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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

No. 52.   1886.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 21/2 Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


Unser Männe.
Von W. Heimburg.
(Schluß.)


Was wir nicht Alles zu thun hatten in der geheimnißvollen trauten Zeit vor Weihnachten! Abends, wenn die Kleine schlummerte, saß Gretchen in meinem Zimmer auf dem Sofa und nähte Kleider für ein Puppenbaby, das die Augen auf- und zumachen und schreien konnte und den Kopf voller Flachslöckchen hatte. Ich tapezierte eigenhändig eine Puppenstube, zu der meine Schwägerin die Bewohner ankleidete – einen Papa in Uniform, eine Mama im Spitzenschlafrocke und sechs Puppenkinder. Wir waren so eifrig, daß wir das Sprechen fast vergaßen.

„Wie sie sich freuen wird, Rudolf!“ meinte Gretchen endlich und besah entzückt das Hütchen, welches eben fertig geworden war, „es ist doch gut, daß wir ein Mädchen haben; für einen Jungen findet man so schwer Spielzeug.“


„Kinder, Ihr seid närrisch,“ behauptete meine Schwiegermutter, „das Würmchen ist ja noch viel zu klein für diese schönen Sachen, versteht nichts davon und wird sie ruiniren.“

Aber da kam sie schön an!

„Else ist ein außergewöhnlich kluges Kind,“ erklärte Gretchen ganz roth; „sie läuft und spielt mit ihren anderthalb Jahren und weiß ganz genau, was sie will!“

„Sie sagt doch schon: Haben! haben!“ bestätigte ich, „und schreit, wenn sie ihren Willen nicht durchsetzt. Nein, die ist ein Pfiffikus, und das hat sie von ihrer Mutter.“

„Und im vorigen Jahre hat sie schon immer nach den Lichtern gegriffen und gelacht,“ bemerkte die kleine Schwägerin.

„Und sie wiegt ihre alte Puppe schon genau ebenso, wie es die Minna mit ihr selbst macht,“ begann Gretchen wieder; „hast Du das nicht gesehen, Mama?“

Mama nickte. „Wenn sie nur der Minna weiter nichts ablernt.“

„Wieso?“ fragten wir wie aus einem Munde.

„Ich weiß nicht, aber das Mädchen gefällt mir gar nicht.“

„Warum denn?“ fragten wir wieder, „sie spielt mit der Kleinen so nett.“

„Nun, ich kann mich ja auch irren; aber wenn mich nicht Alles täuscht, so hat sie einen Bräutigam,“ versetzte meine Schwiegermutter. „Ich sah sie verschiedentlich auf der Treppe neben einem Menschen stehen, – sie riß zwar immer aus, wenn ich kam –“

„Ja, du liebe Zeit, Mama, warum sollte sie nicht einen Schatz haben?“ entschuldigte Gretchen.

„Nein, das gehört sich nicht, liebes Kind,“ unterbrach ich sie, „ein Kindermädchen mit einem Schatz ist ein Unding, paßt sich nicht; sie denkt dann mehr an ihn als an unsere Maus, und kurz und gut, wenn dem so ist, wird ihr gekündigt.“

„Aber Rudolf!“

„Dabei bleibt’s, mein Herz.“

„Halte ich für sehr richtig,“ erklärte die Schwiegermama, „das wird sich Alles finden. Habt Ihr denn schon einen Baum?“

„Ach, eine herrliche Tanne, und prachtvolles Konfekt!“ rief Gretchen. „Mama, es wird der schönste Weihnachtsabend, den ich je erlebt habe!“

„Freilich! Freilich!“ nickte die stattliche Dame. „Es ist reizend, für ein Kind die Lichter anzuzünden. Habt Ihr Alles besorgt für die Leute?“

„Alles! Alles! Was denkst Du denn, Mamachen, übermorgen ist heiliger Abend!“ erklärte Gretchen. Und nun rechnete sie her: „Die Köchin – ein Kleid; das Kindermädchen – einen Mantel; der Bursche – eine Uhr.“ Dann lief sie hinüber zu der Mutter und wisperte ihr etwas ins Ohr. „Aber vergiß es nur nicht, Mamachen, und bitte, bitte, seid pünktlich um fünf Uhr hier; Kleinchen darf nicht so lange aufbleiben.“ –

Der heilige Abend war angebrochen. War das ein Tag! So viel strahlende Gesichter hatte ich lange nicht gesehen: die Anna lachte in der Küche, die Minna in der Kinderstube; meine Frau koste mit der Kleinen, wenn sie geschäftig an dem Bettchen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 905. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_905.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)