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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Sämmtliche Leute auf den Booten sahen ihn, wie er zwischen die Ungethüme hineinfiel und wieder unter ihnen auftauchte. Er schrie jämmerlich um Hilfe, aber keiner von seinen Genossen dachte daran, ihm eine Stange oder ein Ruder hinzuhalten. Keiner hatte jetzt für etwas Anderes Sinn, als für das Erschlagen der Fische. Er hätte mitten in dem Gewirre verschwinden können, für den Augenblick hätte sich Keiner einen Gedanken darüber gemacht.

Unter diesen Umständen war es für den armen Luka ein wahres Glück, daß der Zufall seinen alten Oberst an diesem Tage herbeigeführt hatte. Denn sofort flog das Boot der „Sibylle“, unbekümmert um den Strudel und all die Fischleiber, zwischen den Haken hindurch, welche die Thune auf die Fahrzeuge zerren sollten, wobei es an Droh- und Schimpfworten nicht fehlte, dem Luka entgegen, welcher sich mühsam über Wasser hielt und sich außerdem vor den Fischen ängstigte. Mit leichter Mühe wurde derselbe in das Boot herein gehoben. Der Oberst sagte: „Nun, Luka, das hätte ich wohl nicht gedacht, welchen Fisch ich bei dem heutigen Fang herausziehen würde.“

Luka wußte kein Ende zu finden für den Ausdruck seines Dankes. Alle Mitglieder der Gesellschaft bemitleideten den armen Teufel wegen des kläglichen Unfalles. Dieser aber erklärte, daß ihm Aehnliches noch nicht ein einziges Mal zugestoßen sei. Er schob die Schuld auf die ganz außergewöhnliche Aufregung, in welche er durch den Besuch des Herrn Oberst versetzt worden.

Während von dem armen Luka im Boote das Wasser herunter floß, verloren wir gleichwohl die Vorgänge außerhalb des Bootes nicht aus den Augen.

Nachdem alle die Thune getödtet worden waren, welche sich in dem emporgehobenen Theile des Netzes befanden, wurden die Kammern wieder um ein weiteres Stück gegen das Land hin geschleift und die Metzelei begann aufs Neue. Wir hatten genug von diesem Schauspiel. Das Boot kehrte ans Land und von dort zur „Sibylle“ zurück.

Nach diesem ereignißreichen Tage ankerte die „Sibylle“ beim nächsten Vorgebirge der Küste, im Schutze einer kleinen Bucht, inmitten der krystallinischen Kalkwände, welche einer großen Badewanne aus Marmor glich. Am Hauptmast war die ganze Nacht über eine rothe Laterne aufgezogen. In der Morgendämmerung meldete die Wache einen Dampfer, der, vom offenen Meere kommend, seinen Kurs in die Bucht hinein hielt.

Wenige Stunden später sah man ihn wieder zurückkommen. Man erkannte mit freiem Auge auf seinem Deck viele Reihen von Thunfischen, welche, an einem Strick befestigt, in der Luft hingen.

„Es sind auch viele eingesalzene Fische an Bord,“ sagte der Kapitän. „Eine nicht viel geringere Anzahl aber haben die Burschen wieder ins Wasser geworfen, weil es ihnen an Salz mangelte. Es ist die alte Geschichte, die sich jedes Jahr wiederholt.“

„Es ist ein Glück,“ entgegnete der Oberst, „daß das Meer noch verschwenderischer ist, als diese Menschen. Für hundert Wesen, welche vernichtet werden, erzeugt es Tausende. Wäre das nicht, so würden auch diese unermeßlichen Reiche des Lebendigen verheert sein, gleich der bewohnten Oberfläche. Hier aber bleibt die Thorheit der Menschen erfolglos.“


Sankt Michael.

Roman von E. Merner.
(Fortsetzung.)

Raoul war bei den letzten Worten Steinrück’s leichenblaß geworden; er wagte keinen Widerspruch, aber wenn irgend etwas seinen Haß gegen Michael noch steigern konnte, so war es diese Erklärung. Steinrück ging einige Male im Zimmer auf und nieder, als wolle er sich zur Ruhe zwingen, und trat endlich vor den jungen Grafen hin.

„Deine Verlobung ist gelöst! Nach dem, was Du mir selbst zugestanden hast, kann ich es Hertha nicht wehren, zurückzutreten. Deine Mutter wird Dir klar machen, was Du auch äußerlich dadurch verlierst. Wir sind in diesem Falle ausnahmsweise einer Meinung, und sie scheint eine Ahnung der Gefahr gehabt zu haben, die Dir von jener Seite drohte; denn sie erklärte mir noch kürzlich mit aller Bestimmtheit, daß Du auf ihr Drängen den Verkehr mit den Clermonts aufgegeben hättest. Du hast also auch sie getäuscht, wie Du mich täuschtest, und das um eines Weibes willen –“

„Das ich liebe!“ rief Raoul aufflammend. „Bis zum Wahnsinn liebe! Beleidige Heloise nicht, Großvater! Ich ertrüge es nicht, wenn ich auch weiß, daß Du sie und Henri hassest, weil sie dem Lande meiner Mutter angehören.“

Steinrück zuckte die Achseln.

„Ich dächte, Dein Oheim Montigny gehörte diesem Lande auch an, und Du weißt, daß er meine volle Achtung und Sympathie besitzt. An diesen Geschwistern aber haftet etwas Abenteuerliches, trotz ihrer Abkunft, die ja hinreichend beglaubigt zu sein scheint. Sie verkehren ohne Zweck und Ziel in der hiesigen Gesellschaft und werden vermuthlich eines Tages eben so spurlos verschwinden, wie sie aufgetaucht sind. Dann wird auch Dein unsinniger Roman zu Ende sein, aber er wird Dich eine glänzende Zukunft gekostet haben.“

„Wer sagt, daß er zu Ende sein wird? Wenn Hertha es wagen darf, Deinem Willen Hohn zu sprechen und alle Traditionen unserer Familie mit Füßen zu treten, so werde ich wohl auch das Recht haben, eine Frau mein zu nennen, deren Name unserem Hause mehr zur Ehre gereicht, als der eines Rodenberg.“

„Du denkst Frau von Nèrac zu heirathen!“ sagte der General mit vernichtender Kälte. „Willst Du vielleicht auf Deinen Posten im Ministerium ein Hauswesen gründen? Meine Stellung zu der Sache brauche ich Dir wohl nicht erst zu erklären. Einmal habe ich es zugelassen, daß dies fremde Element sich mit dem unsrigen einte; zum zweiten Male geschieht es nicht wieder – es hat Unheil genug gestiftet!“

„Großvater – Du sprichst von meiner Mutter!“ brauste Raoul auf.

„Ja, von Deiner Mutter, der ich es danke, daß Du mir und Deinem Vaterlande entfremdet bist, daß Du Dich mit Gleichgültigkeit, ja mit Widerwillen abwendest von dem, was Dir das Heiligste auf Erden sein sollte. Was habe ich nicht versucht, Dich diesem Bannkreise zu entreißen! Ob mit Güte oder mit Gewalt, es ist Alles umsonst gewesen! Der ärmste Bauer hängt mit größerer Liebe an seiner Scholle, als Du an Deiner Heimat, und an der Seite einer Heloise von Nérac wäre Dein Schicksal vollends besiegelt. Wenn Dich die Furcht vor mir nicht mehr in Schranken hält, nachdem ich dereinst die Augen geschlossen, so könnte es geschehen, daß der letzte Steinrück seinem Vaterlande verächtlich den Rücken kehrt und dort drüben ein Franzmann wird an Leib und Seele!“

Es lag bei allem Zorne doch ein so bitterer, qualvoller Schmerz in den Worten, daß die trotzige Erwiderung erstarb, die der junge Graf auf den Lippen hatte. Er sollte der Antwort überhoben werden, denn soeben öffnete sich die Thür, und seine Mutter trat ein.

Sie ahnte noch nichts von dem Vorgefallenen. Der General war nach der Entfernung Michael’s nur auf einige Minuten bei ihr gewesen, um ihr die Trauernachricht zu bringen. Sein Gerechtigkeitsgefühl verbot ihm, eine Anklage gegen Raoul auszusprechen, ehe er ihn selbst gehört hatte.

„Da bist Du ja, Raoul,“ sagte sie. „Ich hörte, daß der Großvater Dich rufen ließ, um Dir die Depesche aus Steinrück mitzutheilen, und komme, um zu erfahren, ob wir zusammen abreisen können oder ob Du mir erst morgen folgen wirst. Ich denke heute Abend den Kurierzug zu benutzen, um möglichst bald bei Hertha zu sein.“

Der General wandte sich anscheinend ruhig zu seiner Schwiegertochter.

„Raoul wird überhaupt nicht nach Steinrück gehen,“ entgegnete er. „Es sind Verhältnisse eingetreten, die ihn zwingen, hier zu bleiben.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 863. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_863.jpg&oldid=- (Version vom 29.9.2022)