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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

durfte sie auf den Felsen des die Mauern umspülenden Waldbachs und sinnend Blumen und Blätter hinstreuen in das murmelnde Wellenspiel.

„Wo ziehet ihr hin, duftende Blumen, im rastlos dahineilenden Tanze der Wellen? Ach! Fändet ihr ihn, meinen einzig Geliebten: den Weg bis zu mir zeigtet ihr ihm dann, und zum neuen Leben flögen wir auf!“

Keine Mauer trennte den Garten von den offenen Bergesgefilden, und noch so oft konnte Schwester Josefa dem kleinen Hirten zurufen, auf die höheren Gelände möge er doch seine Ziegen führen, fettere Weide fänden die Thiere dort oben – „dort oben,“ antwortete Nino, „hausen im Winter die Wölfe, und brennt im Frühling die sengende Sonne!“ und zum Thale trieb er die Herde, von einem Ufer des Baches zum andern plauderte er mit Speranza, und selig glänzten seine Augen, wenn er Abends in des Vaters Hütte zurückkehrte.

„Speranza,“ sagte er ihr eines Morgens, „in zwei Tagen ist das Fest der Madonna, darf ich Dir helfen, die Kirche und den Altar mit Blumen zu schmücken? Morgen hole ich die weißen Heidekrautblumen von dem höchsten Berge herunter, wo sie blühen in Pracht und Fülle, daß man glauben möchte, der Winterschnee bedecke wieder die Gipfel!“

„Nino,“ antwortete sie lächelnd, „warum willst Du auf die Berge? Im Winter, sagtest Du ja zu Schwester Josefa, hausen die Wölfe dort oben, und im Frühling brennt dort die sengende Sonne!“

Aber schon kletterte er von Fels zu Fels in die schwindelnde Höhe, und als er zurückkehrte, schüttete er ihr einen Arm voll weißer Heidekrautblumen in den Schoß.

„Speranza! Für Dich wage ich Alles, und gebötest Du mir, in den Höllenschlund des Fegefeuers hinunter zu steigen für Dich, auch das Fegefeuer fürchtete ich nicht!“

Sie sah ihm ins Auge bei diesen Worten, und ein tiefer Ernst legte sich über ihr Antlitz, als sie mit leiser, zögernder Stimme zu ihm sagte:

„Und würdest Du, wenn ich es geböte, eine Botschaft für mich in der Stadt am Meere besorgen?“

Da leuchtete es düster in des Knaben Auge:

„An wen hast Du eine Botschaft zu besorgen, Speranza? Ist’s für … den Spanier?“

Wie ein scharfer Dolchstich traf das Wort ihr Herz. Eine dunkle Röthe überzog das Antlitz. Langsam erhob sie sich, hoch richtete sich ihre Gestalt auf vor dem Hirtenknaben, daß es war, als stände vor ihm nicht Schwester Speranza, die Novizin des San Benedetto, sondern im Glanze eines Thronsaales die Tochter eines Königs.

„Was soll das Wort? Was meinst Du mit dem Spanier? Sprich! Ich befehle es!“

Nino schaute finster zu ihr auf, seine Hand zitterte.

„Schwester Josefa sagte mir damals, als ich den Wolf tödtete, den spanischen Ritter zu spielen, dazu sei ich zu jung; – den Sinn der Worte konnte ich nicht verstehen, vergessen hab’ ich sie aber nicht! – und Du, Speranza, Du kannst es mir deuten. – Kennst Du einen Spanier?“

Sie schwieg.

„Bist Du der Spanier Feind?“ fragte sie endlich.

Er sprang auf.

„Ja!“ rief er, „wenn Du einen Spanier liebst!“

Und ein Thränenstrom entquoll seinen Augen.

„Kind!“ sagte weich Speranza und legte liebkosend ihre Hand auf die seinige, „was ist Dir? was sprichst Du? Wie kannst Du der Spanier Feind sein, da Du keinen Spanier kennst?“

Wild wollte er ihr seine Hand entreißen, aber mit sanfter Gewalt hielt sie ihn fest.

„Ja!“ rief er, „wohl kenne ich einen Spanier und wehe ihm, wenn er es ist! … Ja! ein Spanier war’s – an seiner Sprache erkannte ich ihn – der zu meinem Vater heraufritt – gestern, vorgestern – und ihn fragte, ob er das Kloster kenne – und wer hier wohne – und ob er nicht eine junge Schwester gesehen habe …?“

Speranza’s Hand zuckte zusammen; sie zog sie rasch zurück.

„Speranza!“ rief der Knabe, und es schien, als überfalle ihn eine blinde Raserei – „Deine Hand zittert! … Du kennst ihn! … Du liebst ihn!“

Er hatte einen Feldstein von der Erde aufgerissen, und drohend schwang er ihn in seiner krampfhaft geballten Faust:

„Wehe ihm!“ rief er, „wehe ihm! Du weißt, Speranza, den Wölfen zerschmettere ich den Schädel!“

Im selben Augenblick aber lag er auch wieder zu Speranza’s Füßen, und flehend, wie ein kleines Kind, umklammerte er ihre Hand.

„Speranza!“ sagte er mit leiser, von Schluchzen erstickter Stimme, und in seinen zitternden Fingern spielte das Kreuz, das sie ihm damals gegeben, „siehe! wie ein Kleinod, wie einen Talisman trage ich dies Kreuz auf meiner Brust, kein Mensch hat es gesehen, kein Mensch wird es jemals sehen! Zu ihm bete ich Abends und Morgens, und droben auf den Bergen, wenn ich allein stehe in der Sonne Glanz, da ziehe ich es hervor, und wie Deine Augen so funkeln die hellen Sterne, die darauf eingegraben sind! Speranza … Du gabst es mir! … und wenn Du mir es gabst – so liebst Du mich! … O Speranza, Speranza, betrüge mich nicht!“

Sie hatte ihre Ruhe wiedergewonnen.

„Nino,“ sagte sie, „mein Leben hast Du damals gerettet; das Kreuz begehrtest Du von mir – die Madonna sprach aus Deinem Munde – ich gab es Dir hin, als Pfand meines Dankes; glaubst Du aber, ich betrüge Dich, Nino, so gieb es mir zurück, und ein anderes, viel schöneres …“

In seiner geschlossenen Faust riß aber Nino das Kleinod zurück.

„Nein!“ rief er mit dumpfer Stimme, „nein! … nicht für ein Königreich!“

Die Klosterpforte knarrte hinter den Beiden.

„Des Geplauders endlich genug!“ rief Schwester Josefa; „Dein Dienst ruft!“

In tiefes Brüten versunken kehrte Nino in des Vaters Hütte zurück. Ein fremder Reiter verabschiedete sich gerade von Letterio. Der Alte schob einen schweren Beutel in seine Holztruhe. Nino hörte das Gold im Kasten klirren.

„Vater!“ rief er, „das ist Gold!“

Langsam wandte sich der Alte um, ein schelmisches Lächeln spielte auf seinem Munde, als er antwortete:

„Zum Feste unserer Kirche steuern jetzt sogar die fremden Ritter bei!“

„Der Spanier?“ unterbrach ihn Nino, in wildem Aufbrausen.

Verwundert schaute der Vater zu ihm hin.

„Freilich, ein Spanier!“ erwiderte er, „aber was hast Du, daß Du das Wort mit so sonderbarem Klange betonst? … Höre meinen Rath, Sohn, und verstehe meine Worte: unsere Herren sind die Spanier, und hassen dürfen wir Siciliens Unterdrücker – und der Tag wird kommen, wo auch ihnen, wie den Franzosen, wie allen unsern Feinden eine blutige Vesper erblühen wird; bis dahin aber, Kind, vergiß es nicht! bis dahin können wir von ihnen nehmen Alles, was ihre Hand uns reichen wird!“

Die Glocke des Klosters ertönte. Es war das Ave Maria. Andächtig falteten die Beiden die Hände und fielen in die Kniee. Wie hell und fröhlich summend klang aber diesmal die Glocke über das Thal! Ein Singen war es, leichtbeschwingt, wie ein Jubel von unendlichem Siegesjauchzen.

„Schwester Speranza freut sich wohl schon des bevorstehenden Festes!“ lächelte der Vater. als er sein Ave Maria ausgebetet hatte. „Arme Speranza!“ fügte er mit einem leichten Seufzer hinzu, „kein Klostergelübde bindet sie ja!“

An was mochte der Vater wohl dabei denken? So unverständlich und ohne Zusammenhang mit seiner vorigen Rede waren die letzten Worte über seine Lippen geflossen.

Ja, ein Jubel erfüllte Speranza’s Herz, und Gewalt mußte sie sich anthun, daß Schwester Josefa nichts ahne von all den Gedanken, die mit mächtig jauchzendem Flügelschlage ihre Seele zu allen Himmeln hinaufrissen! Er war’s, er kam, er hatte sie aufgefunden, ihre Fesseln zu lösen nahte er!

Bis tief in die Nacht hinein blieb Speranza, zu Füßen ihres Lagers, vor dem kleinen Krucifixe hinknieend. Das Fenster stand offen; hell leuchtete der Mond herein, und balsamische Waldesdüfte erfüllten das enge Gemach. Horch! von ferne sang es jetzt das Thal herauf, von späten Wanderern, Hirten oder Bauern, die aus der Stadt heraufzogen zu ihren Bergen. Es sang so hell, so scharf! – und Speranza horchte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_046.jpg&oldid=- (Version vom 13.3.2023)