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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Hatschepsu schließt, wagen wir nicht zu bestimmen; dagegen haben Mariette’s und frühere Untersuchungen ergeben, daß man von der zweiundzwanzigsten Herrscherreihe an nicht nur den erwähnten Nordbau, sondern jeden Theil des Tempels, welcher einigen Raum bot, und so auch die oberhalb der Terrassen gelegenen Felsenkammern und die hohlen Räume unter den Unterbauten benutzt hat, um sie im eigentlichen Sinne des Wortes mit Mumien vollzustopfen.

Bis in die römische Kaiserzeit hat man dies Memnonium zur Unterbringung und vielleicht zum Versteck von balsamirten Leichen benutzt, und wenn wir nun hören, daß die große Felsenhöhle, in welcher vierzig Mumien von verstorbenen Mitgliedern des Pharaonenhauses gefunden worden sind, am oberen Theile des Felsenamphitheaters gelegen war, das den Terrassenbau Hatschepsu’s stolz überragte, so wirft sich die Frage auf, welche Gründe die Thebaner veranlaßt haben können, ihre Todten gerade hierher in Sicherheit zu bringen. Indem wir der Aufklärung dieses räthselhaften Umstandes näher treten, machen wir den Leser darauf aufmerksam, daß die jüngsten der vierzig neu entdeckten Leichen fürstlicher Pharaonen zur Zeit derselben Dynastie gelebt haben, in der Der el-bahri anfing, eine Ablagerungsstätte für die Mumien nicht nur geringer, sondern auch sehr vornehmer Bürger von Theben zu werden, und laden ihn weiter ein, davon abzusehen, die Nekropole der Amonsstadt mit unseren Friedhöfen zu vergleichen.

Herstellung der Mumien. (Sargfabrik in der Todtenstadt).

Statt der wohlthuenden Stille, welche auf diesen herrscht und ihre Besucher zu freundlichen Rückerinnerungen und zu stiller Sammlung ladet, herrschte in der Todtenstadt zwar mehr Ruhe als in der Wohnstadt Theben, es muß aber dennoch lebendig genug in derselben hergegangen sein; denn da gab es Balsamirungshäuser, wo allerlei Ceremonien, die wir bis ins Einzelne kennen, an den zu mumifirenden Körpern vorzunehmen waren, da wohnte die zahlreiche zu den Memnonien gehörende Priester- und Schülerschaft, da hausten in einem besonderen Viertel die Kvachyten oder Leichenbesorger, die eine wirkliche Kaste bildeten und deren trauriges Geschäft von dem Vater auf den Sohn überging, während Kasten im indischen Sinne den Aegyptern sonst unbekannt waren. Da wohnten die Klageweiber und Sargfabrikanten, da gab es Verfertiger von Amuletten, mit denen die Mumien ausgestattet werden mußten, und große Webereien, in denen die Binden hergestellt wurden, von denen man viele hundert Ellen gebrauchte, um eine einzige Leiche zu umwickeln. Da schlug der Hammer der Bildhauer und Steinmetzen auf den Block, aus dem es Statuen der Verstorbenen sowie Grabsteine herzustellen galt. Die letzteren wurden mit bescheidenen Darstellungen und Inschriften bedeckt und wie die Bildsäulen und Opferlisten in den Grüften aufgestellt.

Gärtchen bei einem Grabe in dem heute el-Assassif genannten Theile der Nekropole von Theben.
Vom unteren Theile einer Stele im Museum zu Bulaq.

Bei der großen Menge von Blumen und Kränzen, mit denen die Särge und Grüfte auszuschmücken waren, muß es viele Gärtnereien in der Nekropole gegeben haben, und neben manchem alten pyramidenförmigen Grabe in dem heute el-Assassif genannten Theile der Nekropole, der sich dicht an das Gebiet des Terrassentempels von Der el-bahri schließt, wurden, wie auch ein Bild, welches dem unteren Viertel einer zu Bulaq konservirten Stele (Grabsäule) entnommen ist, lehrt – wir zeigen es hier unseren Lesern – Gärtchen gehalten und sorgsam gepflegt.

Zahlreiche Fleischer, Bäcker, Bierbrauer und Weinhändler waren nöthig, um die große Menge von Opferthieren oder Fleischstücken, Braten und Kuchen, Bier und Wein zur Verfügung zu halten, welche Sitte und Glauben den Manen des Verstorbenen darzubringen geboten.

Auf den heiligen Seen neben den bedeutendsten Memnonien, von denen der größte im Süden der Todtenstadt fluthete, wurden nächtlicher Weile im Zusammenhang mit gewissen Festen mysteriöse Spiele in dramatischer Form zur Darstellung gebracht, und man hatte in der Ptolemäerzeit – wahrscheinlich weil es damals auf dem schmalen von Straßen und Plätzen überfüllten östlichen Nilufer an Platz gebrach – da, wo sich die äußerste Mittagsgrenze der Nekropole an das benachbarte Hermonthis schloß, einen großen Hippodrom angelegt, in dem noch unter den römischen Kaisern Wettfahrten abgehalten wurden.

Zu jeder Tageszeit kamen Leichenzüge über den Nil und zogen, je nach der geselligen Stellung des zu Bestattenden, in größerer oder geringerer Länge und Pracht dem Sargberge entgegen, wo sie bei der Menge der Ceremonien, welche mit der Mumie vorzunehmen waren, oft bis zum Einbruch der Nacht zu verweilen hatten.

Die Häfen der Nekropole müssen stets voll von Schiffen gewesen sein; denn keine Brücke verband beide Ufer von Theben und, wie wir wissen, gebot die Pietät, die Grüfte lieber Verstorbener zu besuchen.

Oft kamen Angehörige der hier Bestatteten aus weiter Ferne, um an ihrer Ruhestätte zu beten und auf ihren Opfertisch fromme Gaben niederzulegen. – An gewissen Tagen des Jahres füllte sich, wie namentlich die Inschriften in der östlichen Säulenhalle des Tempels von Qurna lehren, die Nekropole mit Abgesandten aus allen Gauen und Haupttempeln des Landes, um den Memnonien besonders heilig gehaltener Pharaonen Geschenke zuzuführen und den Ka vergöttlichter Herrscher durch Opfer und Gebet günstig zu stimmen. Diesen priesterlichen Gesandtschaften schlossen sich auch viele Laien an, und für diejenigen, denen der Tag zu kurz gewesen war, um das Geschäft, welches sie in die Nekropole geführt hatte, zu beenden, gab es Herbergen, an die sich Wein- und Bierhäuser schlossen, denen nicht nur von Arbeitern, Gräberbesuchern, Schiffsführern und Matrosen, die auf die heimkehrenden Leidtragenden Stunden lang warten mußten, sondern auch von Soldaten, Schülern und Priestern fleißig zugesprochen wurde. Wie viele Arbeiter nöthig waren, um neue Grüfte in den Stein zu meißeln und in Stand zu halten, läßt sich leicht denken; die Maurer und Schmiede unter ihnen werden in Papyrusakten besonders erwähnt, und ebenso die Aufseher und Kontrolleure, welche sie und die zahllosen Gräber diesseit und jenseit des Sargberges zu überwachen hatten.

Je menschenreicher das Memnonienviertel und je kostbarer die Ausstattung wär, welche viele Tempel und Grüfte auf diesem Riesenfriedhofe empfangen hatten, und an je entlegeneren Stellen endlich manche Königs- und Königinnengräber gelegen waren, desto eifriger mußte für eine gute Bewachung der Todtenstadt gesorgt werden, und so war denn auch ein Gendarmeriekorps, welches von einem hochgestellten Befehlshaber kommandirt ward, die sogenannten Mazain, in der Nekropole stationirt.

(Fortsetzung folgt.)
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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 797. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_797.jpg&oldid=- (Version vom 11.10.2018)