Seite:Die Gartenlaube (1887) 024.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


und nun hörte sie deutlich einen eigentümlich klagenden Laut, ängstlich und halb erstickt.

Sie lauschte mit verhaltenem Athem – wieder der Laut.

„Hortense!“ rief sie leise an der Thür.

Keine Antwort, aber das Stöhnen drang noch vernehmlicher an ihr Ohr.

Sie stieß die Thüre auf und trat in das verdunkelte Zimmer. Ein häßlicher starker Geruch quoll ihr entgegen, der sich betäubend auf ihre Sinne legte; sie kannte ihn wohl von der Krankheit ihrer Schwester her. „Chloroform!“ sagte sie halblaut und schlug die seidnen Vorhänge des Bettes zurück.

(Fortsetzung folgt.)




Die Frau eines Thronfolgers.
Von Arthur Kleinschmidt.
(Mit Portrait von Mary Anne Fitzherbert auf S. 21.)

In jedem Menschenleben tritt eine Stunde unwiderruflicher Entscheidung ein, sie schlägt klar vernehmlich für jeden aufmerksam Lauschenden. Hören wir aber nicht darauf und treffen unsere Wahl nicht bewußt, so haben wir unsern Kurs auf immer verloren und stranden. Freilich ist das Buch des Lebens für die Augen Zahlloser mit unleserlicher Schrift geschrieben; sie müssen erst die bittersten Erfahrungen durchkosten, ehe sie den Kreuzweg erkennen, an dem sie irre gingen, und ihr Herz wird zum Märtyrer ihres Aberglaubens.

Mary Anne Smythe, über deren wechselvolle Schicksale wir im Nachfolgenden berichten, wurde am 26. Juli 1756 als Tochter Walter’s Smythe, Esq. von Brambridge, geboren; die irische Familie Smythe, seit 1661 mit der Baronetswürde geziert, zählte zu den besten der Grafschaft Durham. Im Juli 1775 heirathete Mary Anne Edward Weld, den Oheim des 1837 verstorbenen Cardinals Thomas Weld, wurde aber noch in demselben Jahre zur Wittwe und beglückte 1778 mit ihrer Hand Thomas Fitzherbert, Esquire von Swinnerton in Staffordshire und von Norbury in Derbyshire; aber auch diese Ehe löste der unerbittliche Tod rasch, so glücklich auch die jungen Gatten waren, schon am 7. Mai 1781 starb Fitzherbert, und der Wittwe hinterblieb eine Rente von fast 2000 Pfund Sterling. In Richmond traf die jugendliche Frau, schon zweimal Wittwe, mit dem englischen Thronerben zusammen; sie zählte jetzt 28 Jahre, der Prinz von Wales erst 22.

Georg hatte eine schlechte Erziehung genossen, seine bedeutenden Geistesanlagen waren eher unterdrückt als gefördert worden. Der argwöhnische Vater, König Georg III., die dritte hannöverische Null dieses Namens auf dem britischen Throne, hielt den lebhaften Prinzen ängstlich vom öffentlichen Leben fern, und dieser vertrieb sich, sobald er mündig war, die Zeit mit allerlei noblen Passionen, durch seinen Oheim, den Herzog von Cumberland, darin unterrichtet.

Unter Liebeshändeln, Gelagen und Schlemmereien verbildete sich Georg’s Charakter mehr und mehr. Nach Tradition der britischen Thronfolger machte er der väterlichen Regierung lebhafte Opposition, stimmte mit den enragirten Whigs gegen die Tories, und dafür setzten seine politischen Freunde mehrmals eine Bill zur Zahlung seiner Schulden Seitens des Parlaments durch. Georg war unendlich populär, wie meist Kronprinzen sind; seine hohe anziehende Gestalt hatte etwas Imponirendes; er galt für den elegantesten Gentleman und für den schönsten Mann des vereinigten Königreichs, lebte lustig in den Tag hinein, nahm sich Shakespeare’s Prinz Heinrich zum Vorbilde, und die Nation hoffte, als Monarch werde er einst ein zweiter Heinrich V. werden. Auf seinen Geist und sein Wissen wirkte fördernd der intime Umgang mit den ersten Größen des Landes, James Fox, Edmund Burke und Richard Sheridan; aber auch manche Schattenseite war die Folge dieses Verkehrs, denn Sheridan führte ein Prasserleben, spielte und trank, bis er im Elend endete, und Fox scheute vor keiner Vergeudung an Kraft und Geld zurück, manchmal tausend Guineen am Spieltische verlierend.

Auf seiner Jagd nach Abenteuern begegnete der Prinz von Wales der Wittwe Fitzherbert, die alsbald tiefen Eindruck auf den verwöhnten Frauenkenner machte; sie konnte sich noch zu den schönsten Töchtern des durch Frauenreiz so hochbegnadeten Albion rechnen, und eine Volksballade besang sie eben als „das süße Mädchen von Richmond Hill“. Ihre Gestalt war von vollendeter Eleganz, schlank und doch voll, ihr reizendes Antlitz trug einen kindlich reinen Stempel, seelenvolle schwarze Augen strahlten in die Welt hinein, von hohen feinen Bogen überwölbt und von langen Wimpern beschattet, dem lieblichen Munde standen die schwellenden Lippen gar zu verführerisch, die Nase war wie nach einem griechischen Modelle geformt, und um diesen prächtigen Kopf fluthete die üppigste Lockenfülle. Mit Schönheit verband Mary Anne die feinsten Formen des Umgangs, eine seltene Bildung, und wer in eingehendem Gespräche das Glück genoß, in ihren Geist Einschau halten zu dürfen, gestand sich, sie sei ein auserwähltes Weib.

Rasch näherten sich Georg und Mrs. Fitzherbert, mächtig von einander angezogen. Ihr schmeichelte es, vom künftigen Könige all ihren Mitschwestern vorgezogen zu werden; ihr gefiel seine ritterliche Erscheinung, die Kunst, als vollendeter Kavalier die Welt zu blenden; und dieses Ideal schien nur für sie zu leben, deren Herz heiß für ihn glühte. Trotzdem wies sie alle Verführungskünste mit ungewöhnlicher Festigkeit zurück und ließ nicht einen Moment in der Verteidigung nach; mochte er seine beliebte Maske annehmen und sich als Schwerkranker einschließen oder mit Selbstmord drohen. Ihre Weigerungen brachten sein Blut zum Sieden; er setzte Himmel und Erde in Bewegung, sie zu besitzen, ohne jedoch seinem Ziele um einen Schritt näher zu rücken. Voll Verzweiflung sah er, wie Mrs. Fitzherbert auf den Kontinent abreiste, um seinen ungestümen Werbungen zu entrinnen; bei seinem Freunde Fox und dessen Freundin Miß Armitstead schüttete er das übervolle Herz aus und rief in hysterischer Anwandlung, er wolle England verlassen, der Krone entsagen, seine Juwelen und Besitzthümer verkaufen und aus dem Erlöse mit Mary Anne in Amerika leben.

Während der Reise blieb er in stetem Briefwechsel mit der Angebeteten, und kaum war sie Ende 1785 heimgekehrt, als er von neuem Sturm auf ihr Herz lief, wiederum aber mit derselben Standhaftigkeit der Tugend abgewiesen wurde. So erkannte er, daß er sie nur dann sein Eigen nennen dürfe, wenn er sie zu seiner Gemahlin erhebe. Dieser Möglichkeit aber stand das britische Gesetz entgegen. Georg durfte nur heirathen, wenn beide Häuser des Parlaments zustimmten, und erst mit 25 Jahren; eine Katholikin durfte er überhaupt nie wählen. Das Gerücht, Georg’s Leidenschaft setze sich über dies Alles hinaus, bewog Fox, ihm am 10. December 1785 in einem ausführlichen Mahnbriefe die traurigen Folgen eines verzweifelten Schrittes darzulegen. Fox erinnerte den Prinzen daran, daß ihn die Ehe mit einer Katholikin vom Throne ausschließe und sein Vater mit Freuden diese Gelegenheit ergreifen werde, um seinem Lieblingssohne Friedrich, Herzog von York, die Krone zu vererben; auch beleuchtete er den alteingewurzelten Volkshaß gegen den Katholicismus. Er stellte ihm vor, wie eine wirkliche Ehe somit unmöglich sei, und welche eigentümliche Lage geschaffen würde, wenn die Frage eine offene bleibe, ob der Prinz von Wales Ehemann sei oder nicht? Wie sehr aber, so meinte er, würde sich die Sache noch verschlimmern, wenn aus einer so zweifelreichen Ehe Kinder entsprössen! Fox wies darauf hin, von einer legalen Heirath könne überhaupt erst die Rede sein, wenn Georg 25 Jahre zähle – also in zwei Jahren, erst dann könne er dem Parlamente seinen Heirathsentschluß mittheilen, wäre er aber dann schon mit einer Dame ohne Parlamentskonsens vermählt, so entstünden hieraus Streitigkeiten und Verwicklungen ohne Zahl, zumal wenn etwa der Erstgeborene der vom parlamentarischen Gesichtspunkte aus ungesetzlichen Verbindung dem ältesten Sohne einer etwaigen zweiten Ehe die Erbfolge bestreiten würde, welche Verantwortung aber lade Georg auf sich, wenn er Frau und Kinder in eine so fragliche Stellung bringe und auf sie den Schatten der Illegitimität fallen lasse; darum möge er von einer Scheinehe abstehen, die keinem der beiden Kontrahenten Ehre machen könne. Der große Parlamentsredner schloß mit der Versicherung, Mrs. Fitzherbert sei nach einstimmigem Urtheile von unsträflichem Charakter und den einnehmendsten Manieren; während

er aber sonst durchaus nicht gegen die Verbindung königlicher

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 24. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_024.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)