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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

„Ich?“ rief der Förster zurückweichend. „Jetzt, wo alle Höllengeister los sind da draußen in den Bergen? So hat die wilde Jagd ja nie getobt in all den Jahren, wo ich auf der Bergförsterei war!“

„Verwünschter Aberglaube!“ murmelte Rodenberg, mit dem Fuße stampfend. „So schaffen Sie mir den Rainwirth her; der ist ein tüchtiger Bergsteiger und ein unerschrockener Mann.“

„Mag sein, aber hinausgeht er doch nicht bei solchem Wetter. Er hat es schon vorhin verschworen, als die Red’ davon war, und gesagt, wenn man ihm eine Tonne Goldes bieten wollte, er thät’ es doch nicht probiren, er müßt’ an Weib und Kinder denken.“

„Wohl, so gehe ich allein!“ sagte Michael entschlossen. „Schickt mir Hilfe nach, sobald der Morgen graut. Der Rainwirth mit seinen Leuten soll den Weg nach der Bergkapelle einschlagen, den ich nehme, und ihn nöthigenfalls bis an die Adlerwand verfolgen. Wolfram, Sie durchforschen mit den Anderen die Waldungen der Bergförsterei, Ihr ehemaliges Revier; Hochwürden, lassen Sie die ganze Fahrstraße noch einmal absuchen, bis zu der Stätte des Unfalls, vielleicht findet sich doch noch eine Spur – bieten Sie das ganze Dorf auf! Ich habe keine Zeit mehr zu verlieren.“

Er hatte trotz seiner furchtbaren Erregung in jenem energischen, befehlenden Tone gesprochen, in dem er mit seinen Untergebenen zu verkehren pflegte, und jetzt stürmte er hinaus. Der Förster blickte ihm ganz verdutzt nach, aber der Ton imponirte ihm augenscheinlich.

„Das Kommandiren hat er gelernt. Das sieht man!“ sagte er halblaut. „Er thut ja, als ob das ganze Dorf zu seiner Kompagnie gehörte und Ordre pariren müßte. Merkwürdig! Genau so hat mein gnädiger Herr Graf es gemacht. Der Michel hat wahrhaftig denselben Ton und Blick, als ob er es ihm abgelernt hätte oder als ob es sein Sohn wäre. Hochwürden, das geht doch nicht mit rechten Dingen zu, das ist Hexerei.“

Der Pfarrer antwortete nicht, er war wie betäubt. Hertha’s Gefahr, Michael’s tollkühner Entschluß, ihr zu folgen, die Entdeckung, welche er soeben hinsichtlich der Beiden gemacht hatte: das Alles stürmte mit vollster Heftigkeit auf den Greis ein, der an leidenschaftliche Erregungen nicht mehr gewöhnt und ihnen auch nicht mehr gewachsen war; er fühlte etwas wie Schwindel.

Schon nach wenig Minuten kam Michael zurück, vollständig ausgerüstet für den nächtlichen Gang, im Lodenmantel, mit dem Bergstock und bot seinem alten Lehrer die Hand.

„Leben Sie wohl, Hochwürden, und wenn wir uns nicht wiedersehen sollten – behüt’ Gott!“

Valentin faßte krampfhaft seinen Arm; die Angst, seinen Liebling zu verlieren, überwog bei ihm den Gedanken an Hertha’s Gefahr.

„Michael, so nimm doch Vernunft an. Höre nur, wie es da draußen tobt! Du kommst nicht hundert Schritt weit vorwärts. Warte wenigstens noch eine halbe Stunde!“

Rodenberg machte sich mit einer ungeduldigen Bewegung los.

„Nein, hier kann jede Minute verhängnißvoll werden – leben Sie wohl!“

Er schritt nach der Thür; dort stand Wolfram regungslos, aber es arbeitete seltsam in seinen harten Zügen, und jetzt fragte er zögernd:

„Herr Hauptmann, Sie wollen also wirklich hinaus und noch dazu ganz allein?“

„Ja, da doch Keiner den Muth hat, mit mir zu gehen!“ sagte Michael herb.

„Oho! Feiglinge sind wir auch nicht!“ rief der Förster beleidigt. „Ein Christenmensch, der wie der Rainwirth Weib und Kinder hat, kann es freilich nicht probiren. Ich hab’ nichts dergleichen, und wenn es durchaus nicht anders geht, meinetwegen – ich geh’ mit!“

Valentin athmete auf bei den Worten; ihm war es schon eine Beruhigung, daß Michael nicht allein ging; dieser aber sagte nur kurz:

„So kommen Sie! Zwei sind immerhin besser als Einer.“

„Es kommt drauf an,“ meinte Wolfram trocken. „Vielleicht denkt die wilde Jagd das auch und holt uns alle Beide.“

„Behüt’ Gott, Hochwürden, es kann nicht schaden, wenn Sie indeß recht kräftig beten für uns. Sie sind ein HeiligerMann, und wenn Sie ein gutes Wort einlegen bei Sankt Michael, hat er vielleicht ein Einsehen und bannt den Teufelsspuk da draußen; es thäte noth!“

Michael war bereits in der Thür, er winkte dem Pfarrer noch einen Abschiedsgruß zu; Wolfram folgte ihm, und nach wenigen Minuten waren Beide draußen verschwunden.

*  *  *

Die Adlerwand hatte in der That einen jener Frühlingsstürme herabgesandt, die mit Recht in der ganzen Umgegend gefürchtet waren. Wer abergläubisch war, wie der Förster, konnte immerhin meinen, es sei eine ganze Schar von Höllengeistern losgelassen, die nun verderbenbringend über die Erde hinrase. Es tobte durch die Lüfte, brauste in den Wäldern, und der Mond, halb verschleiert durch das Sturmgewölk, hüllte Erde und Himmel in ein fahles, gespenstiges Dämmerlicht, das noch unheimlicher war als selbst die Dunkelheit. Wolfram schlug verschiedene Male ein Kreuz, wenn das Toben gar zu arg wurde; aber er kämpfte sich trotzdem tapfer vorwärts durch das Unwetter; es gehörte freilich seine kraftvolle, mit der Bergwelt und ihren Schrecken vertraute Natur dazu, um hier überhaupt vorwärts zu kommen.

Den Weg bis zur Bergkapelle hatten die beiden Männer gemeinsam gemacht, ohne irgend eine Spur aufzufinden, und sich dann getrennt.

Michael war trotz alles Abmahnens weiter vorwärts gedrungen, nach der Adlerwand hin, deren Gebiet hier begann, während Wolfram die Richtung seitwärts nahm, in die Waldungen der Bergförsterei, die er als sein ehemaliges Revier genau kannte. Es war verabredet worden, daß, wer zuerst auf die Vermißten stieß, mit ihnen nach der Bergkapelle zurückkehren solle, um dort den Anbruch des Tages abzuwarten. In jedem Falle aber wollten die beiden Männer beim Morgengrauen dort zusammentreffen, um, wenn ihr Suchen erfolglos gewesen war, die Hilfsmannschaften aus Sankt Michael abzuwarten und dann bei Tageslicht die Nachforschungen fortzusetzen. So hatte es Hauptmann Rodenberg angeordnet.

„Wenn er überhaupt zurückkommt!“ brummte Wolfram, der eben mitten im Walde Halt machte, um auf einige Minuten zu rasten. „Es ist ja die bare Tollheit, in solcher Nacht in die Klüfte der Adlerwand zu gehen; aber er geht doch hinauf, wenn er die Gräfin unten nicht findet, darauf verwette ich meinen Kopf! Dreinreden läßt er sich ja nicht, im Gegentheil, er befiehlt, als wäre er mein Herr und Meister. Wenn ich nur wüßte, warum ich mir das eigentlich gefallen lasse und warum ich überhaupt mit ihm gegangen bin! Hochwürden hat Recht: es ist heller Wahnsinn, in solcher Höllennacht in den Bergen herumzusteigen, wo kein Ruf gehört wird, kein Zeichen möglich ist. Wir wissen ja nicht einmal die Richtung; aber das kümmert den Michel alles nicht! Und den habe ich für feig gehalten! Freilich, er wollte ja schon als Bube mitten in die wilde Jagd hinein, um sich den Spuk einmal in der Nähe anzuschauen; nur vor den Menschen lief er davon. Jetzt scheint er nicht mehr vor ihnen davon zu laufen, aber kommandiren thut er sie, daß es nur so eine Art hat. Man parirt auch, es geht eben nicht anders – grade wie bei meinem gnädigen Herrn Grafen!“

Er stieß einen Seufzer aus und wollte seinen Weg fortsetzen. Der Sturm machte grade eine Pause, und der Förster stieß wieder einen lauten, lang gezogenen Ruf aus, wie er das schon unzählige Male umsonst gethan hatte. Diesmal aber stutzte er und horchte auf, denn etwas wie der Laut einer menschlichen Stimme ließ sich vernehmen. Wolfram rief noch einmal mit aller Kraft seiner Lunge, und jetzt kam auch deutlich die Antwort zurück; in nicht allzuweiter Entfernung klang es in kläglichem Tone: „Hier! Hierher!“

„Endlich!“ rief der Förster, indem er sich schleunigst nach jener Richtung wandte. „Die Gräfin ist’s nicht, das hör’ ich an der Stimme, aber wo der Eine ist, wird auch wohl die Andere sein, also vorwärts.“

Er drang, von Neuem rufend, weiter vor. Die Antwort klang jetzt schon näher, und nach etwa zehn Minuten stieß er denn auch in der That auf den Begleiter Hertha’s, der kaum an seiner Seite war, als er sich auch an ihn anklammerte, wie der Ertrinkende an die rettende Planke.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 800. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_800.jpg&oldid=- (Version vom 29.9.2022)