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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

No. 2.   1887.
      Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt. — Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. — In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. — In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 25 Pfennig.



Herzenskrisen.
Roman von W. Heimburg.
(Fortsetzung.)


Es war ein wunderliches Ding von einem Garten, in welchem Lucie und Tante Dettchen hin und her wanderten. Ein einziger Birnbaum stand inmitten des kleinen Geviertes, längs der Mauer lief der einzige Weg hin und mündete in der Laube, auf deren niedrigem Holzgestell wilder Wein üppig rankte. Sonst war, abgerechnet zwei Centifolienstöckchen, Alles zu Gemüseanlagen benutzt; Erbsen, Möhren, Zwiebeln und Salat standen in tadelloser Ordnung auf den Beeten, es war die reine Ironie, hier von einem Garten zu reden.

Hinter der mäßig hohen Mauer aber flüsterte der Westwind in den grünen Baumkronen, und die Abendsonne lag auf den Gipfeln mächtiger alter Linden und Ulmen. „Es gehört zu der Meerfeldt’schen Besitzung – der Großvater von Hortense von Löwen – weißt Du,“ erklärte Tante Dettchen hinausweisend.

Lucie schwieg. Die Wiederbegegnung mit Hortense berührte sie jetzt unsagbar peinlich. Sie saß still in der Laube neben der Tante und ihr war grenzenlos bang in diesem fremden Hause, das ihr die traute Häuslichkeit der Schwester ersetzen sollte. Instinktiv empörte sich ihr argloses Herz gegen das Wesen der Frau, welche die Mutter ihres Bräutigams war. Wenn er doch wenigstens erst käme! – Er wußte, in welch sonnigem Hause sie groß geworden, er kannte die Schwester, die trotz ihrer Leiden so sanft war, er kannte das frische derbe Wesen des Schwagers, dem die Gutmüthigkeit aus jeder Linie des Gesichtes sprach, und die Kinder mit ihrem Jauchzen und Spiel; er kannte die Linde vor der Hausthür, in der die Forsteleven für sie einen luftigen Sitz gebaut, und den weiten, weiten Wald und die Berge.

„Weinst Du?“ fragte Tante Dettchen.

„Sei nicht böse, Tante, ich dachte an den Abschied.“

„Ja, es ist schwer, aus der Heimath zu gehen,“ nickte das kleine gute Gesicht. „Wo hast Du denn Alfred kennen gelernt?“ erkundigte sie sich dann, in der Absicht, das Mädchen auf lichtere Gedanken zu bringen, und sie erreichte ihren Zweck vollkommen.

„O, er kam ja sechs Wochen lang täglich in unser Haus,“ berichtete Lucie, und ihr trauriges Gesicht hellte sich strahlend auf. „Meine Schwester war sehr krank – hat er es Euch denn nicht erzählt? Und einmal, da kam er erst gegen Abend; ich stand eben am Fenster meiner Stube, ich ging aber nicht zu Emmi hinunter – sie war eigentlich schon ganz gesund – weil ich mich vor ihm fürchtete; er sah mich immer so seltsam an, daß ich Herzklopfen bekam.“

Sie schwieg und wand ihr Taschentuch zu einem Knoten in der Hand. „Da, wie ich immer noch so stand – es war ein so wunderschöner Abend; am Himmel, der rosig erglühte, zogen lauter duftige Wölkchen, ich werde es nie vergessen und ich fühlte, daß mir etwas bevorstand – da kamen auf einmal die Kinder und holten mich jubelnd hinunter in die Wohnstube, und da – –.“

Sie brach ab, das liebe kluge Gesicht wie von Blut übergossen.

„Du hattest ihn also schon längst lieb, Kind?“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht; mir ist’s, als hätte ich ihn schon immer


Mary Anne Fitzherbert.
Faksimile nach einem Kupferstich aus dem Werke „Memoirs of Mrs. Fitzherbert“.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_021.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2024)