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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

auf sein Haupt setzte, da hab’ ich vor Gott und den Heiligen Haß bis zum Tode diesen Verfluchten geschworen! Den Schwur werd’ ich halten auch gegen mein eigen Geschlecht! In einem Kloster wirst Du morgen erwachen, Tochter, wo Keiner Dich finden wird – bis zu dem Tage, wo Du zurückkehren wirst in Deiner Ahnen Haus mit verändertem Sinne, und wo Du, zu meinen Fußen knieend, mir sagen wirst: Zu des Vaters Schwur schwört des Vaters Geschlecht!“

In derselben Nacht noch stand ihr jungfräuliches Gemach in Palermo verwaist, von vermummten Reitern wurde die Vermummte nach langem Ritt über Berg und Thal in eine weitentlegene Stadt gebracht, und die Thore eines Klosters fielen hinter ihr zu. Ach! hätte ihre Mutter, die längst Entschlafene, noch gelebt – so weit wäre es nicht gekommen! Wo sie war, sie konnte es nicht errathen, auf einen von hohen Mauern umschlossenen Garten sahen ihre Fenster hinaus, von fernher drang’s an ihr Ohr wie das dumpfe Getöse einer Hafenstadt. In einer weicheren, nur von Weitem an ihre eigene Sprache anklingenden Mundart redeten die Schwestern zu ihr, und auf ihre Fragen, wo sie sich befinde, was man mit ihr wolle, ertheilte ihr Niemand Antwort. Wie eine Verlassene, Verlorene kam sie sich vor in diesem Kloster. Gebrochen war aber weder ihr Muth noch ihre Liebe, und als am andern Morgen die Aebtissin in ihre Zelle trat und ihr freundlich zuredete und sie ermahnte, sich dem Willen des Vaters zu fügen, da brach wie ein wilder, lange zurückgedämmter Waldstrom der Stolz der geknechteten Fürstentochter durch, und wie eine Königin zu ihrer Dienerin, so sprach sie zu der Oberin:

„Ich kenne Dich nicht! Wer bist Du, daß Du Dich untermissest, Dich unaufgefordert der Tochter des Fürsten von Roccaguelfonia zu nähern? Oeffne mir diese Thür und laß mich meiner Wege ziehen!“

Einen andern Trotz aber erweckte in der Aebtissin Herz der Trotz dieses Kindes, und strengen Mundes herrschte sie die Verlassene an:

„Wer seinem Vater den Gehorsam weigert, der soll Buße thun in Sack und Asche. In die diesem Kloster angehörende Kirche im einsamen Felsenthale werde ich Dich heute bringen lassen, unter Schwester Josefa’s Hut wirst Du dort verbleiben, bis Dein Stolz gebrochen und Dein Herz sich des Vaters Befehlen gefügt. Und ich, von Gott und von Deinem Vater dazu ermächtigt, ich verfüge, daß von heute an die schwersten und niedrigsten Kirchen- und Klosterarbeiten dort draußen von Deiner Hand verrichtet werden sollen; wie eine Magd ihrem Herrn, so wirst Du der Kirche dienen!“ – Und: „Wehe! wenn unserer Väter Kinder den Feinden unseres Landes zu Willen sind!“ hatte sie beim Scheiden ausgerufen.

In dichtverschlossener Sänfte wurde Blandina hinausgetragen in jene Einöde. Wildzerrissen, klippenartig zum Himmel anstrebende Berge schlossen den engen Horizont ab. Aus dem schmalen Fenster ihrer Zelle schaute ihr Blick auf unwirthliche Felsgründe. Ringsum starrten steile, nackte Bergwände. Aus einer durch einen verwilderten Garten von dem Kloster getrennten Kluft schäumte, über Steingeröll, ein Waldbach hervor. Ueberall, ringsum die tiefe Stille der Bergeinsamkeit; – nur von Weitem brachte der Wind zuweilen das Klingen der Glocken einer hinter Höhenzügen verborgenen Stadt, und frische Lüfte kamen heraufgezogen, als öffne sich das Meer dort unten in weiter, weiter Ferne, und in der Nacht drang bis in die Klosterzelle das Heulen der Wölfe und der wilde Schrei der Adler über den Gipfeln.

Als am andern Morgen Schwester Josefa zu Blandina hereintrat, überreichte sie ihr das Nonnengewand, das sie von nun an tragen sollte, und mit einem andern Namen als dem ihrigen redete sie die Fürstentochter an. Schwester Speranza sollte die Verlorene heißen. „Speranza,“ sagte die Alte, „denn die Hoffnung, daß die stolze Magd von ihren sündigen Gedanken erlöst werde, befiehlt uns die heilige Mutter Gottes, die besondere Schutzpatronin dieses Klosters, nicht zu verlieren.“ Nur jenes Kreuz hatte sie ihr gelassen, welches das Mädchen am Halse trug, die Herzogskrone und das Wappen mit dem kastilischen Löwen hatte die der Welt unkundige Josefa nicht beachtet, und für ein Familienkleinod hatte Blandina dies Pfand irdischer Liebe ausgegeben. Das Kreuz solle sie behalten, hatte Josefa geantwortet, und Demuth und fromme Kindesergebung solle sie aus dessen reuiger Anbetung schöpfen.

Tage und Wochen und Monde waren verflossen. Schwester Speranza aber war geblieben wie Blandina gewesen. Von der Madonna, zu deren Dienste sie vom frühen Morgen bis zum späten Abend herangezogen war, flehte sie in inbrünstigem Beten nur Eines, daß sie nicht auf immer von ihrem Geliebten getrennt bleibe, daß des Vaters Herz sich erweiche, daß sie bald erlöst werde aus ihrem Kerker. Auf sich und auf ihre Hoffnung hatte sie den Namen, den man ihr beilegte, gedeutet. Speranza, ja! Speranza würde sie bleiben immerdar! Nur in dieser Hoffnung ihres bald wiedererstehenden Liebesglückes lebte sie, und wie diese Hoffnung sich tiefer und tiefer in ihr Herz eingrub, da zog auch allmählich ein ruhiges Ergeben in ihre Seele ein, es war, als schmölze der starre Sinn, den sie in den ersten Zeiten allen Befehlen und Zureden Josefa’s entgegengesetzt hatte. Ja, so stark, so unüberwindlich fest lag, wie auf Felsen gebaut, die Hoffnung auf ihre Erlösung, daß sie sich allmählich in allem Uebrigen geduldig dem Willen der Oberin fügte. Was die Oberin befahl, das war ja nur der heiligen Mutter Gottes Befehl!

„Barmherzige Madonna!“ betete Schwester Speranza Abends und Morgens vor dem Altar, wenn sie die schweren Kirchenarbeiten verrichtet hatte, „Dir gehorche ich gern, Dir folge ich willig, denn ich weiß, daß Du es gut meinst mit Deinem Kinde. Prüfen willst Du meine Liebe, ob sie Alles zu ertragen stark genug sei! Und Alles, Alles werde ich erdulden, o himmlische Dulderin, um Dir zu beweisen, daß ich die geschworene Treue immer und ewig halten kann!“

Keine lebende Seele verkehrte mit den Schwestern, außer dem alten Klosterbauer und seinem kaum fünfzehnjährigen Knaben. Letterio besorgte ihnen das Essen und überbrachte zweimal wöchentlich die Befehle der Oberin und die Berichte Josefa’s. Er wohnte in der Nähe der Kirche, in einem halbverfallenen Häuschen hinter dem Garten und dem Platanenwäldchen. Dort bebaute er den Rest der ehemaligen Klosterfelder. Nino hütete des Vaters Ziegen und führte die kleine Herde jeden Morgen die steilen Bergwände hinan, bis hoch hinauf auf die Höhen, wo fettes Gras und duftende Waldkräuter wuchsen. Zu der schönen, so lieblich und doch so traurig zu ihm herniederblickenden Schwester Speranza zog es den Knaben wie mit einer wunderbaren Verehrung und Anbetung hin.

Wie eine Heilige, wie die Himmelskönigin selber erschien sie ihm, so hehr, so königlich, und doch so wonniglich mild und hold dabei, daß es dem Hirtenknaben war, jedesmal wenn er sie wieder erblickte, als müsse er zu ihren Füßen hinsinken und als gäbe es kein größeres Glück auf Erden, als leben und sterben zu dürfen für sie.

Wie Josefa gewahr geworden, daß des Mädchens trotziger Sinn sich allmählich zu erweichen begann, hatte sie auch nachgelassen von ihrer ersten Strenge und Speranza erlaubt, sich unter den Bäumen bis zu der Quelle in der Felsenkluft zu ergehen. Von den Bergen zog da an jedem Abend der kleine Nino zu dem Waldbache herunter, zu Speranza’s Füßen setzte er sich, verloren in stiller Anbetung, und froher kehrte er zum Vater zurück, wenn bei seinem kindlichen Plaudern Schwester Speranza’s Traurigkeit, wie eine Wolke vor dem heitern Sonnenstrahle, gewichen und wenn in sein sehnendes Auge ein Lächeln ihres Blickes gefallen war. Von dem ahnungslosen Hirtenknaben hatte Speranza erfahren, wo sie sich befand, und daß die Stadt dort, hinter den Bergen, Messina war, und daß dort das Meer sich eröffnete, das weite, weite Meer, über dessen Rücken so viele Schiffe zogen mit ihren farbigen Wimpeln und ihren weißen Segeln. Das Meer! die Freiheit! Ach! wer bis zum Meeresufer hinunter käme, wer dem helfenden Winde die helfenden Segel öffnete! Ach, wer hinausflöge über die blaue, leuchtende Fläche, bis dorthin, zur großen Stadt im Westen, wo Marmortreppen hinunterzogen zur tosenden Fluth, wo der Geliebte sie erwartete, wo neu erblühen würde ihr Leben! – „Kennst Du Jemanden in der Stadt?“ hatte Speranza den Knaben gefragt; „giebt es spanische Ritter und Edelleute dort?“ – Aber was kümmerten den Hirtenknaben Ritter und spanische Edelleute? Der weidete seine Ziegen auf hohen Bergestriften und kaum einmal im Jahr, beim Feste der Madonna, durfte er mit seinem Vater nach Messina wandern. Wie durch ein Traumgesicht zog dann das flimmernde, tosende, rauschende Leben der großen Stadt an seinem Geiste vorbei, und wie aus einer beängstigenden und beklemmenden Fieberphantasie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 30. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_030.jpg&oldid=- (Version vom 13.3.2023)