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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

schließt er diese sofort – sehr zum Erstaunen der Eigenthümerin – in einem Wandschrank ein und steckt den Schlüssel zu sich. Im Augenblick, als er nach Hut und Handschuhen greifen will, steht Fritz diensteifrig mit diesen Gegenständen neben ihm. Er nimmt sie ihm mechanisch ab, verwechselt die Handschuhe, ohne es zu bemerken, verliert sogar einen, gelangt aber glücklicher Weise richtig an der alten Pinakothek mit Lucie an. Herr und Frau Dunby erscheinen bald nach ihnen. Nachdem Oskar Luciens Mutter vorgestellt worden ist, und diese ihm eben in ihrer Art etwas auf den Zahn fühlen will, macht Lucie den Vorschlag, man möchte doch einen Wagen nehmen und spazieren fahren, anstatt die Bilder anzusehen.

„Aber Herr Schaumlöffel, der uns auf alles Schöne aufmerksam gemacht hätte?“

„Verstelle Dich nicht, Papa! Du bist froh, wenn Dir der Spaziergang durch den Kunsttempel erspart bleibt,“ ruft Lucie, deren Uebermuth neben den Eltern schon wieder ein bischen zu erwachen anfängt, „und ich bin etwas angegriffen.“

„Von der ersten Lektion?“

„Schlagen Sie einen hübschen Ausflug vor, Herr Schaumlöffel,“ bittet Lucie, ohne die Frage der Mama zu beantworten.

„Ja,“ bekräftigt Herr Dunby, gut gelaunt, daß der Kelch, die Pinakothek absehen zu müssen, heut noch an ihm vorübergeht, „dieser Tag ist so recht geeignet, im Walde genossen zu werden, gute Verpflegung und Hofbräu natürlich vorausgesetzt! Schlagen Sie vor!“

Oskar ist verlegen; er ist in seiner Vaterstadt während der langen Abwesenheit fast fremd geworden.

„Großhesselohe,“ meint er, „oder auch Nymphenburg!“ Die Namen vergißt selbstverständlich kein Münchener Kind.

Man entscheidet sich für den ersten Ort. Lucie besteht darauf, vorher im Hôtel ihren Anzug zu wechseln.

„Ich will einen andern Hut aufsetzen,“ rechtfertigt sie sich vor der Mama, „in dem ich weniger von der Sonne geblendet werde. Du hättest mich darauf aufmerksam machen können, daß dieser für den hellen Tag nicht geeignet ist.“

Mama ist vollkommen sprachlos. Noch unerklärlicher wird ihr Lucie, als diese, nachdem man in den „Bayerischen Hof“ zurückgekehrt, ihr einfaches graues Reisekleid anlegt. Lucie findet natürlich nicht für nothwendig, der Mutter die nöthige Aufklärung zu geben, und wirft nur verstohlen einen Blick nach Oskar. Dieser hat die Veränderung in der Toilette zu seiner nicht geringen Befriedigung bemerkt. Sollte er wirklich Einfluß auf dieses sonderbare Mädchen haben? Er vergißt fast die Phylloxera bei diesem Gedanken … „welch sonderbares Mädchen!“ (Fortsetzung folgt.) 


Schloß Babelsberg.

Wenige Städte mag es geben, in denen Kunst und Natur so im edelsten Wettstreit um den Vorrang der Schönheit eifern, in deren Palast- und Parkschöpfungen sich der Geschmack der wechselnden Jahrhunderte, die Geschichte eines aufsteigenden Königshauses, so charakteristisch und fesselnd widerspiegeln, wie es in Potsdam geschieht. Jeder Schritt in der Sommerresidenz der preußischen Herrscher hallt wider von Erinnerungen und weckt Gestalten auf vor unseren Sinnen, die ihren Namen für immer in die Tafeln der Geschichte gruben. Die Perle aber, welche heute Potsdams Umgebung mit Stolz sein eigen nennt, das ist der kaiserliche Sommersitz Wilhelm’s I., Schloß Babelsberg. Zu seinen Füßen rauscht der breite Havelstrom vorüber mit dem königlichen Schmucke von tausenden stolz einherziehenden Schwänen, ein blauleuchtendes Ordensband, an das sich Schlösser, Villen und Tempel wie Sterne an einander reihen.

Noch im Anfang der dreißiger Jahre bildete der Babelsberg oder Babertsberg, wie er damals hieß, eine schroff abfallende sandige Höhe von Kiefern gekrönt und hier und da von alten Eichen durchsprengt. Prinz Wilhelm von Preußen, welcher 1829 mit der eben so geistreichen wie schönen Prinzessin Auguste von Sachsen-Weimar einen Herzensbund geschlossen hatte, entschloß sich 1835, angezogen von dem poetischen Reiz der natürlichen Lage dieses vernachlässigten Erdenwinkels, Schloß und Park für einen Sommersitz hier anzulegen. Und so geschah es. Nach Schinkel’s Entwürfen erhob sich hier bald unter Persius’ künstlerischer Leitung im altenglischen Stile mit Erkern, Thürmen und Altanen ein herrliches Schlößchen, welches 1848 dann noch bedeutend erweitert wurde. Poetisch innen und außen gestaltet, athmete es ganz die Romantik des Mittelalters, anmuthend wie eine zu Stein gewordene Schöpfung Walter Scott’s. Was aber diesem Tusculum noch erhöhten Reiz und eine Fülle stiller Schönheiten lieh, das war der weite, auf- und niedersteigende Park, welcher seitdem mit jedem Jahr an Ausdehnung, künstlerischer Vollendung, an Reichthum sinniger Erinnerungen, malerischer Fernsichten in fast unvergleichlicher Weise gewann. Nirgends verschnittene Taxushecken und verschnörkelte Blumenbeete; keine schlanken, marmornen Götterbilder schauen aus dem Gebüsch, noch hemmen Urnenpostamente oder zerbrochene Säulenstümpfe mit elegischen Strophen den Schritt des Wanderers: was uns hier entgegenschlägt, ist der Puls unverfälschter Natur, ist so warm und treu empfunden, wie es dem deutschen Gemüth nun einmal eigen ist. Der königliche Gartendirektor Lenné hatte die erste Umwandlung des melancholischen Fichtenwaldes in einen lachenden Waldpark vollzogen, dann aber kam der Altmeister der deutschen Gartenkunst, Fürst Pückler, der in seinem Muskau und Branitz unvergängliche Schöpfungen aus dürrem Sande erstehen ließ, und gab auch dem Hügelpark von Babelsberg eine Grundgestaltung, welche immer als ein Triumph deutscher Landschaftsgärtnerei dastehen wird.

Verschwiegene, stille Laubgänge führen auf und ab durch den stetig mehr sich ausdehnenden Park, in dem alle Baumarten in prächtigsten Exemplaren ihre säuselnden Wipfel über weite sammetglänzende Rasenteppiche breiten. Tief unten zieht die blaue Havel vorüber und ihre Wellen plätschern geschwätzig mit den kaiserlichen Gondeln in der kleinen Hafenbucht, von der ein grünumwobener Gang emporleitet. Wer wollte den Reichthum schildern, welchen diese Parkanlage in ihrem Bannkreis faßt? Dichter umfängt uns das Laubgewirr, und dann blickt uns ein tief melancholischer See mit Insel und Uferröhricht wie ein Waldgeheimniß an; aber schon steigt der Weg wieder; lichter wird es um uns, schmetternder klingt der Jubelchor der gefiederten Sänger; eine Bank ladet noch einmal zum Weilen, und drüben springt ein umgitterter Altan hinaus über das flüsternde Blättermeer des Parkes, und trunken fliegt der Blick über den schimmernden Havelstrom und die stolz sich darüber schwingende Glinicker-Brücke, über Seen und Uferbuchten, über Schlösser, Villen und malerische Gotteshäuser längs der prächtig bewaldeten Ufer, zu den Doppelthürmen des hochragenden Pfingstberges, an dessen Füße sich die Dächer Potsdams schmiegen.

Tiefe Stille herrscht überall. Da erschallen anf dem einsamen Wege des Parkes Hufschlag und Wagengerassel; rasch eilt an unsern Blicken ein ergreifendes Bild vorüber, ein Bild innigster väterlicher und kindlicher Liebe! In dem offenen Wagen sitzen Kaiser Wilhelm und seine einzige Tochter, die Großherzogin von Baden. Alljährlich pflegt die Fürstin nach Berlin zu kommen, und der Kaiser verbringt alsdann in ihrer Gesellschaft die wenigen Erholungsstunden, welche ihm nach Erledigung der Regierungsgeschäfte übrig bleiben. Sie ist auch ein oft gesehener und lieber Gast in Schloß Babelsberg.

Immer neue Bilder, neue Fernsichten eröffnet uns die Wanderung durch den Park. Wo einst die abgebrannte Mühle des Babertsberges stand, erhebt sich heute der nach dem Muster des Eschenheimer Thorthurms in Frankfurt am Main erbaute Flatower Thurm, von dessen Zinnen sich ein Rundgemälde von bezauberndem Liebreize entrollt. An Kavalierhäusern, dem Dampfmaschinenhaus zum Betriebe der Fontaine, rosenumsponnenen Gärtneridyllen schreiten wir vorüber. Hier grüßen uns Büsten preußischer Feldherren; dort hemmen wir sinnend unseren Schritt vor einem altersgrauen Bildstöckl, das, aus dem Süden hierher gepflanzt, dem deutschen Kaiser stets ein Erlebniß aus dem badischen Feldzuge wachruft. Und jetzt nimmt uns ein freier Platz auf, und charakteristisch und ernst baut sich vor uns die einstige Berliner

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 843. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_843.jpg&oldid=- (Version vom 5.3.2023)