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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Aufzeichnungen; er ist bei den mannigfachsteu politischen Ereignissen betheiligt gewesen, hat eine große Zahl bedeutender Zeitgenossen persönlich kennen gelernt, namentlich in dem großen Bewegungsjahre 1848. Zu diesen gehört auch der Dichter Ludwig Uhland, der nach Frankfurt zum Vorparlament gekommen war und dort als Wandnachbar mit Biedermann zusammenwohnte.

„Uhland war als Vertrauensmann für Württemberg in Frankfurt, Ich sah ihn nun von meinem Fenster aus täglich zu ganz bestimmter Stunde mit seiner Lebensgefährtin spazieren gehen, beide, soviel ich beobachten konnte, stumm und mit schmalen gleichgültigen Gesichtern neben einander herwandelnd, so daß, wer es nicht anders wußte, schwerlich geahnt hätte, welch innige Geistes- und Seelenverwandtschaft diese beiden trefflichen Menschen verband. Auch sonst habe ich Uhland kaum anders als schweigsam gesehen, persönlich näher gekommen bin ich ihm nicht. Von der Tribüne herab habe ich ihn nur dreimal gehört; das erste Mal im Vorparlament, wo er, als Hecker und seine Freunde gegen den Bundestag tobten und die sofortige Ausmerzung der alten Bundestagsgesandten verlangten, mit seiner klassischen Ruhe und einem echt poetischen Bilde dazwischen trat, indem er die wenigen, aber höchst eindrucksvollen Worte sprach: ,Wenn der Frühling kommt und neue Blätter hervortreten, fallen die alten von selbst ab.‘ Dann wieder im Parlament, als es sich um das Kaiserthum handelte, äußerte er, was seitdem oft wiederholt worden ist: ,Es wird kein Kaiser über Deutschland herrschen, der nicht mit einem Tropfen demokratischen Oels gesalbt ist.‘

Sein drittes Auftreten ging mich selbst und meine politischen Freunde näher an. Es war gegen das Ende des Frankfurter Parlaments, wenige Tage vor Uebersiedlung der Linken nach Stuttgart. Wir waren damals noch ein ganz kleines Häuflein von der gemäßigten Partei in der Paulskirche zurückgeblieben, also völlig in der Minderheit gegenüber der Linken. Letztere wollte eine Proklamation ans deutsche Volk erlassen; wir verlangten die Aufnahme zweier Sätze in dieselbe, nämlich einmal die Erklärung, daß die Bewegung nur der Reichsverfassung (nicht der Republik) gelte, und zweitens die, daß jede fremde Einmischung (von der französischen Republik aus) streng ferngehalten werden solle. Uhland als Berichterstatter über die Proklamation, obschon selbst der Linken angehörend, befürwortete beide Anträge, freilich ohne Erfolg. Seine Autorität ward so wenig hier als Tags darauf, wo er gegen die Verlegung des Parlaments nach Stuttgart sprach, von seinen Parteigenossen respektirt.“

Aehnliche, zwar knapp ausgeführte, aber doch an manchen zum Theil bisher unbekannten Zügen reiche Brustbilder finden sich häufig bei Karl Biedermann. †      

Holländische Fischerflotille. (Mit Illustration S. 825.) Der Schauplatz des Bildes liegt in der Nähe der drei Dörfer Nordhollands, welche nach der berühmten niederländischen Adelsfamilie Egmond noch heute diesen Namen führen, obwohl das alte Geschlecht längst erloschen und von ihrer Stammburg nichts mehr übrig ist als ein Rest von Trümmern. An einem ungewöhnlich schönen Herbstmorgen weilte der Künstler in der Nähe von Egmond aan Zee am Strande und entwarf dort sein Bild. Schon in früher Morgenstunde wurde es ringsum lebendig. Von der See her näherten sich langsam, die Segel vom Morgenwinde nur schwach geschwellt, die Fischerboote, um dicht am Strande in langer Reihe vor Anker zu gehen. Aus dem Dorfe waren die Händler herbeigeströmt, denen sich Angehörige der Fischer und Schaulustige angeschlossen hatten. Vereinzelt oder in Gruppen standen diese nun am Ufer, während sich auf den Booten allmählich ein reges Leben zu entfalten begann. In großen Körben wurden die Fische an das Land geschafft, auf dem Sande ausgebreitet und den Käufern zur Auswahl angeboten. Die Beute des Tages war eine nicht zu reiche, doch entschädigte die Fischer die erhöhte Kauflust seitens der Händler. * *      

Ueber Entstehung der Sprache. Kaum wird es noch einen wissenschafilichen Zweifler geben, der in Abrede stellte, daß der Mensch sich die Sprache selbst erfunden. Aber auf welche Weise ist sie entstanden, und wie hat der Urmensch sie geschaffen? Glühende Liebe, Rivalität, Triumph mögen nach Darwin die stärksten bewegenden Mächte zur Entwickelung der menschlichen Sprache gewesen sein.

„Die ersten Merkmale zu Elementen der Sprache waren Töne,“ sagt Herder, „der Baum rauscht, der Bach murmelt, der Wind säuselt, die ganze vieltönige Natur ist Sprachlehrerin.“

Nach Geiger entstand das Wort und die Bildung des Satzes, als die Menschen Werkzeuge machten, und G. Jäger giebt eine Skizze der Entwickelung der Sprache von den Uranfängen bis zur Ausbildung und unterscheidet folgende Perioden: 1. Periode: Empfindungslaute und Empfindungsgebärden; als solche müssen gelten: a. Paarungsrufe, d. Familienrufe und c. Warn- und Fütterungsrufe; 2. Periode: Deuten zum Zweck der Verständigung über Anwesendes; 3. Periode: Luft- und Lautbild: es wird durch Vereinigung von Deuten und Laut eine zweckmäßige Verständigung über Abwesendes hervorgebracht; 4. Periode: die Luftbilder werden durch Lautbilder ersetzt, und diese Stufe hat nur der Mensch.

Ein Pariser Theaterskandal. Welche Erbitterung zwischen den politischen Parteien in Frankreich herrscht, das zeigten vor einiger Zeit die Vorgänge bei der Aufführung eines Spektakelstückes „Juarez“ von Gassier. Das Publikum war schon vorher benachrichtigt worden, daß Oesterreich und Belgien ein Verbot der Aufführung dieses Stückes gewünscht hatten, während Paul de Cassagnac sich an seine Landsleute wandte mit der Aufforderung, sie sollten eine Beschimpfung des Kaisers Napoleon III. und des Kaisers Maximilian nicht dulden. In Folge dessen waren zwei Parteien in dem Volkssaale anwesend: die Republikaner von heute und die Kaiserlichen von gestern, jene in den obern Rängen, diese im Parkett und den Logen. Die Polizei hatte alle Vorbereitungen getroffen, um blutige Auftritte zu vermeiden. Von dem, was auf der Bühne gesprochen wurde, vernahm man oft gar nichts, so daß man glauben konnte, eine Pantomime werde aufgeführt. Wenn der mexikanische Republikaner Juarez erschien, wurde er vom Parterre mit Thierlauten begrüßt; dann regneten von der Galerie Aepfel, Kastanien und Nüsse auf das Parkett nieder. Erschienen die Jesuiten mit ihren großen Hüten, so brachen die Galerien wieder in ein Hohngelächter aus; dazwischen ertönte Katzengeschrei, Rabengekrächze, Froschgequake. Einig waren die feindlichen Parteien nur in ihrer Verurtheiluug des Marschalls Bazaine. „Das ist ein Verräther!“ ertönte es von allen Seiten, und der arme Darsteller des Vertheidigers von Metz wurde mit faulen Aepfeln bombardirt.

Diese die halbe Nacht hindurch andauernden Lärmscenen bewiesen zur Genüge, wie gefährlich es für unsere dramatischen Dichter ist, Stoffe aus der nächsten Zeitgeschichte zu wählen, obschon die Poesie offenbar dazu berechtigt ist. Das Stück „Juarez“ ist jedenfalls nur ein dramatisches Lärmstück; aber auch talentvolle deutsche Dichter wie J. G. Fischer haben diesen Stoff behandelt. In Deutschland würde bei der Aufführung eines Dramas „Maximilian“ das dichterische Interesse und die ruhige Theilnahme an dem Stoffe überwiegen; in Frankreich ist ein solcher Stoff ein Zankapfel der Parteien und kann nur die Wuth derselben entfesseln. †      

Die Virtuosin. (Mit Illustration S. 833.) Auf dem Podium sehen wir eine jugendliche Gestalt, welche den Bogen über die Saiten gleiten läßt. Vielleicht ist’s eine Dilettantin, die in einer der Soiréen der Aristokratie mitwirkt, vielleicht auch eine Künstlerin von Fach, die ein reicher Börsenmann in seine Gesellschaft zog, um den Gästen einen Genuß zu bereiten, der durch den hohen Preis an Werth gewinnt.

Jedenfalls fesselt die Künstlerin ihre Zuhörerschaft. Alle heften ihre Blicke auf das markante Gesicht und hören lautlos zu, was der Geige entströmt. Nur eine der beiden Damen im Vordergrunde scheint eben ein Wort geflüstert zu haben, dessen Wirkung sie auf dem Gesicht ihrer Nachbarin beobachtet.

Dem Anscheine nach ist’s ein Mitglied der Gesellschaft, welches an dem Flügel sitzt und begleitet. Das aufmerksam auf das Notenblatt geheftete Auge des alten Herrn sowie der ernste Ausdruck, der um die Mundwinkel liegt, zeigen das Bestreben, der Vortragenden in möglichst künstlerischer Weise gerecht zu werden. Namentlich in dieser Figur hat es der Maler verstanden, etwas Ueberzeugendes zu schaffen. Man sieht, daß die Hände mit einer gewissen decenten Rücksicht die Tasten berühren, um durch die Begleitung die Wirkung des Vortrages zu erhöhen.

Neben mehreren anderen ausgesprochenen Typen überrascht auch durch die Sicherheit der Auffassung die Figur des Dieners. Er steht mit seiner vornehmen Würde über den Dingen dieser Welt, und zumal heute! All dergleichen Volk registrirt er unter das Musikantenthum, und das Musikantenthum ist mehr oder minder Bettelvolk in seinen Augen.

In dem Gesammtbilde ist dem Künstler die Lichtvertheilung trefflich gelungen. Man sieht, wie der Kronleuchter, der von der Decke des hohen Koncertsaales herabhängt, den Raum durchleuchtet. Die seidenen Kleider der beiden jungen Damen zur Rechten schimmern in dem Lichtglanze, den auch noch die Lichter vom Flügel wirksam unterstützen. Hermann Heiberg.     


Allerlei Kurzweil.

Schach.
Von Carl May in Braunschweig.
SCHWARZ

WEISS
Weiß zieht an und setzt mit dem dritten Zuge matt.


Auflösung der Schachaufgabe auf Seite 788.
 Weiß:  Schwarz:
1. e 5 – e 6 K e 4 – f 6!
2. D c 3 – e 3! beliebig (ev. K g 4)
3. S f 3 – h 4: (ev. d 4) matt.
Auf 1- - - - b 5 – a 4 : folgt 2. D e 3 – c 4 † etc. Sonstiges wird mit 2. D e 3 – e 5 † etc. erledigt.



Inhalt: Die beiden Schaumlöffel. Eine Künstlergeschichle von Klara Biller. S. 821. – Trinker-Behandlung. Von A. Lammers, S. 826. – Schwarze Freunde. Zur Erinnerung an Ed. Robert Flegel. Mit Illustrationen. S. 828. – Ein Friedhof ohne Gleichen und vierzig auferstandene König. Von Georg Ebers (Schluß). Mit Illustrationen S. 829, 830 und 831. – Sankt Michael. Roman von E. Werner (Fortsetzung). S. 832. – Blätter und Blüthen: Eine „Bibliothek deutscher Geschichte“. S. 835. – Ludwig Uhland in Frankfurt. S. 835. – Holländische Fischerflottille. S. 836. Mit Illustration S. 825. – Ueber Entstehung der Sprache. S. 836. – Ein Pariser Theaterskandal. S. 836. – Die Virtuosin. Von Hermann Heiberg. S. 836. Mit Jllustration S. 833. – Allerlei Kurzweil: Schach. S. 836.


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 836. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_836.jpg&oldid=- (Version vom 27.2.2023)