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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

vorüber kam, und Fräulein Else lag darin, strampelte mit den Beinchen und erzählte sich selbst lange Geschichten. Durch die Fenster sah, ebenfalls lachend, die helle Wintersonne, und im ganzen Hause duftete es nach Tannenbaum, Wachskerzen und Kuchen.

Wie eilig und wichtig die junge Mama war! Sie wußte gar nicht, wo zuerst beginnen. Im Salon stand die Tafel zur Bescheerung bereit; wir hatten für so Viele aufzubauen, für Mamachen und Schwägerin und zwei Brüder meiner Frau, die auf Urlaub daheim waren; für die Dienerschaft und vor Allen für das Kind. Sie würden ja Alle nur das Kind ansehen, und die Brüder kannten das Gretchen noch nicht als Hausfrau und Mama.

Heute nun wollte sie sich zeigen; alles Silber war herausgegeben, der feinste Damast; für das Baby das weiße gestickte Kleidchen mit den himmelblauen Schleifen.

„Rudolf! Rudolf!“

„Ja, mein Kind!“

Sie kam athemlos herein mit einem Billet. „Denke Dir, die Mieze! die Mieze hat sich verlobt mit dem Assessor! Er kommt heut Abend natürlich mit – Rudolf, da steht’s!“

„Nun, das ist allerliebst!“

„Und da schreibt Mama; sie schickt Champagner für heute Abend. Rudolf, ich bitte Dich, Du mußt noch eine Kleinigkeit besorgen für den neugebackenen Bräutigam, eine Meerschaumspitze oder ein Bierseidel oder dergleichen; man kann ihn doch bei der Bescheeruug nicht umgehen.“

„Ja, mein Engel –“

„Aber rasch! Du mußt mir nachher noch helfen beim Anputzen des Baumes.“

„Sofort, Gretchen – das heißt, wenn ich hier fertig bin; ich habe auch meine Geheimnisse.“

So ungefähr drei Uhr Nachmittags machte ich mich auf den Weg, um den Auftrag meiner Frau auszuführen. Ich fand bald, was ich suchte, drängte mich durch die hastig treibende Menge auf den Weihnachtsmarkt, kaufte einen Veilchenstrauß für Grete, freute mich über die erwartungsvollen Gesichter von Alt und Jung, dachte an mein blondes Mäuschen zu Hause und fand, daß ich doch ein glücklicher, ein sehr glücklicher Mensch sei. Wie arm war ich einst, wie reich bin ich jetzt! Die Weihnachtsabende von früher fielen mir ein … wie kalt, wie düster, wie ungemüthlich! Das eine Mal trank ich mir einen Rausch in Punsch; das war die allerhäßlichste Weihnacht. Meistens aber saß ich allein, ganz allein; ich hatte nicht eininal Jemand, der mir eine Weihnachtskiste sandte, die ich auspacken durfte.

Auf einmal fiel mir die Weihnacht ein, an der ich Männe kaufte, Männe, den treuen Freund meiner Einsamkeit. Wie lange hatte ich nicht an den kleinen Kerl gedacht! Der Bursche hatte indessen gewechselt und Männe mitgenommen; aber siehe da! schon anderen Tages war der Hund wieder im Pferdestall. Der neue Bursche hatte es mir gemeldet und gefragt, ob das Thier bleiben solle? Ich hatte kurz genickt. Der Hund war ein Stachel in meinem Gewissen, der einzige wunde Punkt zwischen Gretchen und mir. „Behandle ihn gut!“ – „Zu Befehl, Herr Lieutenant.“

Seitdem hatte ich in der That mich nicht mehr um ihn gekümmert. Diese dumme Sentimentalität! Ich stand plötzlich im Schlächterladen und kaufte eine Wurst; ich wollte noch in den Pferdestall, bevor oben die Bescherung anfing. Im Stalle war weder Männe noch der Bursche; die Stubenthür zu des letzteren Quartier fand ich verschlossen: er half wohl oben in der Küche. Aber ein freudiges Schnuppern und Kratzen drinnen verrieth mir den Aufenthalt des Thieres. „Warte nur, alter Kerl, ich schicke Dir die Wurst nachher.“

Es war schon leichte Dämmerung, als ich die Flurthür öffnete und lautes Gespräch und Lachen mir entgegenscholl. Ich hatte mich natürlich verspätet – sie waren schon Alle da? Richtig, meine Stube voller Menschen; die Brüder, das Brautpaar, die Schwiegermama beim Kaffee.

„Wo ist meine Frau?“ erkundigte ich mich unter Händeschütteln und Glückwünschen.

„Im Salon beim Weihnachtsmann, und sie erwartet Dich. Genire Dich nicht, wir unterhalten uns hier schon.“

Im Salon war es still und feierlich; die Tritte der kleinen geschäftigen Füße hörte man kaum auf dem weichen Teppich; nur die Seide des Kleides raschelte leise, und wir sprachen mit gedämpfter Stimme; das Kind schlief noch.

„Rudolf,“ flüsterte sie, „ist es nicht süß, ist es nicht reizend?“ Und sie zog mich zu dem Plätzchen unter dem Tannenbaum, wo sie alle die bunten Spielsachen aufgebaut hatte. Wir standen Beide davor und sahen uns in die Augen; „Unser Kind! Unser liebes Kind!“ – Dann gaben wir uns einen Kuß, sie wischte sich eine Thräne ab, und wir versicherten uns gegenseitig, es sei zu schön auf der Welt, wir seien zu glücklich, sie und ich und das Kind –.

„Geht’s noch nicht bald los?“ rief draußen die Stimme von Gretchen’s jüngstem Bruder, dem Fähnrich.

Wir fuhren wie ertappte Liebesleute auseinander. Grete verschwand im Kinderzimmer, nachdem sie mich noch ermahnt hatte, nicht unter das Tuch zu sehen, das die für mich bestimmten Gaben verhüllte. Und während ich rasch das Etui mit dem heißersehnten Armbande und noch verschiedene Kleinigkeiten auf ihren Platz legte, hörte ich sie mit dem Kinde im Nebenzimmer plaudern: „Ei, ei, mein Mäuschen, jetzt – jetzt aber hübsch still halten, der Weihnachtsmann ist da.“

Dann brannte ich die Lichter an und klingelte, und das Freuen und Jubeln war genau so, wie Jeder meiner Leser es kennt, wenn er einmal im Kreise glücklicher Menschen einen Tannenbaum brennen sah. Grete und ich hatten nur Augen für die Kleine; Einer nahm sie dem Andern ab; für jeden Freudenlaut küßten wir sie. Großmama und Onkel und Tanten, sogar der neue Bräutigam legten der kleinen Prinzessin so viele Gaben zu Füßen, daß wir uns wie in einem Nürnberger Spielwarengeschäft befanden.

„Hier, laßt sie einmal Champagner kosten,“ rief der jüngste Onkel. „Wahrhaftig, die versteht’s – Grete, hast Du gesehen, wie Deine Tochter schlucken kann?“

„Macht mir das Kind nicht betrunken,“ bat meine Frau.

„Ei, das schadet ihm nichts.“

„Nein, das dulde ich nicht,“ erklärte die Großmama, „seht doch, sie hat schon ganz kleine Augen!“ Und sie entriß uns das Baby fast gewaltsam und verschwand mit ihm in die Kinderstube.

Um sechs Uhr gingen wir zu Tische; Gretchen hatte dem Brautpaar zu Ehren das Souper in ein Diner verwandelt; sie lief noch einmal eilig zu der Kleinen und nahm dann den Platz vor der dampfenden Suppenschüssel ein. „Sie schläft ihren Rausch aus,“ lachte sie, „Minna sitzt an ihrem Bettchen. Ihr habt ihr auch zuviel Champagner gegeben.“

So eine Stunde mochte vergangen sein in fröhlicher Unterhaltung, in Neckerei und Jugenderinnernngen; da stand die Großmama auf und öffnete das Fenster.

„Horcht, die Glocken!“

Wir waren Alle still. Einem Jeden von uns kam wohl ein feierlicher Gedanke. Das junge Brautpaar hatte sich verstohlen die Hände gereicht; Gretchen’s Kopf lag an meiner Schulter; der ältere Schwager dachte hinaus an das Mädchen, das er heimlich liebte, an künftige glückliche Weihnachten, der jüngere schaute ernsthaft in sein Glas. Am Fenster stand eine Frau und wischte sich heimlich die Thränen. „Sie denkt an Papa,“ flüsterte Gretchen mir zu.

Da auf einmal mischten sich in diese Glockenklänge Töne, die mich erschreckt zusammenfahren ließen; – es war das halberstickte Geheul eines Hundes, erbärmlich klagend, Hilfe heischend.

Ich sprang empor. „Männe! das ist Männe’s Stimme! Wo mag er sein?“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 906. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_906.jpg&oldid=- (Version vom 30.1.2017)