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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Sagen und Gebräuche aus dem Paznaunthal.

Spalunkesgehen. 0Originalzeichnung von Mathias Schmid.

Auch noch so reizend gelegene Orte können dem „Sommerfrischler“ mitunter auf einen Augenblick langweilig werden. Das erfuhr auch ich im August 1885 in Kufstein. Nicht als ob das hübsch zwischen hohen Bergen am Inn hingelagerte Städtchen an Reiz verloren hätte; ich selbst war inzwischen, mitten in der großartigen Natur, vereinsamt. In dieser Lage fiel mir der Artikel der „Gartenlaube“ über das Hochthal Paznaun in Tirol (1885, Nr. 21 und 22) ein, und ich erinnerte mich der öfter wiederholten Aufforderung unseres liebenswürdigen Meisters Mathias Schmid, doch einmal sein Heimaththal aufzusuchen. Der Entschluß dazu war nun rasch gefaßt, und ich brauchte mein Vorhaben nicht zu bereuen, denn der Besuch des Paznaunthals gestaltete sich zu einer wahren Studienreise, die reich an Eindrücken und Ergebnissen war. Und von diesen möchte ich hier namentlich diejenigen hervorheben, welche sich auf Sagen und Gebräuche beziehen und welche die Meisterhand von Mathias Schmid den Lesern der „Gartenlaube“ in bildlicher Darstellung vorführt.

Man ist in Paznaun wie in eine Märchenwelt versetzt. In Berg und Thal, auf den Alpen und in den Häusern setzen die alten Götter und Geistergestalten unserer Väter nicht bloß ihr mythologisches, sondern, nach der Meinung der Leute, ein wirkliches Dasein fort.

Zunächst begegnen wir hier den sogenannten Pütz, unter welchem Namen in anderen Gegenden die verschiedenartigsten mythologischen Gestalten auftreten. Bei den heutigen Paznaunern gelten sie für Menschen, welche nach ihrem Tode wegen einer begangenen Missethat auf Erden herumwandeln müssen, bis sie, wenn es überhaupt möglich ist, erlöst werden. Da die Verbrechen aber nie ganz aufhören und manche überhaupt nie gesühnt werden können, so muß es natürlich solche Pütz auch immer noch geben. In der That sah im Jahre 1848 ein als sehr geübter Schütze und Gemsenjäger nah und fern bekannter Mann einen Pütz, als er von Chur nach Hause zurückkehrte und zugleich mit seinem Begleiter in einer Sennhütte übernachten mußte. Sie machten ein Feuer an, aßen und lagerten sich auf der Lagerpritsche, wo sie noch Lagerstroh angetroffen. Kaum hatten sie sich aber in dieses gebettet, da hörten sie ein furchtbares Grunzen, wie von einem Schweine, durch das Gußloch herein. Der Begleiter zitterte vor Angst, zog sein Wams über den Kopf und verhielt sich mäuschenstill. Aber da sprang die Hüttenthür mit schauerlichem Rasseln auf, ein großer Mann mit einem graulodenen Wettermantel und einem großkrämpigen, auf der rechten Seite mit einem halbgespaltenen Holze aufgestülpten Hute trat herein und ließ sich neben dem Feuerherde nieder. Der Jäger wurde aber nicht eingeschüchtert, stieg von der Pritsche zu dem Unbekannten ans Feuerloch herab, machte wieder Feuer an und nahm, da das Holz mangelte, auch Bretter vom Hüttendache. So oft er dies that, schaute ihn der Unbekannte mit drohender Miene an. Lange saßen sie so neben einander, ohne ein Wort zu sprechen; endlich fragte der Jäger doch: was er da mache und wer er sei?

Der Unbekannte antwortete, er habe vor gar langer Zeit auf dieser Alpe, die einer Wittwe gehört, gehütet; als diese die Alpe an einen Anderen verpachtet, sei er bei diesem ebenfalls Hirte gewesen. Nach einigen Jahren habe aber der Pächter die Alpe als Eigenthum angesprochen, und in dem darüber entstandenen Processe sei er, der Unbekannte, auch vernommen worden; allein er habe unter einem falschen Eide ausgesagt, er sei nie bei der Wittwe Hirte gewesen, sondern nur bei dem Pächter. Dieser habe darauf hin den Proceß gewonnen, er aber sei von der göttlichen Gerechtigkeit bis zum jüngsten Tage auf diese Alpe verbannt worden; ob er aber dann selig werden könne, das wisse er nicht. Doch dürfe er sich in dieser Alpenhütte nur von der Alpenabfahrt bis zur Zeit der Auffahrt aufhalten; die übrige Zeit müsse er im Alpenreviere zubringen. Der Junker, der ihn zum falschen Eide verführte, sei hingegen auf ewig verdammt, müsse sich auf einem Kopfe der Alpe aufhalten und könne bei schlimmem Wetter

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_008.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2024)