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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Leichnam ist mit Binden aus der feinsten battistartigen Leinwand umwicklt und mit einer  ; Träger, welche unter der Last der größten Stücke, die mau ihnen umwickelt und mit einer Art von Leichentuch umgeben, worauf lange Texte des Todtenbuches verzeichnet stehen; diese aber beginnen mit einer Art von Einleitung, aus der hervorgeht, daß die ihr folgenden heiligen Schriften auf Befehl des Pharao Amenophis II. (des Sohnes Thumosis III.) hergestellt worden sind für seinen Vater und Vorgänger Thutmosis III., den Sohn der königlichen Gemahlin Isis. Dieser Frauenname erscheint hier zum ersten Male und lehrt, daß der größte der Pharaonen das Kind nicht der legitimen Gemalin Thutmosis I., sondern einer gewissen Isis, der Favoritin unter seinen Nebenweibern, gewesen.

Bald kamen neben die Mumien dieser berühmten Pharaonen diejenigen der größten Könige aus der 19. Herrscherreihe auf dem staubigen Boden der Nekropole zu stehen. Der Sarg Ramses’ I. und die Körper Seti’s I. und Ramses’ II., deren gemeinsame Thaten von den Griechen dem Sesostris zugeschrieben worden sind, hatten sich in der Cachette gefunden. Welch ein wunderbares Ungefähr, daß die sterblichen Reste gerade dieser Größten unter den Großen erhalten bleiben sollten bis auf den heutigen Tag!

Auch Ramses’ II. Mumie wurde vor Kurzem, am 1.Juni 1886, eröffnet.

Er war ein Mann von stattlicher Figur, und seine Mumie übertrifft die Thutmosis’ III. an Länge um 13 Centimeter. Emil Brugsch B, welcher bei ihrer Auswickelung zugegen war, versichert, daß der Kopf das allgemeine Erstaunen der ausgezeichneten, zu dieser Handlung gebetenen Gäste des Museums erregt habe. „Der Ausdruck der Züge,“ sagt er, „ist der eines Mannes von entschlossenem, fast tyrannischem Charakter,“ und ihre Photographie, welche wir im Holzschnitt wiedergeben, deckt sich durchaus mit dem Bilde, das wir von ihm an anderen Stellen entworfen. Obgleich er erst als Achtziger dahinging, blieb an seinem Antlitz alles Charakteristische erhalten, besonders auch die stark gebogene Nase, welche die Vermuthung zu bestätigen scheint, daß er einem semitischen Hause entstammte.

Kopfe der Mumie Ramses’ II.
Nach einer photographischen Originalaufnahme.

Die mit den Mumien bestatteten Papyrus sollten erst später aufgefunden und gewürdigt werden. Wir geben hier (S. 830) eine Probe der hieratischen Handschrift, die bei der Prinzessin Nesichunsu entdeckt ward. Die Stelle, welche H. E. Brugsch's Photographie wiedergiebt, gehört zu einem Dekret, welches welches als von dem Sonnengotte Ra zu Gunsten der verstorbenen Fürstin erlassen gedacht wird und also anhebt: „Dieser ehrwürdige Gott, Herr aller Götter Amon Ra, der Gebieter des Reichsheiligthums (heute Karnak), die erhabene Seele, welche von Anfang an gewesen ist, der Gott, der sich nährt von Wahrheit, der Erste, der da gewesen ist und jenigen, welche da sind, erzeugt hat, er, dessen Wesen alle Götter in sich schließt, der Eine und Einzige, welcher alle Dinge gemacht hat, dessen Beginn der Anfang der Welt gewesen, dessen Geburten geheimnißvoll und dessen Formen reich sind an Zahl.“ Die Mittheilung des von diesem Gotte Bewilligten, welche nun folgt, würde zu weit führen. Kehren wir zu dem Entdecker zurück!

Bald stand Alles, was das Felfenverfteck geborgen, zum Transport nach Luqsor bereit, in dessen Hafen der aus Kairo herbeigerufene große Dampfer es aufnehmen sollte. Unter Brugsch’s Leitung setzte sich der Zug in der brennenden Hitze des ägyptischen Juli in Bewegung. Es galt, zuerst die staubige, Gluth ausstrahlende Ebene der Nekropole, welche sich zwischen Der el-bahri und dem Nil weit ausbreitet, zu durchmessen. Die 12 bis 16 Träger, welche unter der Last der größten Stücke, die man ihnen aufgebürdet hatte, beinah erlagen, brauchten 6 bis 8 Stunden, um zu den Booten zu gelangen, die ihrer harrten.

Wie viel Schweiß ward bei dieser Arbeit vergossen, wie mögen des wackeren Beamten Nerven gebebt haben, bis er endlich am Abend des 11. Juli dahin gelangt war, die in Zeug und Matten wohl verpackten Monumente am Hafen von Luqsor zu registriren!

Am 14. Juli langte der Dampfer an; seine Beladung ging ohne Störung vor sich, und bald darauf lichtete er mit seiner Fracht von Königen, getrieben von einer Kraft, deren mächtige Wirkung all diese gekrönten Häupter, wenn es ihnen vergönnt gewesen wäre ins Leben zurückzutreten, mit Bewunderung und Schauder erfüllt hätte, den Anker, und der Nil trug sie nach demselben Norden hin, dem so mancher von ihnen an der Spitze gewaltiger Heere lebensfroh und siegesgewiß entgegen gezogen war.

Die Nachricht von der Entdeckung so vieler Königsleichen hatte sich schnell durch ganz Oberägypten verbreitet, und nun sah man ein unerwartetes Schauspiel, das in denjenigen, welche ihm beiwohnen durften, einen unauslöschlichen Eindruck zurückließ.

An beiden Seiten des Nils strömten nämlich die Fellachen zusammen, um das wunderbare Leichenschiff zu sehen und der Schar von Königen, die es als stumme Passagiere stromabwärts führte, die letzte Ehre zu erweisen. Als gälte es, einem großen Verstorbenen aus ihrer Mitte das Ehrengeleite zu geben, folgten die Fellachenweiber mit aufgelöstem Haar dem Dampfer; bestrichen sich Stirn und Brust mit Staub und stießen jenes weit Hinschallende Sagarit aus, mit dem sie bei den Leichenzügen, an denen sie sonst theilnehmen, der leidenschaftlichen Trauer, die sie erfüllt, Ausdruck geben. Die Männer mischten sich unter die klagenden Weiber und schossen Flinte auf Flinte ab, wie sie es zu thun gewohnt sind, wenn sie angesehene Verstorbene bestatten. Von Luqsor bis Quft begleitete das ägyptische Volk die schwimmenden Königsbahre mit allen Zeichen der Trauer. Ahnte die klagende Menge, welche in dieser Zeit der englischen Oberherrschaft Wohlfahrt und Selbständigkeit verloren, daß sie den Schöpfern und Erhaltern ihrer einstigen Größe die letzte Ehre erwies?

In dem neu hergestellten Museum von Bulaq fanden die Königsleichen würdige Unterkunft. (Vergl. Illustration S. 829.) Da stehen sie jetzt als numerirte Museumsstücke, und welch seltsame Fügung des Schicksals! Dieselben Kronenträger, welche tiefe Schachte in harte Felsen getrieben hatten, um ihren sterblichen Resten ewige Ruhe zu sichern und sie dem Blick und der Berührung der Ueberlebenden zu entziehen, müssen es sich nun gefallen lassen, daß ihre Mumien den neugierigen Blicken aller Welt preisgegeben und daß Tausende von Fremden, deren bloße Nähe bei Lebzeiten verunreinigt hätte, sie mit den Händen betasten, sie öffnen und nach Willkür mit ihnen verfahren.

Dr. Maspero hat all diese Schätze in seinem Museum aufs Würdigste aufgestellt, und es war gewiß eine weise That dieses Gelehrten, daß er den Waidmann und glücklichen Antiquitätensucher Abd el-Rassul mit 500 Pfund Sterling belohnt und ihn mit dem Posten eines Aufsehers der Ausgrabungen in Theben betraut hat. Der Plünderer der Gräber weiß nun, daß er für jeden neuen Fund auf rechtlichem Wege hübsche Summen verdienen kann, und der frühere Dieb ist, wie wir zu unserer Freude erfahren, zu einem brauchbaren Polizeimanne geworden.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 831. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_831.jpg&oldid=- (Version vom 11.10.2018)