der Wetterfahnen auf den Giebelthürmchen oder der Schrei eines Nachtvogels, der beutehungrig durch den schlafenden Forst streicht. A. Trinius.     


Das erste Jahr im neuen Haushalt.

Eine Geschichte in Briefen.
Von R. Artaria.
I.

Neustadt, den 23. Oktober 188..  
 Meine liebste Marie!

Weißt Du noch, wie wir vor einem Jahr beisammen saßen, Du, Jenny und ich, und überlegten, ob wohl unsere Zeichenkünste hinreichen würden, uns an der ausgeschriebenen Konkurrenz für die „Modezeitung“-Vignette zu betheiligen? Wie Tante Gustel dazu kam und sagte: „Ich will mit Euch wetten, was Ihr Lust habt, daß Ihr eine Konkurrenz nicht mitmachen könntet, nämlich, an die Tafel zu zeichnen, wie Lauch und Sellerie aussieht!“

Jenny rief darauf: „O, Lauch, das weiß ich schon, das riecht schlecht!“

Und Du fielst ganz glücklich ein: „Ja, Sellerie, das weiß ich auch! In der Oper ‚Aschenbrödel‘ kommen solche kleine Kerls vor, als Gemüse und derartiges Zeug verkleidet; dann fällt der Vorhang und Einer ist hinausgesperrt, der heißt Sellerie!“

Dann rief Jenny wieder: „O, ‚Aschenbrödel‘ habe ich auch gesehen, aber ich wußte nicht, was Sellerie ist!“

Die Tante lachte, daß ihre runden Schultern wackelten; dann nahm sie ihren Strickkorb und sagte: „Moderne Mädchenerziehung! So seid Ihr Alle – mich dauern nur einmal Eure Männer!“

Damals lachten wir mit, aber solltest Du’s glauben, daß mir seit ein paar Tagen diese Kassandra-Worte in den Ohren klingen und ich mehr als einmal schon fühlte, daß ich eigentlich im Grunde recht wenig verstehe, und mich voll Angst fragte, ob Hugo am Ende wirklich bedauernswerth sein wird?

Aber das kann ja doch nicht möglich sein! Ich liebe ihn so sehr, so viel mehr als in unserem Brautstand; kein Opfer wird mir zu groß sein, um ihm sein Haus so glücklich wie möglich zu machen. Oft auf unserer Hochzeitsreise, in der Schweiz und in Italien während der himmlischen Wochen, die wir frei, nur uns gehörend, in der größten Glückseligkeit verlebten, haben wir es uns doch ausgemalt, wie reizend es erst im eigenen Neste sein werde, und ich freute mich auf die Heimkehr in das kleine Amtsstädtchen, das im Frühjahr, als ich mit Mama Hugo hier besuchte, so reizend im Grünen lag. Aber jetzt – ich weiß es nicht, ist es der Herbst mit den kahlen Zweigen oder die Trennung von den Eltern und Geschwistern, von Dir und allen meinen Freundinnen, oder sind es die noch nicht eingerichteten Zimmer, in denen Vielerlei herumsteht, was noch ausgepackt werden soll – mich ergreift, wenn Hugo fort ist und ich mit dem fremden Mädchen allein bin, hier manchmal eine Art Heimweh und mir wird ganz verlassen zu Muthe. Wie anders war es doch, über Alles Mama fragen zu können, oder vielmehr, sicher zu sein, daß sie Alles machte! Ich habe mich deßhalb um Vieles zu wenig gekümmert; das sehe ich jetzt wohl ein.

Aber nur nicht melancholisch! In ein paar Tagen muß Alles in schönster Ordnung sein; ich wäre auch schon weiter, hätte mich nicht der Schlosser, der Vorhänge und Rouleaux aufmachen soll, im Stiche gelassen. Um acht Uhr sollte er da sein; nun ist es elf, und er ist noch nicht erschienen. So will ich denn in der nothgedrungenen Ruhepause Deinen lieben Brief beantworten, Herzens-Marie, und Dich ein wenig ausschelten, daß Du glaubst, ich werde über dem Manne die Freundin vergessen. Nein, das wird niemals geschehen. Ich habe nicht einmal mein Versprechen vergessen, Dir, Du neuverlobte Jungfrau, von meinen Erfahrungen

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