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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


befestigen. Sie sprachen über alles Mögliche, auch über Litteratur. Lucie brachte die Rede darauf, sie hatte mancherlei gelesen, sie schwärmte besonders für Storm und ihre Augen leuchteten, als sie von seinen von feinsinniger Poesie durchwebten Novellen sprach. Hortense hörte schweigend zu und sah in das Gewirr der Blätter, durch welches die Strahlen der Abendsonne Goldfunken warfen.

Als es dämmerte, stiegen sie wieder hinauf in das Zimmer der jungen Frau; ein zierlicher Abendimbiß war zurecht gestellt. Sie saßen sich gegenüber und speisten, Hortense legte ihrer Freundin vor.

„Magst Du Champagner trinken?“ fragte sie, „mich erfrischt ein Glas davon immer sehr.“

Sie klingelte, und bald darauf lugte das Silberköpfchen einer halben Flasche aus zierlichem, mit Eis gefülltem Kübel.

„Schmeckt Dir die Sorte?“

„Ich kann keinen Vergleich machen, ich trinke ihn zum ersten Male heute.“

Die junge Frau fiel in ihren Stuhl zurück; sie vergaß in diesem Augenblick ihren Kummer und lachte, daß ihr die Thränen in die Augen traten, dann ward sie ernsthaft und staunte Lucie an wie ein Naturwunder.

„Nimm Dein Glas,“ sagte sie, „und laß uns anstoßen auf gute Freundschaft.“ Sie kam dabei herüber und legte den Arm um des Mädchens Hals. „Ich habe eine Bitte, eine große Bitte,“ flüsterte sie.

„Und?“ fragte Lucie mit heißen Wangen.

„Du hast mir das Leben erhalten; hilf mir, daß ich es weiter ertrage!“

„Ich, Hortense?“

„Laß uns mit einander verkehren – sei mir ein wenig gut. Ach, Du weißt nicht, wie herzenseinsam ich bin.“

„Aber ich bin so unbedeutend neben Dir,“ stotterte Lucie.

„Du hast gehorcht!“ drohte lächelnd die junge Frau „Liebes Kind, die Männer finden alle Frauen geistig tief unter sich stehend; das darf man sich indessen nicht gefallen lassen.“

Lucie sah dunkelroth in ihr Glas, in welchem feine Perlen aufstiegen und wieder verflogen.

„Er denkt nichts Böses dabei,“ fuhr Hortense fort, „er ist eben wie alle Andern. Du wirst es doch nicht tragisch nehmen? Ach Kind, wenn Du weiter keinen Kummer hast – nun, stoß an, wir wollen Freundinnen sein, gute ehrliche Freundinnen!“

Lucie küßte herzlich die dargebotenen Lippen. „Ja!“ erwiderte sie.

„Immer offen einander sagen, wenn uns etwas mißfällt, und in jeder Noth uns beistehen! Von Dir weiß ich es ja; Gott möge es verhüten, aber wenn Dich ein schweres Schicksal trifft und es steht in Menschenhänden, so will ich es tragen helfen.“




Des Mädchens Wangen schimmerten purpurroth, als sie endlich auf die Straße trat. Dort ging Alfred ihrer wartend auf und ab.

„Ich dachte, Du wolltest über Nacht dort bleiben,“ scherzte er.

Sie schüttelte stumm den Kopf. Oben im schwach erhellten Flur zog er sie an sich.

„Du glühst wie eine Rose,“ sagte er zärtlich. „Nicht wahr, da drüben ist schwüle Luft in dem alten Garten, Lucie? Und nun habe ich Dich selbst heute früh noch aufgemuntert! Gestehe es einmal, Kleine, sie hat es Dir angethan, sie gefällt Dir?“

„Ja! Sie ist bezaubernd!“

Es kam aus vollstem Herzen.

„Nun! nun!“ beschwichtigte er, ungemüthlich berührt, „nur keine verhimmelnden Freundschaftsschwärmereien, Lucie, es ist doch sonst Deine Art nicht!“

„Die Hauptsache ist, ich darf mit Hortense verkehren, und dafür danke ich Dir herzlich, Alfred,“ sagte sie laut.

Er zögerte mit der Antwort. „Ich gönne es Dir von ganzem Herzen, wenn es Dir Freude macht, Lucie. – Und wenn Du Dich eines Tages enttäuscht findest?“

Sie schüttelte den Kopf, als sei es unmöglich.

„So mache denn Deine Erfahrungen,“ sagte er weich; „ich darf Dir ja vertrauen, ich weiß, Du hast mich sehr lieb, Lucie.“

Sie legte beide Arme um seinen Hals.

„Du mich auch?“ fragte sie und sah ihm forschend in die Augen.

„Mein Herz, so sehr ein Mann diejenige lieben kann, die sein Weib werden soll!“

Sie schmiegte sich näher an ihn, wie ein seliger Schauer durchfuhr es sie.

„Wenn Du nicht willst, daß ich hingehe, so sage es, und nie soll mein Fuß die Schwelle wieder betreten!“ rief es in ihrem Herzen, aber über ihre Lippen kam es nicht, sie blieben stumm.

„Gute Nacht!“ sagte er herzlich, und sie erwiderte leise: „Gute Nacht!“

Dann trennten sie sich.




Es war ein gänzlich verregneter Sonntag. Die Kirchgänger wurden durch und durch naß, die offenen Straßengossen glichen geschwollenen Bächen, und die Zweige der Bäume und Sträucher hingen schwer hernieder von der Last der Tropfen. In den Kleiderschränken aber trauerte der duftige lustige Sonntagsstaat der Hohenberger jungen Mädchen, und diese sahen ganz so verdrießlich in das Wetter, wie die Wirthe der Kaffeegärten vor den Thoren und die Besitzer der Lohnfuhrwerke. Es gab nur einen Mann im ganzen Städtchen, der sich gelassen einen Wagen bestellte, und das war Doktor Adler, welcher einen Kranken über Land besuchen wollte, und es gab nur ein Paar Mädchenaugen, die in den fallenden Regen mit heimlicher Freude hineinlachten, das waren Luciens Augen. Die verhaßte Partie in den Stadtforst mit dreißig bis vierzig völlig gleichgültigen Leuten machte das Wetter unmöglich, sie konnte zu Hortense! – Hortense war seit jenem Tage das A und O ihres Denkens geworden; sie zählte die Stunden, bis sie in den Salon der jungen Frau treten durfte, sie rechnete den Tag für einen verlorenen, an dem sie Hortense nicht gesehen, und ihre Billets, in denen sie einen versprochenen Besuch abschrieb, weil es diesmal ganz, ganz unmöglich war, sich frei zu machen, klangen schier untröstlich.

Frau Steuerräthin nannte das einfach: „Verrückt!“ Sie konnte zwar der Schwiegertochter nicht befehlen „Du bleibst hier!“ Dafür hatte der Sohn gesorgt, der ihr ruhig mittheilte, er gestatte, daß Lucie Frau von Löwen so oft besuche, als sie Neigung dazu verspüre. Dafür aber war sie erfinderisch in tausenderlei Hindernissen, die sie nicht ungeschickt aufzubauen wußte. Bald kam ein Besuch ganz unerwartet, und Lucie mußte den Hut wieder absetzen, sie wußte genau, daß es verabredet war, aber es half nichts. Bald war eine unaufschiebbare Arbeit zu thun, bald mußte ein nothwendiger Brief geschrieben oder das Wirthschaftsbuch nachgerechnet werden.

Das Wesen des Mädchens empörte sich in dem Maße gegen die alte Dame, als sie sich dort drüben bei der schönen vornehmen Frau immer wohler und wohler zu fühlen begann, in deren Nähe Alles vergeistigt und verschönt wurde, was hier in nacktester Prosa sich darbot. Ach, und sie liebte das Schöne, das Edle bis zur Begeisterung. Hortense’s Musik – Lucie lernte Chopin und Wagner verstehen und Schumann und Schubert lieben, Hortense’s Büscherschrank – sie lauschte mit immer größer werdenden Augen dem Vorlesen der jungen Frau. Was hatte sie gewußt von Kunst und Kunstgeschichte, von alle dem Herrlichen, Erhabenen, das es in der Welt giebt? Sie war doch einhergegangen wie taub und blind!

Und dennoch kämpfte sie herzhaft gegen dieses Empfinden. Sie war fast demüthig gegen den Bräutigam, suchte durch tausend Aufmerksamkeiten gut zu machen, daß sie ihn stundenlang des Tages vergessen konnte. Sie war schon mit dem Morgengrauen in der Wirthschaft thätig, sie scheute sich vor keiner Arbeit, aber sie wußte zuweilen nicht, was sie gethan. Er blieb gleichmäßig freundlich, sprach Mittags heiter mit ihr, und Abends trommelte er zuweilen auf dem klimprigen tafelförmigen Klavier den Marsch aus „Boccaccio“ und das Soldatenlied aus der „Weißen Dame“. Er griff tausend falsche Noten, lachte selbst darüber und konnte dann wieder schier andächtig alte Studentenlieder spielen. Lucie aber meinte im Stillen, es sei nicht zum Anhören. Doch das war selten, gewöhnlich zog er sich schon um neun Uhr in sein Zimmer zurück, und dann schimmerte die Lampe aus jenem Fenster, an dem sein Arbeitstisch stand, bis tief in die Nacht in den stillen Garten hinein. Er schrieb wissenschaftliche Aufsätze für eine Fachzeitschrift, und sie saß dann bei der Mutter und empfand jedes ihrer Worte wie einen Nadelstich.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_055.jpg&oldid=- (Version vom 6.11.2023)