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Theil eine Höhlung vorhanden sein müsse: er hob die in dem Kaminboden stehenden Fliesen des Fußbodens auf, und der Anblick des Balkens bestätigte seine Vermuthung. Er schob das Feuer bei Seite, benutzte ein Scheit als Hebel, entfernte die Mittelschicht, auf der die beiden dicken Steinplatten ruhten, arbeitete dann mit den Händen ein Loch in den Boden, und durch wiederholte Stöße gelang es ihm schließlich, die Decke des unter ihm befindlichen Zimmers einzuschlagen. Nach dieser mehrstündigen Arbeit wurde ihm als Belohnung ein schauerlicher Anblick zu Theil; er sah einen völlig nackten Mann von etwa fünfzig Jahren, mit ungemein langem, grauem Barte und gesträubtem Haar, der ihm die Mörtelstücke zurückschleuderte, die er hinabgeworfen hatte. Es war das, wie er später erfuhr, ein Wahnsinniger, Hauptmann Eustache Farey, der schon 22 Jahre in der Bastille saß. Doch Dumouriez hatte seinen Zweck erreicht: man wies ihm nun eine andere Zelle an.

Der merkwürdigste Gast des düstern Staatsgefängnisses war nicht der Magier Cagliostro, der auf seinen irren Lebensbahnen auch einmal hierher gerathen war, sondern der Mann mit der eisernen Maske, das weltgeschichtliche Räthsel, welches zu so vielen und so verschiedenen Lösungen Anlaß gegeben hat. Es ist eine durch die Tagebücher des damaligen Kommandanten der Bastille, du Junca, bezeugte Thatsache, daß am 18. September 1698 ein mit einer schwarzen Sammtmaske versehener Gefangener von dem Gouverneur von Saint-Marguerite, Saint-Mars, von dort, wo dieser ihn schon lange in Gewahrsam hatte, in die Bastille gebracht wurde. Der Name desselben wurde nie genannt; am 19. Nov. 1703 starb er in dem Gefängniß. Dieser räthselhaften Erscheinung bemächtigte sich die Romandichtung, Wahres und Falsches vermischend, und so wurde aus der Sammtmaske alsbald eine eiserne Maske, deren Mechanismus aufs Genaueste beschrieben wurde. Sie sollte hinten mit einem versiegelten und so kunstvoll gefertigten Vorlegeschloß versehen gewesen sein, daß der Gefangene sie nicht öffnen konnte, ohne sich das Leben zu nehmen. Den Schlüssel zu diesem Schlosse besaß der Gouverneur. Von außen mit schwarzem Sammt belegt, war sie so eingerichtet, daß ihr oberer Theil unbeweglich festsaß, die untere Partie aber der Bewegung der Kinnladen freien Spielraum gestattete, so daß sie beim Essen, Trinken und Sprechen nicht beschwerlich fiel.

Und der Träger dieser Maske? Es ist, als blätterten wir ein geschichtliches Album mit den verschiedensten Portraits durch, wenn wir alle die Muthmaßungen und Behauptungen der Chronik- und Memoirenschreiber lesen, die sich auf diesen räthselhaften Gast der Bastille beziehen. War doch der Phantasie und dem Scharfsinn selten so viel Gelegenheit geboten, sich geltend zu machen. Nach der einen Annahme war der Träger der Maske Ludwig’s XIV. Sohn von der Lavallière, der Graf von Vermandois. Zwar war bekannt, daß der Graf 1683 im Lager von Courtroy am Nervenfieber gestorben; gleichwohl fand jene Meinung Glauben, weil man durchaus wissen wollte, daß ein Königssohn in der Bastille gesessen: man wollte doch dem alten Bauwerk auch diese Ehre zukommen lassen. So erklärt es sich auch, daß man einen echten Königssohn, einen Zwillingsbruder Ludwig’s XIV., in dem Mann mit der Maske sah, der dem König selbst zum Verwechseln ähnlich gewesen sein soll und von ihm insgeheim gefangen gehalten wurde, weil Mißvergnügte, die von der Existenz desselben erfuhren, leicht zu seinen Gunsten einen Aufstand erregen konnten. Diese durch nichts näher begründete Fabel ist indeß vielfach von Geschichtschreibern wiederholt worden; vor Allem aber war sie den Romanschriftstellern und Dramatikern willkommen; ein Zschokke und Alexander Dumas legten sie ihren Erfindungen zu Grunde. Außerdem wurde der Mann mit der Maske für einen natürlichen Sohn der Anna von Oesterreich gehalten, von Einigen dem Herzog von Buckingham die Vaterschaft zugeschrieben. Nach anderer Ansicht war der Maskirte der Herzog von Beaufort, wegen seiner Beliebtheit bei dem niedern Volke der „König der Hallen“ genannt: er war früher an den Unruhen der „Fronde“ als Hauptanführer betheiligt gewesen, hatte sich aber 1659 dem König unterworfen und als Admiral die französische Flotte kommandirt. Bei einem Zug nach Kandia fiel er angeblich im Gefecht; doch ist seine Leiche nie gefunden worden. Sollte er indeß jener Unbekannte gewesen sein, so müßte er ein Alter von 92 Jahren erreicht haben.

Nach einer Lesart war der Mann mit der Maske Niemand anders, als der Herzog von Monmouth, der zwar am 15. Juli 1685 in London auf offenem Platze enthauptet worden war als Rebell gegen König Jakob II., der aber doch ohne Bedenken von einigen Geschichtschreibern wieder ins Leben gerufen wurde. Der hingerichtete Herzog Monmouth soll nicht der echte gewesen sein, sondern ein Doppelgänger, der an seine Stelle gesetzt wurde; auch soll jener Gefangene das Französisch mit fremdem Accent gesprochen haben. Die Vermuthungen wurden immer abenteuerlicher: jener räthselhafte Mann mit der Maske soll gar ein armenischer Patriarch Avedik gewesen sein, der die Katholiken verfolgte und deßhalb von den Jesuiten aufgehoben, nach Frankreich und in ein Gefängniß gebracht wurde, aus dem es kein Entrinnen mehr gab; dann wieder wollte man in ihm einen Sekretär und einen Minister des Herzogs von Mantua sehen, der gegen Ludwig XIV. intriguirt hatte und in dessen Gewalt gerathen war; oder den erwähnten Intendanten Fouquet, der in Pignerolles nicht gestorben sein soll, oder einen Marineofficier des Herzogs von Beaufort, der diesen in die Hände der Türken gerathenen Admiral auslösen wollte, während man in Paris froh war, den König der Hallen los zu sein, oder einen Abenteurer, Chevalier von Armoises, welcher zu den gefährlichsten Spionen und Verschwörern gehörte, ein Attentat gegen Ludwig XIV. im Einverständniß mit hochgestellten Personen ausführen wollte und deßhalb ohne Urtheil und Recht in geheimer Haft gehalten wurde. Diese letztere Vermuthung hat noch das Meiste für sich und beruht auf genauen Nachforschungen in den Registern der verschiedensten Gefängnisse, in denen der geheimnißvolle Verbrecher gefangen gehalten wurde.

Gleichviel, wer dieser Mann mit der eisernen Maske gewesen: es war kein bedeutungsloser Zufall, daß er in der Bastille sein Schicksal erfüllte; denn was war die Bastille selbst, als eine eiserne Maske, welche der Despotismus seinen Opfern anlegte? In dem ebenso altersgrauen Gefängniß des Temple büßte später ein König für die Gewaltthaten seiner Vorgänger, deren steinerne Chronik der Sturm des Volkes vom Erdboden fortgefegt hatte.


Erfrieren.

Von Geheimrath von Nußbaum in München.
(Schluß.)

Manche Leute glauben, daß die Finger und Zehen und die Nasenspitzen nur deßhalb so leicht erfrieren, weil sie so weit vom Herzen entfernt sind und darum vielleicht weniger gut mit warmem Blute versorgt werden. Obwohl ich dem nicht ganz widersprechen will, so scheint doch der Hauptgrund hierfür darin zu liegen, daß diese Theile sehr dünn und klein und der Luft recht frei ausgesetzt sind.

Werden solch kleine Theile großer Kälte preisgegeben, so ziehen sich die Adern zusammen und treiben das Blut gegen das Centrum. Die Rückflächen der Finger und Zehen erfrieren zuerst, werden blaß, gefühllos, die Glieder selbst starr und bewegungslos.

Nach einiger Dauer gefriert das Blut in den Adern zu Eis; alle Gewebsfasern werden spröde und brechen sehr leicht. Erfrorene Glieder sind aber nicht todt; langsam erwärmt, genesen sie wieder vollkommen. Werden sie aber großer Kälte ausgesetzt und dann rasch erwärmt, so giebt es eine heftige entzündliche Reaktion, gerade so, als wenn man normal warme Theile der Siedhitze aussetzen würde.

Erkältung allein kann wohl eine Erstarrung, eine Brüchigkeit und Gefühllosigkeit bewirken, aber eine entzündliche Reaktion entsteht nur nach unvorsichtiger rascher Erwärmung. Nur solch unpassendes Verhalten bringt alle die Uebel, welche wir als erfrorene Glieder, Frostschäden oder Frostbeulen bezeichnen.

Frostbeulen, wobei die Haut und das unterhäutige Zellgewebe entzündet ist und wuchert, verursachen bei warmer Witterung oft unerträgliches Jucken.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 912. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_912.jpg&oldid=- (Version vom 27.2.2023)