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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Gerechtigkeitsgefühl, der Förster habe es eben nicht besser verstanden; dennoch gewann er es nicht über sich, ihm mit der alten Vertraulichkeit entgegenzutreten. Es lag etwas Unnahbares in seinem Wesen, trotzdem er sich jetzt erhob und dem Ankömmlinge die Hand hinstreckte.

„Der Officier ist Ihnen doch nicht ganz fremd, Herr Förster,“ sagte er ruhig. „Ich dächte, wir hätten uns schon früher gesehen.“

Wolfram stutzte beim Klange der Stimme und sah den Sprechenden von oben bis unten an, schüttelte dann aber verneinend den Kopf.

„Hab’ nicht die Ehre gehabt, Herr Hauptmann, so viel ich weiß. Nur die Stimme meint’ ich zu kennen und Sie haben auch im Gesicht etwas – ja was ist’s denn nur? Ich glaub’, Hochwürden, der Herr da gleicht dem vertrackten Burschen, dem Michael, der uns davongelaufen ist.“

„Und auf den Ihr nicht gut zu sprechen seid, wie es scheint.“

„Das fehlte noch!“ sagte der Förster in seiner derben Weise. „Ich habe Kreuz und Elend genug gehabt mit dem Unheilsbuben. Bärenstark war er ja, aber auch so dumm, daß keine Menschenseele etwas mit ihm anfangen konnte: nichts begriff er, nichts verstand er, und zuletzt brachte er mich noch in Ungnade bei dem Herrn Grafen. Ich war froh, als er auf und davon ging und ich ihn los war; er wird wohl irgendwo verdorben sein, denn er taugte zu gar nichts in der Welt.“

Michael lächelte flüchtig bei dieser nicht grade schmeichelhaften Charakteristik, der Pfarrer aber sagte ernst: „Da täuscht Ihr Euch, Wolfram, wie Ihr Euch stets in Eurem Pflegesohn getäuscht habt. Seht Euch den Herrn da genau an – es ist Hauptmann Michael Rodenberg.“

Wolfram prallte drei Schritt zurück und starrte dann sprachlos, mit weit aufgerissenen Augen Michael an, als sehe er ein Gespenst vor sich.

„Der Herr Hauptmann – der Michel?“ brachte er endlich mühsam heraus.

„Der doch nicht so ganz verdorben ist!“ ergänzte Michael.

„Sie sehen, er hat es trotz seiner Dummheit doch bis zum Hauptmann gebracht.“

Der Förster stand noch immer da, als habe der Blitz vor ihm eingeschlagen, und bemühte sich vergebens, die unerhörte Thatsache zu begreifen. Er blickte in hilfloser Verlegenheit zu Michael auf, der jetzt, als er herantrat, den ehemaligen Pflegevater fast um Kopfeslänge überragte, und wagte es kaum, die dargebotene Hand zu berühren. Er stotterte einige Worte, die halb Begrüßung und halb Entschuldigung waren, kam aber mit beidem nicht zu Stande; sein Begriffsvermögen schien völlig aufzuhören.

Valentin in seiner gewohnten Güte kam ihm zu Hilfe, indem er nach seinem Ergehen in den letzten zehn Jahren fragte; aber es dauerte eine ganze Weile, ehe Wolfram sich so weit faßte, um überhaupt Rede und Antwort zu geben, und als es endlich geschah, that er es in ganz verwirrter Weise. Zu berichten hatte er freilich nicht viel; seine jetzige Stellung auf den Gütern der jungen Gräfin Steinrück brachte ihm allerdings ein weit höheres Einkommen als die frühere, sonst aber hauste er nach wie vor in seinen Wäldern, gänzlich auf den Verkehr mit seinen Dienstleuten angewiesen, kam nur selten mit anderen Menschen in Berührung und schien das gleiche halbwilde Leben zu führen wie einst auf der Bergförsterei. Den General sah er noch öfter, denn dieser nahm es ernst mit seinen vormundschaftlichen Pflichten und pflegte die Güter seines Mündels persönlich zu inspiciren; die junge Gräfin aber, seine eigentliche Herrin, die niemals nach jenen Besitzungen kam, hatte er heute zum ersten Male nach zehn Jahren wiedergesehen: er war ihr auf dem Wege hierher begegnet, als sie mit ihrer Begleitung in das Schloß zurückkehrte.

Das Alles kam jedoch nur stückweise und abgebrochen zum Vorschein. Dabei hielt er noch immer hartnäckig die Augen auf Michael gerichtet, verstummte aber sofort, wenn dieser sich in das Gespräch mischte. Seine Scheu schien eher zu wachsen als sich zu verlieren, sogar seine Derbheit ließ ihn hier vollständig im Stich. Michael zeigte sich übrigens ebenso einsilbig und zerstreut wie vorhin im Gespräch mit dem Pfarrer; selbst dies unerwartete Zusammentreffen vermochte nicht, seine Gedanken abzulenken; sie folgten unaufhörlich dem kleinen Bergwagen, der jetzt wohl schon ein Drittel des Weges zurückgelegt haben mochte, und plötzlich erhob er sich und ging hinaus, um zu sehen, ob der Mond, der soeben aufgegangen war, auch hell genug leuchte für die nächtliche Bergfahrt.

Wolfram sah ihm nach, sah dann den Pfarrer an und sagte in einem seltsam gedrückten Tone:

„Hochwürden, ist es denn wirklich wahr? Ist das wirklich und wahrhaftig der Michel, unser Michel?“

Valentin konnte sich eines leichten Lächelns nicht erwehren, als er entgegnete:

„Ich dächte, das müßtet Ihr doch nun nachgrade sehen.“

„Ja, ich seh’ es schon, aber glauben thu’ ich es nicht,“ erklärte Wolfram. „Das soll der Bub’ sein, der so oft meine Hand gespürt hat wegen seiner Dummheit und Verstocktheit? Der Rainwirth sagt ja, er wäre so furchtbar gescheit, daß sie ihn eigens in den Generalstab geholt hätten, und in den beiden letzten Kriegen wäre er auf den Feind losgegangen und hätte dreingeschlagen, daß Alles nur so krachte. Er ist ja auch jetzt Hauptmann geworden, grade wie mein gnädiger Herr Graf, als ich vor vierzig Jahren bei ihm in Dienst trat, und er kann am Ende auch noch General werden wie Seine Excellenz.“

„Möglich ist das wenigstens; aber hat der Rainwirth denn keinen Namen genannt, der Euch aufklären konnte?“

„Nein, er hat immer nur von dem Hauptmann gesprochen und scheint einen gewaltigen Respekt vor ihm zu haben. Nun, so viel hab’ ich auch schon gemerkt, nah’ kommen darf man dem Herrn Michel nicht mehr. Er ist ja freundlich genug, aber er hat etwas in seiner Art wie: bleib’ mir zehn Schritt vom Leibe! Er nennt mich ja jetzt auch ‚Herr Förster’, da werd’ ich wohl auch ,Herr Hauptmann‘ sagen müssen.“

„Ihr werdet allerdings den veränderten Verhältnissen Rechnung tragen müssen,“ sagte der Pfarrer ernst. „Und noch Eins, Wolfram! Es ist nicht nöthig, daß Ihr dem Rainwirth und den anderen Bekannten erzählt, Hauptmann Rodenberg sei Euer einstiger Pflegesohn. Er ist damals mit den Dorfleuten so wenig in Berührung gekommen und hat sich so vollständig verändert, daß Niemand ihn wiedererkannte, als er nach Jahren als Officier zu mir kam. Ich weiß, Graf Steinrück hatte Euch strenges Schweigen über Euren Pflegling auferlegt, und Ihr habt geschwiegen. Ihr würdet Michael und mich verbinden, wenn Ihr das auch jetzt thun wolltet.“

„Das Schwatzen ist meine Sache nicht, das wissen Sie ja, Hochwürden,“ entgegnete Wolfram kurz. „Viel Ehr’ kann ich auch nicht einlegen mit meinen Prophezeiungen über den Michel; die Leute würden mich nur hänseln damit, und übermorgen geh’ ich ja schon wieder fort – mir ist’s recht, wenn die Geschichte unter uns bleibt.“

Der Wiedereintritt Michael’s machte dem Gespräch ein Ende. Gleich darauf verabschiedete sich der Förster und kehrte zu dem Rainwirth zurück, der die kleine Gastwirthschaft des Dorfes hielt und dessen Gehöft eine ganze Strecke vom Pfarrhause entfernt lag. Die Dunkelheit war inzwischen völlig hereingebrochen, und bald lag ganz Sankt Michael im tiefen Schlafe.

(Fortsetzung folgt.)

Blätter und Blüthen.

Die Philosophen und die Frauen. Wie viele Dichter von Frauenlob bis zur Gegenwart haben den Frauen Kränze gewunden! Wenn diese in den neuen Gedichtsammlungen und Blüthenkränzen blättern, so strahlt ihnen wie aus einem Spiegel ihr geschmeicheltes Bild entgegen. Schiller’s „Ehret die Frauen“ hat eine große Nachkommenschaft geistesverwandter Poesien aufzuweisen. Unter den Dichtern giebt es wenig Weiberfeinde ... ist doch die Muse selbst eine Frau. Und doch gab es einen Liebling der tragischen Muse, der aus seiner Weiberverachtung kein Hehl machte: das war Euripides, der selbst nicht glücklich verheirathet gewesen war. Er ist geradezu als ein auf den Kopf gestellter Frauenlob zu betrachten. In zahlreichen Sechsfüßlern seiner Trauerspiele läßt er die Frauen seinen Zorn und Ingrimm fühlen; so besonders in einer Rede des „Hippolytos“.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 786. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_786.jpg&oldid=- (Version vom 28.9.2022)