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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Blätter und Blüthen.

Die Barbarina. Die hundertjährige Jubelfeier des Berliner Hoftheaters hat nicht nur zahlreiche Schriften über diese letzten hundert Jahre hervorgerufen, sondern auch die Blicke noch weiter zurück auf Berliner Theaterzustände im 18. Jahrhundert gelenkt, und da tritt die Italienische Oper mit ihrem Ballet und die gefeierte erste Tänzerin desselben, die Barbarina, in den Vordergrund.

Jede Zeit hat ihre Theaterberühmtheiten, und es ist nicht immer die künstlerische Begabung und Leistung, was solchen Ruhm verschafft; bisweilen trägt auch die Chronik der Erlebnisse und Abenteuer dazu bei, den Bühnengrößen ein so glänzendes Relief zu geben. So war’s auch mit der Barbarina; wir wissen wenig darüber, worin die Vorzüge ihres Tanzes bestanden haben; aber wir wissen, daß sie eines der wenigen weiblichen Wesen war, welche dem großen Friedrich ein mehr als vorübergehendes Interesse einflößten. Und der große Friedrich hatte mit Bezug hierauf nichts gemein mit dem großen Ludwig und seinen Nachfolgern; nicht die Arabesken einer Skandalchronik rankten sich um das Portrait des geschichtlichen Helden; er galt eher für einen Weiberfeind und nur sehr wenige hochgestellte Damen konnten seiner Gunst sich rühmen.

Lieblich und anmuthig war sie gewiß, diese Barbarina: das verrathen uns die wenigen Bilder, die wir noch von ihr besitzen. Eins ihrer Bilder, von Pèsue gemalt, hing im Schreibzimmer des Königs, ein anderes Bildniß, ein Pastellbild von Carriera Rosalba befindet sich in der Dresdener Galerie: es war jedenfalls eine sylphenhafte Erscheinung von gewinnender Grazie.

Signora Barbara de Campanini.
Aus dem Werke: „Geschichte der Oper und des königl. Opernhauses in Berlin“. (Verlag von Duncker und Humblot in Berlin.)

Schon ehe sie nach Berlin kam, hatte die Signora Barbara de Campanini – so war ihr eigentlicher Name – in Weltstädten wie Paris geglänzt und das Publikum der marmornen Meeresstadt Venedig bezaubert. Hier hatte sie der preußische Geschäftsträger 1744 für 8000 Thaler nach Berlin engagirt, und dies Engagement war durch einen feierlichen Kontrakt festgesetzt worden. Die Barbarina aber liebte einen Hochlandssohn, den Schottländer Mackenzie, und als dieser erklärte, sie heirathen zu wollen, da brach sie den Kontrakt und kümmerte sich nicht weiter um ihr Berliner Engagement. Es gab zwar damals keine Bühnenkartellvereine, welche widerspenstige Künstler zur Raison bringen konnten; aber der König von Preußen besaß Macht genug, um Kontrakte, die mit ihm abgeschlossen wurden, aufrechtzuhalten. Er verlangte vom Senat der Dogenstadt, daß er die Tänzerin zur Erfüllung ihrer Verbindlichkeit zwingen solle, und als dieser sich in der Angelegenheit lässig und saumselig zeigte, ließ er das ganze Gepäck des für London bestimmten venetianischen Gesandten Campello mit Beschlag belegen. Nun mußte die Tänzerin die unfreiwillige Reise nach Berlin wie eine Staatsverbrecherin unter militärischer Eskorte antreten. Der Senat von Venedig ließ sie durch eine Wache bis an die österreichische Grenze begleiten; von Wien aus brachte sie eine österreichische Eskorte an die sächsische Grenze, von dort sächsische Soldaten an die preußische. Mackenzie folgte ihr überall wie ihr Schatten; aber in Berlin war seines Bleibens nicht; er mußte Preußen verlassen und nach London zurückkehren. Er war übrigens ein Freund und naher Verwandter Lord Bute’s und hat diesem ohne Zweifel seinen eigenen Haß gegen den großen König eingeflößt und demselben so eine einflußreiche erbitterte Gegnerschaft zugezogen. Die Barbarina gefiel dem König ungemein: er setzte ihr ein Gehalt von 12 000 Thaler aus, ein für jene Zeit ausnehmend hohes Gehalt, das auch noch heutigen Tages die kühnsten Wünsche der Jüngerinnen der Terpsichore befriedigen würde. Er sandte ihr zärtliche Briefe, in denen er sie seine charmante Barbarina nannte und ihre schönen Augen pries; er speiste oft mit ihr an der sogenannten Konfidenztafel, in vertraulicher Gesellschaft, zu Abend oder nahm bei Hofmaskenbällen den Thee mit ihr in ihrem Kabinett ein.

Die schöne Tänzerin hatte natürlich eine große Zahl von Anbetern, und darunter waren alle Nationen vertreten. Einer ihrer leidenschaftlichsten Verehrer war der junge Cocceji, der Sohn des Großkanzlers, eines würdigen Mannes, dessen Name noch heute von allen preußischen Juristen mit Andacht genannt wird, da er sich um die Reform des preußischen Justizwesens große Verdienste erworben. Der junge Cocceji war ein Riese von seltener Körperkraft und hatte seinen Platz dicht vor der Bühne. An seiner Seite saß ein Nebenbuhler, der sich auch um die Gunst der Barbarina bewarb. Cocceji glaubte eines Tags, 1778, zu bemerken, daß diese seinem Nachbar freundlichere Blicke zuwarf als ihm. Alsbald, von eifersüchtiger Wuth entbrannt, ergriff er diesen, hob ihn wie ein Kind in die Höhe und warf ihn der Signora auf die Bühne herab. Der König, der in seiner Loge saß, ließ trotz dieses merkwürdigen Skandals, der in der Theatergeschichte wohl kaum seinesgleichen haben dürfte, ruhig weiter spielen. Doch am nächsten Tage wurde der junge Schwärmer zum König gerufen und nach Glogau verbannt, und zwar, trotz seiner Jugend, schon mit dem Charakter eines Geheimen Justizrathes. Dem König hatte die Heldenthat des jungen Simson gefallen – weniger gefiel es ihm, daß dieser das Jahr darauf die Barbarina heirathete. Die Ehe dauerte vierzig Jahre und wurde erst nach dem Tode des Königs geschieden. Dann wurde die Tänzerin zur Gräfin Campanini erhoben. Sie besaß mehrere Güter in Schlesien, die sie einem Fräuleinsstift vermachte.

Eine Barbarina im neunzehnten Jahrhundert hätte gewiß wie die Sarah Bernhard ihre Denkwürdigkeiten verfaßt; was wir aber von jener gefeierten Theaterschönheit wissen, können wir uns nur aus den Werken ihrer Zeitgenossen zusammentragen. †     

Die Verdurstenden in der Wüste. Der jüngst verstorbene ausgezeichnete Reisende Nachtigal hat bei seinen afrikanischen Wanderungen oft die größten Beschwerden und Gefahren erduldet, wie sie seine soeben veröffentlichten Aufzeichnungen „Gustav Nachtigal’s Reisen in der Sahara und im Sudan“ (Leipzig, F. A. Brockhaus) in spannender Weise schildern. Als er von Tripolis aus seine Reise nach Bornu durch Gegenden antrat, die bisher selten eines Wanderers Fuß betreten, als er in das unbekannte Land Tibuti eingezogen war: da hatte sein Führer Kolokomi sich in der Berechnung der Entfernung bis zu einem Flußthal, wo die Wasservorräthe erneuert werden konnten, geirrt; das Wasser in den Schläuchen ging auf die Neige, und so rastlos die Wanderer mit ihren Kamelen vorwärts eilten, kein rettender Brunnen wollte sich zeigen. Hoch stieg die Sonne, der grausamste Feind der Verdurstenden, und sandte erbarmungslos ihre Strahlen auf die dunkelfarbigen Felsen am Ufer und den hellen Sand zwischen denselben, so daß durch Strahlung und Rückstrahlung ein Meer von Gluth entstand, in welcher alle vorübergehend aufgeflackerte Thatkraft wieder verschwinden mußte. Fürchterlich wurde der Durst. Mund, Nase, Hals und Kehlkopf verloren den letzten Rest von Feuchtigkeit; enger und enger schien sich um Schläfe und Stirn ein eiserner Ring zu legen; die Augen brannten schmerzhaft, die Ermattung war grenzenlos. Und zum Unglück standen auch hier und da im Flußsande einzelne Sejalakazien, mit deren Schatten die Kamele zu liebäugeln begannen, bis sich die Thiere in das stachelige Geäst niederlegten und durch nichts mehr bewegt werden konnten, ihren Platz aufzugeben. Der Führer Kolokomi war voraus geritten, um irgendwo Wasser aufzuspüren.

Nachtigal schildert uns seinen eigenen Zustand und den der Gefährten während des langen Harrens. Bei den zwei Negern stellte sich alsbald ein Zustand bedenklichen Delirirens ein, und besonders Sa’ad erging sich in bitteren Vorwürfen über die Reise in ein so gräßliches Land. Der Italiener Giuseppe aber erhob sich endlich aus dumpfem Brüten und stürzte mit geladenem Revolver und der Ankündigung fort, daß er nicht gewillt sei, so thatenlos seinen Untergang zu erwarten, sondern entweder Wasser finden oder mit diesem Irrführer Kolokomi abrechnen wolle. Nur der alte Mohammed blieb immer in derselben ruhigen Fassung und klammerte sich an seine fatalistische Weltanschauung. Als am späten Nachmittage noch immer kein Wasser sich zeigte, erlosch auch in Nachtigal die bisher aufrechterhaltene Hoffnung. Es war so still weit um ihn her, und nicht das leiseste Geräusch störte dieses Grabesschweigen der Natur; kein Windhauch bewegte die Blätter und Zweige der wenigen Bäume; keine Regung irgend eines Lebens milderte das starre todte Aussehen der düster aufragenden Felsen. Wie sehr er auch gegen den Gedanken eines so frühen Endes seiner innerafrikanischen Laufbahn sich Tage hindurch gewehrt hatte, überwältigte ihn doch endlich die Erschöpfung, und er verfiel in einen Zustand des Traumwachens, der in solcher Lage dem Ende vorherzugehen pflegt.

Da sah er in seinem Fieberzustand mit einem Male ganz deutlich eine mächtige Ziege auf die Akazie losspringen, und auf dem gewaltigen Thiere saß eine menschliche Gestalt. Ja, ein Mensch war es in der That, und zwar ein heißersehnter, kein anderer als der Abgesandte auf seinem Kamele – und das Kamel brachte Wasser, zwei Schläuche voll Wasser, dessen bloßer Anblick den verschmachtenden Menschen helle Thränen der tiefsten Rührung entlockte. Wie durch eine zauberhafte Berührung waren Nachtigal und Sa’ad sofort aus ihren Phantasien erwacht. Nachdem Mustapha ein Dutzend Zwieback in die Trinkgefäße gebrockt, da es zuträglicher war, nach langem Durste erst etwas feste Nahrung zu sich zu nehmen, sogen sich alle voll des „köstlichsten aller Getränke“, welches diesmal so schmutzig war, daß sie es an anderen Tagen nicht angerührt hätten. Alle bisherigen Körperleiden waren nach dem ersten ausgiebigen Trunke völlig verschwunden. †     

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 35. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_035.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)