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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Der Putz von der Alpe Lorrin.
Originalzeichnung von Mathias Schmid.

mit einem Helme und langem Rocke, vergoldete Knöpfe daran, mit Degen und Hirschfänger auf einem Rappen durch steile Felsen reitend gesehen werden. Unter diesem Gespräche war vier Uhr Morgens herangerückt. Sausend und brausend verließ dann der Unbekannte wieder die Hütte, brüllte aber nochmals grunzend durch das Gußloch herein. Bei Tagesanbruch ist großer Schnee mit Nebel gelegen. Der Putz, den der Jäger auf der Alpe sah und hörte, ist unschwer als Wuotan zu erkennen, wie sonst im Nebelmännlein.

Mathias Schmid, welcher bei seinem letzten Aufenthalte in Paznaun auch diesen Schatz zu heben und künstlerisch zu verwerthen begann, hat aus den verschiedenen Arten von Pütz eine besondere herausgegriffen und zur Darstellung gebracht. Es ist ein Weib, das von einem Raben umflattert, auf der Alpe Lorrin auf einem „Marterl“ kauern muß, bis es endlich erlöst wird; denn es ist schuld, daß ein Mädchen vom Berge abgestürzt ist. Man sieht es der Gestalt an, wie hart der Bann, welcher sie dort gefangen hält, auf ihr lastet. In schmerzlicher Sehnsucht harrt sie darauf, daß endlich die Zeit der Erlösung nahe. Noch ist es zu früh, und kummervoll harrt sie weiter. Dieser Putz unterscheidet sich aber von einer anderen Art, welche erlöst werden kann, wenn sich zu rechter Zeit der geeignete Erlöser naht. Doch gerade dieses Los ist um so peinvoller, weil möglicherweise der nahende Befreier die Bedingungen der Befreiungsthat nicht bis ans Ende zu erfüllen im Stande ist. Es ist nämlich schon gar oft vorgekommen, daß so ein armer Putz schrecklich enttäuscht wurde. Er beobachtete lange das Thun und Treiben eines Senners oder Hirten, kam ihm vielleicht auch mannigfach dienstfertig entgegen, bis er sich endlich für überzeugt hielt, derselbe müsse sich dazu eignen, den bösen Zauber von ihm zu nehmen. Er vertraut ihm seinen Jammer an, theilt ihm auch die zu erfüllenden Bedingungen mit und zeigt sich ihm etwa in der strahlenden Schönheit einer Jungfrau, wie er sie gewinnen und besitzen soll, wenn er treulich Alles erfüllt haben wird. Theils Mitleid, theils Sehnsucht läßt den Senner zu Allem bereit sein; nichts, gelobt er, soll ihn abwendig machen, kein Anerbieten ihm je höher stehen, als der Besitz der erlösten Jungfrau. Er hat auch bereits die meisten Bedingungen erfüllt und Alles zurückgewiesen, was ihn von seinem Ziele abbringen sollte. Da endlich steigt doch einmal der Gedanke in ihm auf, nach etwas Verbotenem zu greifen und Alles ist umsonst gewesen.

Einen mythologischen Ursprung haben natürlich auch die Salige Fräulein. Die Mythologen wissen noch nicht mit Sicherheit, auf welche Gestalt der alten Mythe sie dieselben zurückführen sollen; man darf es daher auch den Paznaunern nicht verübeln, wenn sie sich um diesen Zusammenhang nicht kümmerten und aus den Salige Fräulein sich eigenartige Gestalten schufen. Jetzt sind sie Töchter Adam’s, welche noch im Paradies vor der Sünde ihres Vaters geboren wurden. Die Erbsünde ging auch deßhalb nicht auf sie über, sondern sie blieben in paradiesischer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_009.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2024)