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und zu diesem Zwecke bot Brugsch mit der ihm eigenen Energie und unterstützt von den öffentlichen Behörden ungesäumt 300 Fellachen auf, welche sie am Fuße des Felsenrundes von Der el-bahri aufstellen mußten. Achtundvierzig Stunden lang konnte er bei der Leitung dieser anstrengenden und nicht ungefährlichen Thätigkeit sich keine Minute Ruhe gönnen und keine Sekunde die Augen schließen; denn es galt nicht nur der Habsucht der Todtenstadtbewohner entgegenzutreten, sondern auch die kostbaren ans Licht gezogenen Alterthümer vor Beschädigung zu hüten.

Schrein Thumosis' II.

Als das Versteck endlich entleert war, sah er die Leichen der meisten Mitglieder des einundzwanzigsten Königshauses vor sich; aber die sterblichen Reste dieser Pharaonenreihe, von der die Geschichte nicht viel zu erzählen weiß und deren Regierung dem ägyptischen Staate wenig gefrommt hatte, regte sein

Interesse in geringerem Maße an, obgleich auch diese von vorn herein Probleme stellten, die der Lösung würdig erschienen. Was wollte die Kindermumie dort, welche sich bei näherer Besichtigung als Attrape erwies, weil sie aus einem Bündel von Stäben bestand, welches, um ihm das Ansehen einer balsamirten Leiche zu geben, mit Binden umwickelt und mit einem Kinderschädel gekrönt war? Durfte man dieses Falsifikat für das Produkt einer Haremsintrigue halten? Hatte man ein erbberechtigtes Kind beseitigt, es für todt ausgegeben und ein Bündel Stäbe begraben, um die Mitlebenden in dem Wahn zu bestärken, daß es gestorben sei? Was bedeutete die andere Mumie, welche die Fellachen aufgerissen hatten und die sich gleichfalls als eine Attrape erwies? Einen wie herrlichen Anblick mußte der Sarg der Königin Nezemit geboten haben, bevor verbrecherische Hände ihn seiner goldenen Bekleidung, in welche Hieroglyphen aus edeln Steinen und Glasfluß eingelegt gewesen waren, bis auf einige kaum erkennbare Reste beraubt hatten!

Zum ersten Male sah Brugsch hier eine Königin, welche sich mit ihrem neugeborenen Töchterchen in dem gleichen Sarge hatte beisetzen lassen. Dennoch sollte die Wonne des Entdeckers erst den Gipfel erreichen, als ihm das helle Sonnenlicht bestätigte, was er beim Scheine der Fackel in dem Felsenverstecke nur hatte ahnen können, nämlich daß er im Stande sei, das Museum von Bulaq auch mit den Leichen der größten Könige aus der Blüthezeit der Pharaonengeschichte zu bereichern.

Da stand der Sarg und die Mumie eines jener Fürsten der siebzehnten Dynastie, welche die Waffen zuerst gegen die Hylsos erhoben. Neben dem längst aus der Geschichte bekannten Rasequenen sah er den Heldenkönig Aahmes I., welcher die Hyksos aus ihrer Veste Avaris vertrieben, und eine andere, die er für die seiner Gattin Nefertari, welche noch in später Zeit hoch geehrt wurde und Anbetung genoß, zu halten berechtigt war. Bei ihrer Auswickelung im Juni dieses Jahres ergab es sich indessen, daß er die Leiche Ramses’ III., des reichsten unter den Pharaonen, von welchem Herodot das hübsche, allbekannte Märchen von dem klugen Baumeisterssohne erzählt, vor sich gehabt hatte. Durch eine Verwechselung war bei den Reparaturen der Särge die Leiche des Königs in den seiner großen Vorgängerin gerathen.

Nun trugen die Fellachen den Schrein und die Leiche Amenophis’ I. herbei, des ritterlichen Fürsten, der es gewagt hatte, das ägyptische Heer nach Asien zu führen. Von Kopf bis zu den Füßen fand er seinen Leichnam mit Gewinden von blauen, gelben und rothen Blumen umgeben, und unter diesen eine Wespe.

Sie war in den Sarg mit eingeschlossen worden, hatte in drei und einem halben Jahrtausend Gestalt und Farbe erhalten und hing, wenn auch vertrocknet, immer noch an dem Kelche der letzten Blume, aus der sie Honig gesogen.

Jetzt erschien auch der Sarg jenes Thutmosis’ I., des kriegerischen und baulustigen Königs, den wir als Vater der Geschwister Thutmosis II. und III. sowie der unternehmenden Königin Hatschepsu kennen gelernt haben.

Die meisten dieser Schreine, von denen die älteren bestimmt waren, in steinerne Sarkophage gestellt zu werden, deren sich denn auch einige in den ausgeraubten Grüften leer wieder gefunden haben, tragen die Form der in Binden gewickelten Mumie, und am oberen Kopfende ist häufig das portraitähnlich gebildete Antlitz des verstorbenen Herrschers zu sehen.

Hieratischer Todtenpapyrus der Prinzessin Nesichunsu.

Wem mochte der Schrein mit dem mild lächelnden Gesichte ursprünglich angehört haben, den die Träger nun brachten? Er war für den legitimen Bruder der großen Hatschepsu hergestellt worden; so hatte der König ausgesehen, der sich so willig, oder doch mit so fruchtlosem Widerstande dem schwesterlichen Joche unterworfen.

Die Mumie der thatkräftigen Regentin kam nicht zum Vorschein; wohl aber scheint ihr eine Lade von Elfenbein und Holz, welche aus der Cachette hervorgeholt wurde, angehört zu haben, und später sollte es sich ergeben, daß der andere Sarg, welcher bald darauf ins Freie gebracht wurde und der von den Dieben seiner goldenen Bekleidung beraubt worden war, die sterblichen Reste des mannhaften Thutmosis III. geborgen, vor dessen Größe sich auch Frau Hatschepsu’s starker Geist hatte beugen müssen.

Mit rücksichtsloser Brutalität waren die Räuber mit der Mumie dieses gewaltigen Monarchen, dessen Leiche reiche Beute zu gewähren verhieß, umgegangen. An drei Stellen hatten sie seinen Körper zerbrochen, und die Messungen in Bulaq ergaben später, daß er nur 1,60 Meter groß, und Thutmosis III. also ein recht kleines Männlein gewesen sei. Als dem deutschen Kronprinzen dieser Umstand mitgetheilt wurde, sagte er: „Unser großer Friedrich war auch nur klein.“ Wir wollen hierzu bemerken, daß wir es bei der Betrachtung dieser 1,60 Meter langen Mumie thatsächlich und ganz zweifellos mit den sterblichen Resten dieses Riesen an Thatkraft zu thun haben; denn der betreffende

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 830. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_830.jpg&oldid=- (Version vom 11.10.2018)