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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Speranza war noch mit dem Aufstellen der goldenen Fahnen und mit dem Anheften der Bänder und Teppiche beschäftigt, als Letterio zu Schwester Josefa hintrat:

„Die Oberin läßt Dir sagen, Schwester Speranza sei besser hier draußen aufgehoben, als in der Stadt; Du mögest ihr nur verbieten, während des Festes ihre Zelle zu verlassen. Mit eigener Hand sollst Du den Riegel vor ihre Thür schieben, wie Du es bisher gethan. Heute aber noch erwartet Dich die Frau Aebtissin in der Stadt. Du mögest, so hat sie mir befohlen Dir’s zu überbringen, Dich nach dem Ave Maria auf den Weg machen, um nicht in zu später Nacht hierher zurückzukehren.“

Den Händen Speranza’s entfielen die schweren Teppiche. Es war ihr, als flösse all ihr Blut wie in einer heißen Welle nach ihrem Herzen zusammen. Das Zeichen! ja, das war das Zeichen der heiligen Jungfrau!

Schwere Wolken zogen am Himmel auf, als Josefa das Kloster verließ und langsamen Schrittes den Weg zur Stadt einschlug. Ein Gewitter war im Anzug. Der Wind sauste in unheimlichen Stößen aus den Schluchten des Thalgrundes herunter. Im Sturme wehte die Kirchenthür und knarrte in ihren Angeln.

Oben in ihrem Kämmerlein eingeschlossen, saß Speranza klopfenden Herzens in bangem Warten, ob nicht bald der Schleier der Nacht sich herniederzöge über Berg und Thal, ob nicht bald ein Hufschlag ertöne durch die Dämmerung, ob er nicht bald vor sie trete und ihre Hand ergriffe, und … Aber fest in dem Riegel lag ihre Thür, und wenn ihr Retter erschiene, wie konnte sie zu ihm gelangen, wie ihn auf der Schwelle der Kirche erwarten?

Plötzlich erhob sich von unten Letterio’s Stimme:

„Speranza, steige herab! Der Wind hat die Kirchenthür zugeworfen, und nur von innen ist sie zu öffnen! … und offen muß sie doch bleiben, sonst kann Schwester Josefa nicht mehr hinein!“

„Ach, guter Letterio,“ antwortete die Jungfrau „Du weißt es ja, ich kann nicht heraus; Schwester Josefa hat den Riegel vorgeschoben.“

„Ei, der morsche Riegel! Ich kenne ihn! Ein Druck, und er fällt aus dem Nagel! Die Kirchenthür mußt Du öffnen, Speranza; bei dem Unwetter, das sich vorbereitet, darf Schwester Josefa nicht einem Uebernachten draußen ausgesetzt sein. Drücke nur, mein liebes Kind, und zögere nicht! Die heilige Jungfrau führt Deine Hand!“

Ja, die heilige Jungfrau war es, die ihre Hand führte; denn ein leiser Druck genügte, und auf der Erde lag der Riegel! Und jetzt erst jubelte Speranza’s Herz auf in unbändigem Jauchzen, denn jetzt konnte sie hell und klar den Willen der Madonna erkennen! Zeichen auf Zeichen hatte sie ihr gesandt, und zweifeln konnte die ihrer Erlösung harrende Maid nicht mehr. Und da erfaßte sie ein Taumel von nie geahnter Freude und seliger Lust.

„Der Bräutigam naht! Im bräutlichen Schmucke will ich ihn erwarten!“ rief Speranza und ihre Treppe kletterte sie rasch hinauf, in ihrer Zelie lagen die weißen Heidekrautblumen, die ihr gestern Nino von den Bergen heruntergebracht; von ihrem Haupt streifte Speranza mit rascher, siegreicher Gebärde die knappe Nonnenhaube ab, und in langen Ringeln wallte ihr aufgelöstes Haar über ihre Schultern und von gestern noch, während sie die Blumen in ihr Haar flocht, von gestern noch sang es in ihrem Herzen:

„Es blühet die Rose tief unten im Thal, wenn morgen die Dämmerung das Thal umhüllt, ertönt ein Hufschlag vor Deiner Thür. Den Brautschmuck flechte dann in Dein Haar, und öffne die Thür, denn die Liebe klopft an! Ach, Ninetta! ach, Blandina! was sagst Du zu Deinem Schwur?“

In die Kirche war sie zurückgetreten – nicht mehr Schwester Speranza, sondern Blandina, die Fürstentochtcr im bräutlichen Schmuck, und vor dem Altar stand sie, hochaufgerichtet, matt erleuchtet von dem fahlen Schein des ewigen Lämpchens, das Auge auf die offene, im Winde wehende Thür gerichtet. Draußen lag tiefe Finsterniß über dem Thal, und schwarz schaute die Nacht durch die hohen Kirchenfenster herein auf die wundersame Jungfrau.

Hufschlag ertönt auf dem harten Gestein, und siehe! unter der Thür erscheint eine hohe Gestalt, den Reitermantel über die Schulter geworfen, das blinkende Schwert an der Seite und den federwallenden Helm auf dem jugendlich schönen Haupt.

„Blandina!“ ruft es leise fragend in die dunkle Kirche, und auf der Schwelle zögert forschend des Ritters Fuß.

Und: „Gonzaga!“ ruft es zurück mit jubelnder Stimme, und blumenbekränzt fliegt sie hervor, die Langersehnte, Heißgeliebte, und mit ausgebreiteten Armen sinkt Blandina an seine Brust.

„Ich hab’ Dich gesucht! Ich hab’ Dich gefunden! Folge mir! Aufs Pferd, daß der nächste Augenblick Dich hier nicht mehr treffe!“

„In Deinen Armen, Gonzaga, ist Leben und Liebe! Siehe, im bräutlichen Schmucke komme ich zu Dir! Wohin Du mich führst, ich folge Dir!“

„Für die Braut und den Bräutigam ist der Altar bereit. Heute Nacht noch, in stiller Bergesklause, feiern wir unseren ewigen Bund.“

Und Herz an Herz ruhen die Beiden in langem Kusse.

Wild schnauben plötzlich und stampfen die Rosse vor der Thür.

„Auf, auf, Blandina! die Stunde eilt!“

Um ihre Hüfte legt sich sein Arm; an seine Schulter lehnt sie ihr Haupt, und den Blick erhebt sie zu ihm hinauf – aber, von jähem Schreck erfaßt, starrt ihr Auge plötzlich über des Ritters Schulter in der Kirche schwarze Nacht; denn dort durch die offene Thür ist Einer hereingetreten; dort an dem Pfeiler steht Einer; wild funkelt sein Blick – mit beiden Händen schwingt er gegen den Ritter einen schweren Feldstein.

„Hilf, Himmel!“ schreit Speranza auf.

„Der Wolf, der Wolf! Tod dem spanischen Wolf!“ gellt es aber zurück, und auf den Ritter stürzt der Knabe los; rasch wendet Gonzaga das Haupt und reißt das Schwert aus der Scheide – an seiner Stirn fährt sausend der Feldstein vorbei – an den Schläfen getroffen sinkt das Mädchen zur Erde – mit gebrochenem Auge liegt Speranza auf den Altarstufen.

„Blandina!“ ruft mit furchtbarem Aufschrei Gonzaga: er vergißt den Mörder beim Anblick der sterbenden Braut, und über das blutüberströmte Mädchen wirft er sich hin; „Blandina! Himmlische Mutter Gottes, beschütze sie!“

Dort hinten aber unter dem schwarzen Gewölbe starrt Einer, mit gesträubtem Haar, wie besinnungslos, wie gelähmt von gräßlichem Schreck, auf Speranza’s todtenblasses Antlitz. Sein Blut stockt; er ringt nach Athem; aus ihren Höhlen treten seine Augen. Plötzlich wirft er die Arme in die leere Luft, und ein Schrei entfährt seinen Lippen: „Speranza!“ und fort stürzt er, in die schaurige Nacht hinaus, hinaus in die Berge, hinaus! hinweg über Steingeröll und schäumende Wildbäche; hinaus, hinweg, mit den Händen seine Augen bedeckend, daß er es nicht mehr sehe, das schreckliche Gesicht – hinaus, hinweg, über Berge und Thäler hinweg, – und jäh emporgeschreckt flattern in weit verlorenen Thalgründen die Eulen und Nachtschwalben umher, wenn in dem Echo sein jammernder Ruf widerhallt:

„Speranza! Speranza!“

(Schluß folgt.)




Vom Nordpol bis zum Aequator.

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I.

Ungarn war von je und ist und bleibt ein Ziel der Sehnsucht deutscher Vogelkundiger. Günstiger gelegen als irgend ein anderes Land Europas, zwischen Nordsee und Schwarzem Meere, Ostsee und Mittelmeere, der großen nordosteuropäischen Ebene und den Alpen sich erstreckend, Norden und Süden, Steppen und Gebirge, Wälder, Ströme und Sümpfe in sich vereinigend, bietet es seßhaften wie wandernden und ziehenden Vögeln gleich erhebliche Vortheile und Annehmlichkeiten und weist daher einen Vogelreichthum auf wie kaum ein, vielleicht kein anderes Land unseres Erdtheils. Begeisterte Schilderungen dieses Reichthums,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 48. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_048.jpg&oldid=- (Version vom 13.3.2023)