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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

„Liebes Kind,“ erklärt Mister Dunby, „wie kannst Du erwarten, daß das Atelier eines berühmten Malers eine Bildersammlung ist! Kaum sind sie fertig gemalt, so reißt man sich um Schaumlöffel’s Gemälde … Selbst das dort aus der Staffelei wird heute noch abgeholt.“

Lucie hat indeß die Skizze von der blonden Mietze entdeckt.

„Hier ist noch Etwas, und das scheint nicht verkauft, nach dem Rahmen von altem Zeug zu urtheilen. Ist das ein Portrait, das Sie für sich selbst gemalt haben?“ sagte sie, sich an Oskar wendend, mit einem leisen, ihr kaum selbst bewußten Gefühl der Eifersucht.

„Ich habe es gar nicht gemalt,“ antwortete Oskar etwas erstannt; er meint nicht richtig gehört zu haben.

„Das kannst Du Dir doch denken,“ flüstert der Vater ihr zu, „hätte er es gemalt, wäre es sicher nicht hier.“

„Ist es eine Schwester oder eine – Verwandte?“

„Ich kenne die junge Dame nicht.“

Die Antwort befriedigt Lucie; sie ist so vertrauend, wie sie selbst wahrheitsliebend ist. Während die Männer sich zu unterhalten beginnen, hat sie sich aus einem Tigerfelle niedergelassen, welches über ein paar niedrige, orientalische Kissen geworfen ist, und sieht sich neugierig um. Diese Sammlung bizarrer, exotischer, ausfallender und doch in ihrer Zusammenstellung dem Auge schmeichelnder Gegenstände gefällt ihr. Die Harmonie von Farbe und Linie beginnt zum ersten Male wie eine angenehme Melodie auf ihre Sinne zu wirken.

Denn dieses junge Mädchen hat trotz der nüchternen Atmosphäre eines self-made man, in der sie geboren und erzogen ist, einen idealen Zug, ein Behagen am Schönen. Berühmt zu werden, ist ihr Ehrgeiz; es ist so langweilig angebetet zu werden, weil man eine Erbin ist. Während der Papa Bilder kauft, weil das zu den Verpflichtungen eines Millionärs gehört, hat Lucie sich vorgenommen, einen großen Künstler zum Freund zu gewinnen und auch eine Künstlerin zu werden. Mister Flat, welcher der Malklasse vorstand, die sie in New-York besuchte, hat ihr versichert, daß sie ein „eminentes“ Talent habe; sie ist selbst davon überzeugt. Für dieses Talent hofft sie den großen Schaumlöffel zu interessieren, dessen Namen sie seit drei Jahren mit Bewunderung nennen hört. Sie kennt Amerikanerinnen, die mit ähnlichen Wünschen einst nach Europa gingen und durchsetzten, was sie sich vornahmen. Alle amerikanischen Blätter sprechen jetzt voll Anerkennung von ihnen. Und Lucie weiß, daß sie einen ebenso starken Willen hat wie jene Amerikanerinnen. Sie wird Herrn Schaumlöffel schon dazu bringen, ihr zu sagen: das sind die Studien, die ich selbst gemacht habe; so viel Stunden habe ich jeden Tag gezeichnet, so viel Stunden gemalt; meine Farben habe ich von diesem Fabrikanten genommen, meine Leinwand von jenem. Ich fasse meinen Pinsel so an, trage die Farbe so auf und mische nach dem und dem Princip – das ist der Weg, der mich zum „Sommerabend im Hofbräu“ geführt hat!

Und wenn er ihr so den Weg gezeigt hat, so wird sie Schritt für Schritt in seine Fußtapfen treten und auch beim Ziel anlangen. Sie weiß, daß der Weg sehr mühsam ist und große Anstrengungen erfordert – eine Amerikanerin läßt sich dadurch nicht abschrecken. Papa wird Schaumlöffel’s Lektionen bezahlen, welchen Preis er auch fordert; Papa kauft ihr Alles, was sie haben will, und für sehr viel Geld kann man ja auch Alles haben.

Diese Gedanken beschäftigen Lucie so, daß sie ein paar recht zerstreute Antworten giebt, als man endlich nach dem Löwenbräu unterwegs ist. Auch dort, als sie mit Papa und dem großen Meister an einem der kleinen Tische auf der Terrasse sitzt, kann sie an nichts Anderes denken. Sie will nichts übereilen – den Maler heute nur sondiren; aber er wird ja nachgeben, und im Geist sieht sie sich schon als berühmte Malerin … Und darum lächelt sie auch manchmal so still selig in den lauen Frühlingsabend hinein zur Begleitung Straußischer Walzer und Wagner’scher Märsche.

Verschiedene Lorgnetten haben sich auf das reizende Mädchen gerichtet, deren jugendlicher Teint nicht verliert beim grellen Schein der elektrischen Beleuchtung. Sie bemerkt kaum, daß man sie ansieht.

Er ist nicht schon, dieser Künstler – denkt sie – aber wie seine Augen leuchten! Das ist das echte heilige Feuer!

Und wenn sie so andächtig zu ihm aufblickt, wie es sich für die Zukunftsschülerin schickt, ist es ihr sogar, als ob sie schon einem gewissen Verstehen begegne.

Sehr viel ist gewonnen, daß er mit Papa so prächtig auskommt. Sie hatte wahrhaftig Furcht, der große Maler werde auf ihren klugen, treuherzigen, aber dabei bürgerlich einfachen Papa vielleicht herabsehen – bewahre! Beide sind in eine sehr lebhafte Unterhaltung verwickelt, zu der Jeder das Seinige beiträgt. Freilich hört sie sonderbare Sätze, die mit der Kunst nichts zu schaffen haben, wie: rationelle Hygiene der Felder, Schwefel und Soda, die richtige Arznei … die Phylloxera ist eine der wichtigsten modernen Fragen etc.

Aber diese Vielseitigkeit ihres Ideals trägt nur dazu bei, es in der Schätzung zu erhöhen.

Auch Oskar ist ganz in seinem Element. Mister Dunby hat mit dem praktischen Sinn des Amerikaners das, was Oskar nur gegen die Reblaus aufgestellt, als ein Princip erfaßt, das auch in einem allgemeinen Sinn zu verwerthen sei.

„Die Hygiene des Feldes,“ ruft er, „ist eine großartige Idee, mein verehrter Schaumlöffel, von deren Bedeutung Sie wahrscheinlich selbst noch keine Ahnung haben. Die Sache ist wichtig für Jeden, ob er Hopfen oder Reben baut – ob er in Amerika oder Europa lebt!“

Und so ist es wohl natürlich, daß Straußische und Wagner’sche Melodien auch Oskar in einen Zukunftstraum wiegen! Wenn der Amerikaner sich für die Sache wirklich interessirte, den praktischen Theil vielleicht in die Hand nähme! Was das hübsche Mädchen nur will! Oskar ist frei von jeder faden Einbildung Frauen gegenüber, aber das muß er ja bemerken, daß die Augen der Amerikanerin mit einem ganz besonderen Interesse auf ihm verweilen. Zum ersten Male empfindet er einen geheimnißvollen Reiz in der Nähe eines jungen Mädchens; denn es kann Einer zehnmal Chemiker sein und den elektrischen Strom zu kennen meinen, aus welchem Liebe zusammengesetzt ist – kommt er einmal in die Kette, wird er auch mit fortgerissen.

Er hat ein unbestimmtes Gefühl, als wäre es besser gewesen, wenn er sich rasirt hätte, ehe die Amerikaner ihn abholten – er muß wirklich anfangen, mehr an sein Aeußeres zu denken … Was für ein anziehendes Geschöpf … wie unverschämt der Officier sie anstarrt!

Lucie, die gerade so scharfsinnig ist wie andere junge Mädchen auch, wenn es gilt, solche und ähnliche Gedanken aus der Physiognomie eines Mannes abzulesen, frohlockt schon. Sie meint, der Augenblick sei gekommen, einen kleinen Schritt nach der Ruhmeslaufbahn hin zu thun.

„Papa – ich bin sehr lange geduldig gewesen, aber jetzt wollen wir von anderen Dingen reden!“

„Das sind höchst wichtige Dinge, Liebling!“

„Aber man reist nicht von New-York nach München, um darüber zu sprechen. Jetzt kommt endlich die Malerei dran.“

Dunby stößt seine Tochter heimlich an.

„Ich fürchte, mein Vetter hat sehr übertrieben, als er Ihnen …“

„Durchaus nicht!“ fällt ihm der Amerikaner ins Wort. „Er hat mir gesagt, daß Sie über Hals und Kopf in der Chemie steckten, und soll ich es Ihnen ehrlich gestehen – das ist gerade auch mein Fall…“

„Jetzt fängst Du schon wieder an, Papa!“

„Lucie, sei doch vernünftig!“

„Nein, ich habe keine Lust länger vernünftig zu sein.“

„Ihr Fräulein Tochter hat ganz Recht, sich zu beklagen,“ pflichtet Oskar bei.

„Da hast Du’s! Sehen Sie einmal, Herr Schaumlöffel, die hübsche Gruppe dort. Der alte, bärtige Hausirer und das kleine Mädchen neben ihm mit dem Korb voll Blumen. Malen Sie da nicht gleich in Gedanken?“

Dunby stößt Lucie abermals an.

„Laß doch, Papa,“ ruft diese ungeduldig.

„Wo? – Was meinten Sie eben?“ fragt Oskar zerstreut, der mit seinen Gedanken ganz wo anders war.

„Eines wird nie genug beachtet,“ fährt der Amerikaner in seinem früheren Satze fort, „der Boden nimmt nichts von der Pflanze an, während die Pflanze sich stets nach dem Boden verändert …“

Aergerlich steht das verwöhnte Kind auf.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 838. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_838.jpg&oldid=- (Version vom 8.6.2023)