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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

„Hörst Du das, Dunby?“ ruft Mrs. Dunby in das nächste Zimmer.

„Ja,“ flüstert dieser leise; er fühlt sich fast geschmeichelt.

Lucie aber wirft ihr Morgenkleid ab und schlüpft in ihr „Taubenkostüm“, wie sie den Anzug von weißem Peking getauft hat.

Und man muß gestehen, daß der kostbare weiße Stoff vortrefflich zu ihrem Teint und dem kastanienbraunen Haar paßt, Papa Dunby, der wiederum an der offenen Thür erschienen ist, verschlingt sie fast mit seinen Blicken, als sie jetzt das kleine weiße Kapothütchen aus demselben Stoff aufsetzt. In der Mitte, ganz nach vorn, so daß der Kopf Luciens Haar berührt, ruht ein kleiner weißer Vogel, welcher Flügel und Schwanz zierlich nach oben hebt.

„Nehmen Sie dort meine Mappe und sehen Sie, daß der Wagen unten bereit ist,“ ruft Lucie ihrer Jungfer zu. Dann, ehe sie ihre Handschuhe anzieht, küßt sie der Mama noch mit demüthiger Gebärde die Hand …

„Pünktlich in einer Stunde erwarten wir Dich mit Herrn Schaumlöffel im Vestibül der Pinakothek, wie verabredet.“

„Es kommt darauf an, ob er sich bis dahin ergeben hat … still … bitte, denke an Deinen Teint, Mama!“

Sie wirft dem Papa noch eine Kußhand zu und fliegt zur Thür hinaus.

„Du solltest Lucie Deine Würde wirklich etwas mehr fühlen lassen, Mr. Dunby!“ ruft seine Gattin und bemüht sich, eine strenge Miene aufzusetzen.

„Sage, Karoline, möchtest Du sie denn anders haben, als sie ist? Das Bischen Uebermuth vergeht schnell genug, und können wir nicht, trotz des Uebermuths, vollkommen sicher sein, daß sie sich nichts vergiebt?“

*  *  *

Es versteht sich, daß Oskar nicht vergessen hat, sich zu rasiren, als er am folgenden Morgen Miß Dunby erwartet. Auch seine „Mähne“ (Paul’s Bezeichnung!) ist durch sorgfältige Behandlung in Haar verwandelt worden. Fritz, der ihm mit neugierigem Eifer zur Hand geht, leistet anerkennenswerthe Dienste bei der Auswahl von Shlips, Manschetten und Knöpfen.

Fritz hat leider das Unglück gehabt, eine japanische Fayence – einen durchbrochen gearbeiteten, blühenden Pfirsichzweig, auf den sein Herr große Stücke hielt – zu zerbrechen. Er umgiebt deßhalb Oskar mit raffinirter Aufmerksamkeit, um ihn als Fürsprecher zu gewinnen.

Das Frühstück erinnert an ein Stillleben im Arrangement, auch eins von Fritzens ausgebildeten Talenten. Es ist vortrefflich, oder vielmehr, es würde Oskar vortrefflich schmecken, wenn dieser Appetit hätte. Die Amerikaner haben ihn um den Appetit gebracht. Er sieht Miß Dunby heut in einem andern Licht als gestern.

… „Ich muß diese Amerikaner um Paul’s willen sehr artig behandeln“ – sagt er sich – „der Vater ist ja auch ganz charmant … Ich muß auch dem jungen Mädchen gegenüber die nöthigen Rücksichten nehmen … das ist mir peinlich. … Ach, wer weiß, sie wird vielleicht gar nicht kommen! Ich wette, daß sie eine rechte kleine Kokette ist! Sie langweilt sich wie alle Menschen, die nicht wissen, was sie mit ihrer Zeit und mit ihrem Gelde anfangen sollen … Ja – das ist es! sie langweilt sich, und da ist ihr die Idee gekommen, so einen armen Teufel, wie mich, in sich verliebt zu machen … nur um zu sehen, wie er sich dabei anstellt! Aber ich werde mich hüten, in die Falle zu gehen!“

Mit solchen Gedanken hat Oskar von seinem Stillleben gekostet, mit solchen Gedanken hat er sich erhoben, um im Atelier auf- und abzugehen. Zuweilen wirft er einen Blick in einen venetianischen Spiegel, fährt sich durch die Haare oder zupft an seiner Kravatte. Er ist sichtlich aufgeregt, was er übrigens Jedem bestreiten würde, der ihn darauf aufmerksam machen wollte.

„Sie kommt ja nicht! Das wäre gar schön, wollte ich um ihretwillen den Vormittag mit Warten todtschlagen!“

Diesmal bespiegelt er sich nicht im Venetianer, als er, das Atelier verlassend, an dem Spiegel vorübergeht. Er läuft ungeduldig die Treppe hinauf und nimmt eine Broschüre: „Vom Aufschwung der Runkelrüben-Zuckerfabrikation oder das billige Leben für Alle,“ die er unterwegs gekauft, aus seinem Koffer, um damit wieder ins Atelier zurückzukehren. Kaum hat er zwei Seiten überflogen, springt er wieder auf und fahndet nach Fritz. Er ist noch nicht gewöhnt, einen Diener durch die Klingel herbei zu rufen. Endlich findet er ihn in der Speisekammer.

„Fritz, ich finde die Luft im Atelier etwas drückend – hat mein Vetter etwas dagegen, wenn ein Fenster geöffnet wird?“

Fritz, der Oskar ins Atelier gefolgt ist, hat mittlerweile die Fähigkeit wieder erlangt zu sprechen. Er zeigt auf ein Drahtgitter, das Oskar nicht bemerkt hatte.

„Wir haben stets frische Luft hier! Sehen Sie nicht, dort oben? Fortwährender Zug, keine Sonne und kein Staub!“

„Gut, Fritz, Sie können zu Ihrer Beschäftigung zurückkehren.“

Fritz entfernt sich höhnisch lächelnd. Seine Beschäftigung, als der arglose Oskar ihn überraschte, bestand darin, eine angebrochene Büchse mit schottischer Marmelade vollends zu leeren.

„Beinah’ elf Uhr! Sie kommt nicht …“ fährt Oskar in seinen Gedanken fort, in die das „billige Leben für Alle“ noch nicht eingedrungen. „Es ist auch am besten so! Was für eine unglückliche Figur ich als Lehrer neben ihr spielen würde! Freilich würde Mancher nach den Studien, die ich durchgemacht habe, sich für recht fähig halten, zu unterrichten –“

Fritz stürzt ungerufen herein. Er weiß besser, wie es mit Oskar steht, als dieser selbst.

„Sie kommt! Sie kommt! Sie kommt!“

„Wer kommt?“ heuchelt Oskar.

„Nun, die amerikanische Miß von gestern! Ich sah den Wagen um die Ecke –“

Wie ein Pfeil schießt er wieder fort, die Hausthür zu öffnen. Mister Dunby hat ihn gestern mit einem Zehnmarkstück begrüßt. Dieser amerikanische Gruß hat ihn sehr mobil gemacht.

Oskar macht kleine ängstliche Schritte nach der Thür und wünscht, daß seine Arme etwas kürzer und beim Verkehr mit Frauen etwas weniger im Wege wären.

„Sie können hier warten, Julie,“ sagt Lucie im Flur zu ihrer Jungfer, während sie ihr die Mappe abnimmt.

Auch Lucie fühlt sich diesen Morgen nicht ganz so sicher wie gestern. Gestern Abend während der Musik sah sie den Ruhmestempel offen vor sich liegen. Jetzt aber, wo sie mit den gesammelten Leistungen ihres Genies vor den großen Schaumlöffel treten soll, überkommen sie Zweifel, ob er die Ansicht Flat’s darüber auch theilen werde.

Oskar steht vor ihr. Als sie seinem verwunderten, fast erschreckten Blick begegnet, sinkt ihr vollends der Muth. Man merkt dem ehrlichen Oskar an, daß der auffallende Anzug ihn verletzt; er bestätigt ja seine Ansicht, daß das junge Mädchen nur ihr Spiel mit ihm treiben will. Das giebt ihm seine Fassung wieder. Er richtet sich auf und blickt sie fast streng an. Ein Kostüm, das Jemand, welcher Aufsehen machen will, für den ersten Rang eines Hoftheaters anlegt, eine Art Hochzeitstoilette – um mit einem Zeichenlehrer über den Unterricht zu verhandeln! Der Blick des Künstlers, auf den Lucie rechnete, auf den sie bei Paul auch, hätte rechnen können, geht Oskar ab.

Bei der schnellen Auffassung, die Lucie eigen, hat sie ihren Fehlgriff sofort erkannt. Sie möchte unter die Erde sinken! Mit einer heftigen Bewegung entfernt sie wenigstens ihren Hut, das Auffallendste ihres Putzes.

„Sie erlauben,“ sagt sie schüchtern, fast demüthig, „es ist mir so heiß geworden – die Wahrheit ist, ich ängstige mich vor Ihnen … Es ist ja auch natürlich … Sie sehen so streng aus und … und es hängt von dieser Stunde so viel für mich ab …“

„Mein Fräulein,“ sagt Oskar ruhig und bestimmt, „ich muß Ihnen vor Allem einen großen Irrthum benehmen. Mein Vetter, welcher Ihren Herrn Vater gestern hier empfing, hat aus parteiischer Freundschaft für mich jedenfalls meine Fähigkeiten sehr übertrieben … Sie halten mich für … sehr geschickt, fürchte ich.“

„Nicht ich allein, Herr Schaumlöffel!“ Sie sagt das mit einem reizenden Lächeln.

„Also vielleicht auch Ihr Herr Vater? Aber Sie finden in Amerika Lehrer wie mich in Hülle und Fülle; ich will von München gar nicht reden, und ich rathe Ihnen ernstlich, sich hier an einen bessern zu wenden.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 840. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_840.jpg&oldid=- (Version vom 9.6.2023)