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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Gerichtslaube auf, welcher der Kaiser, nachdem ihr Abbruch am Rathhausplatze der Reichshauptstadt beschlossen war, hier eine Zufluchtsstätte eröffnete. Was predigen diese Steine Alles! Unter ihnen saßen einst die würdigen Rathsmannen Berlins, Recht zu berathen. Es waren stolze Kernnaturen, diese seßhaften Altvordern der freien Stadt, und als der erste Hohenzoller an ihre Thore mit seinem Eisenhandschuh, Einlaß fordernd, dröhnend klopfte, da kostete es manchen Kampf und reiches Blutvergießen, ehe der Widerstand gebrochen und der Einlaß gewährt ward. Das liegt weit zurück. Heute klopft kein Hohenzoller mehr vergeblich an unsere Thore und Herzen; sie stehen ihnen längst weit offen.

Da liegt unter Bäumen halb versteckt, heiter und traulich, der Sommersitz des ersten deutschen Kaisers. Alles athmet den Hauch altenglischer Romantik, nur sonniger, üppiger vielleicht in graziösen und künstlerischen Einzelheiten. Ein dämmeriger, gewölbter Gang führt uns in die „Hall“. Eichene, kunstvoll geschnitzte Möbel, Waffen und Jagdtrophäen, Kamin und Ampel, nichts fehlt, den Eindruck des Mittelalterlichen noch zu erhöhen. Wir steigen empor. Aber auch was da auf den Wendeltreppen, Fluren an Bildern, Schnitzereien, merkwürdigen Erinnerungsstücken aufbewahrt ist, fesselt immer aufs Neue unsere Aufmerksamkeit. Auf einem Treppenabsatz befindet sich eine Stocksammlung, darunter ein schlichtes Weichselrohr, vom Kaiser selbst vor 46 Jahren geschnitten und seitdem sein treuer Begleiter auf allen Spaziergängen in diesem schönen Besitzthum. Im ersten Stock liegen die Gemächer der Kaiserin wie die daranstoßenden Repräsentationsräume: der große Gesellschaftssaal, die Bibliothek, der herrliche, durch zwei Stockwerke reichende Tanzsaal, wie der Eßsaal mit der mächtig gewölbten Decke und dem imposanten Kamin. Reiche Kunstschätze alter und neuer Zeit, Meisterwerke der Malerei und Plastik füllen diese eben so glanzvollen wie anmuthigen Räume. Ueberraschend wirkt der Blick aus den Fenstern des Speisesaals rückwärts in den Park auf den gothischen Gerhardsbrnnnen, ein unter Blumen Wassergarben speiendes Kunstwerk, geschenkt von den vereinigten Dombaumeistern Kölns, mit der Statue des Schöpfers des herrlichen Doms: Gerhard.

Kaiser Wilhelm und die Großherzogin von Baden im Park von Babelsberg.
Nach einer Moment-Photographie von M. Ziesler in Berlin.

Eine Treppe höher wohnt der Kaiser. Sein Arbeitszimmer, das oberste Geschoß eines starken achteckigen Thurmes, mit gewölbter Decke, blauen Wänden, seiner Lieblingsfarbe, ausgestattet mit weißen Ahornmöbeln, bildet ein wahres Museum von Erinnerungsstücken. Was Liebe und Verehrung dem greisen Monarchen huldigend darbrachten, vom unscheinbarsten bis zum stolzesten Geschenk, ist hier in diesem wunderbaren Raume wie dem bescheidenen Schlafzimmer nebenan, auf den Tischen, Stühlen, Lehnsesseln, an den Wänden und Thüren aufbewahrt worden. Die wohlwollende Herzensgüte, der dankbare, pietätvolle Sinn auch für die geringste Liebesbezeugung, diese Tugenden des Monarchen finden hier ihren rührendsten Ausdruck. Hier oben weilt der Monarch gern in strenger Pflichterfüllung, wenn er, von seinem Rundgang durch den Park heimkehrend, sich wieder an den Tisch setzt, die eingelaufenen Berichte durchzugehen und zu erledigen. Und wenn er dann das milde Auge von der gethanen Arbeit aufhebt und sein Blick durch das Spitzbogenfenster hinaus über die grünen Baumwipfel in die entzückendste Havellandschaft schweifen läßt, wenn das Roth der scheidenden Sonne Wald und Wasser sanft erglühen macht, die Schwäne langsam zu ihren Schilfnestern heimkehren: dann mag der Friede, welcher wie eine segnende Gotteshand auf der müden Erde liegt, ihm wie ein sanftes Echo des eigenen edlen Herzens scheinen, und das an der fernen dunkelnden Kiefernwand herauftauchende weiße Segel zum Bilde der erfüllten Hoffnung werden. A. Trinius.     


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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 844. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_844.jpg&oldid=- (Version vom 5.3.2023)