Seite:Die Gartenlaube (1886) 783.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Wattepfröpfen, in der Regel durchaus nicht! Nur manchmal führt Ausspritzen zum Ziel; meist müssen ganz feine ärztliche Instrumente verwendet werden. Also: der Laie bohre nicht erst lange im Ohre herum, sondern sende sofort zum Arzt. Ist jedoch, was im Allgemeinen sehr selten vorkommt, ein Insekt, eine Mücke, ein „hüpfendes“ Thierchen, ein sogenannter Ohrwurm etc. ins Ohr gerathen und veranlaßt dasselbe, was die Regel ist, arge Beschwerden und noch mehr Angst, so ist das Beste, wenn man den betreffenden Gehörgang sofort ganz mit frischem Baumöl vollgießt, wodurch die Missethäter elenden Erstickungstodes sterben. Ist dies geschehen, so spritze man das Ohr mit lauem Wasser aus. Gelangt aber beim Baden, was bekanntlich nicht selten der Fall ist, Wasser ins Ohr, so fahre man ja nicht mit Bleistift, Taschentuch oder dergleichen darin herum, sondern man senke den Kopf tief nach der Seite und hüpfe auf dem entsprechenden Fuße auf und ab, oder man warte, wenn dies nichts nützt, bis durch allmähliche Verdunstung die kleine Unbequemlichkeit beseitigt wird. Es giebt Leute, denen bei jedem Untertauchen während des Schwimmens Wasser ins Ohr dringt: solchen ist zu empfehlen, daß sie vor dem Baden die Gehörgangsöffnung mit einem nicht zu dünnen, reinen Wattepfropfen verschließen, der sich dann mit den Fingern leicht wieder herausnehmen läßt. Es ist dies kein kleinlicher Rath; denn manchmal bewirkt das eingedrungene kalte Wasser nachträglich einen Ohrkatarrh, ja sogar einen meist sehr schmerzhaften Furunkel im Ohr, wie gar mancher Schwimmer an sich selbst einmal erfahren haben dürfte.

(Schluß folgt.)

Sankt Michael.

Roman von E. Werner.
(Fortsetzung.)

Mein Onkel Steinrück,“ sprach Hertha zögernd zu Michael, „hat mir mitgetheilt, daß die Angelegenheit, bei der ich ihn zum Einschreiten veranlaßte, völlig ausgeglichen sei, und ich zweifle selbstverständlich nicht an seinen Worten, aber ich fürchte –“ sie hielt inne.

„Sie fürchten?“ forschte er.

„Daß die Aussöhnung nur eine augenblickliche, scheinbare gewesen ist. Sie konnten vielleicht Ihrem General die Nachgiebigkeit nicht verweigern, die er forderte, so wenig wie Raoul sie dem Großvater verweigern konnte, und bei dem nächsten Zusammentreffen wird der Streit erneuert werden.“

„Von meiner Seite nicht,“ sagte Michael kalt. „Da Graf Steinrück in Gegenwart des Generals seine Beleidigungen zurückgenommen hat, so habe ich Genugthuung erhalten.“

„Raoul? Er hätte das wirklich gethan?“ rief Hertha halb ungläubig, halb empört.

„Unter einer anderen Bedingung wäre der Ausgleich wohl nicht möglich gewesen. Der Graf wich allerdings der Autorität seines Großvaters, der diese Zurücknahme auf das Bestimmteste von ihm verlangte.“

„Und Raoul hätte sich einem derartigen Befehl gefügt? Unmöglich!“

„Zweifeln Sie an der Wahrheit meiner Worte?“ sagte Michael scharf.

„Nein, Hauptmann Rodenberg, nein, aber ich sehe immer mehr, daß hier irgend etwas Besonderes zu Grunde liegt, wenn es mir auch abgeleugnet wird. Schon damals, bei der Scene im Reval’schen Hause, fielen seltsame, mir unverständliche Andeutungen. Sie sind doch unserer Familie fremd, so viel ich weiß.“

„Ja!“ antwortete Michael mit eisiger Entschiedenheit.

„Und dennoch war von Beziehungen die Rede, die Sie ebenso wie Raoul abzulehnen schienen. Was sind das für Beziehungen?“

„Sollte Ihnen der General oder Graf Raoul Steinrück die Antwort nicht besser geben können, als ich es vermag?“

Hertha schüttelte verneinend das Haupt.

„Sie können oder wollen mir nichts sagen. Ich habe es bereits versucht. Von Ihnen hoffe ich endlich die Wahrheit zu hören.“

„Und auch ich muß Sie bitten, mir das zu erlassen. Eine derartige Erörterung würde nur peinlich sein, und wie weit sie führen kann, davon sind Sie ja Zeuge gewesen.“

„Ich hörte nur den Anfang des Gespräches,“ sagte die junge Gräfin, welche errieth, daß hier ein Punkt berührt wurde, der besser unerörtert blieb. „Es war allerdings genug, um mich einen ernsten Ausgang fürchten zu lassen; das Weitere aber habe ich in der That nicht –“

„Geben Sie sich keine Mühe, mich zu schonen,“ fiel Rodenberg mit der tiefsten Bitterkeit ein. „Ich weiß, daß Sie die ganze Unterredung mit angehört haben, und da wird Ihnen wohl auch das eine Wort nicht entgangen sein, mit dem Graf Steinrück das Andenken meines Vaters – beschimpfte.“

Hertha schwieg einige Sekunden, dann sagte sie leise:

„Ja, ich habe es gehört, aber ich wußte, daß es ein Irrthum war. Auch Raoul ist jedenfalls davon überzeugt worden und hat deßhalb das Wort zurückgenommen, nicht wahr?“

Michael’s Lippen zuckten; er sah es: die junge Gräfin hatte nicht die leiseste Ahnung von seinen Beziehungen zu ihrer Familie, von der Tragödie, die einst dort gespielt hatte, und er wollte ihr die Aufklärung wahrlich nicht geben; aber er wollte auch nicht länger diesen Ton angstvoller, inniger Theilnahme hören, der ihn gefährlicher umspann als einst das alte lockende Sirenenlied. Er wußte freilich, daß schon sein nächstes Wort eine Kluft zwischen ihnen aufriß, die nicht mehr zu überbrücken war. Um so besser! Es war unvermeidlich, wenn er den Rest seiner Selbstbeherrschung bewahren wollte, und mit der ganzen Schroffheit, die ihm zu Gebote stand, entgegnete er:

„Nein!“

„Nein?“ wiederholte Hertha, entsetzt zurückweichend.

„Das erschreckt Sie, Gräfin Steinrück, nicht wahr? Aber einmal muß es doch ausgesprochen werden. Ich kann meine eigene Ehre vertreten und schützen gegen Jeden, der es wagen sollte, sie anzugreifen. Gegen Angriffe auf meinen Vater bin ich wehrlos. Ich kann den Beleidiger zu Boden schlagen – der Lüge zeihen kann ich ihn nicht.“

Seine Stimme war anscheinend ruhig, wenn auch völlig klanglos; aber Hertha sah und fühlte es, wie das ganze Innere des sonst so eisernen Mannes zuckte unter der Wunde, die er so schonungslos vor ihren Augen aufriß. Sie kannte am besten seinen Stolz, der sich nicht einmal da beugen wollte, wo er liebte, und konnte ermessen, was ihn dies Geständniß kostete, und alles Andere vergessend, nur dem augenblicklichen Impulse folgend, brach sie aus:

„Mein Gott, wie furchtbar müssen Sie darunter gelitten haben!“

Michael zuckte zusammen und sah sie starr und fragend an. Es war das erste Mal, daß er diesen Ton hörte, der so ganz und voll aus dem Herzen kam, in dem eine so leidenschaftliche Theilnahme lag, als empfinde sie in jeder Fiber seine Qual mit. Es blitzte vor ihm auf wie der erste Strahl eines Glückes, von dem er wohl bisweilen geträumt und gegen das er sich doch gewehrt hatte mit dem ganzen Stolze des Mannes, der um keinen Preis zum Spielwerk einer Laune werden will. Das aber, was er jetzt sah und hörte, war kein Spiel; das war ein Ausbruch völliger Selbstvergessenheit, rückhaltloser Wahrheit.

„Können Sie mir das wirklich nachempfinden?“ fragte er mit stockendem Athem. „Sie, die auf den Höhen des Lebens geboren und erzogen sind und nie einen Blick in die dunklen Tiefen des Elends gethan haben? Ja, ich habe furchtbar gelitten und leide noch, wenn ich bei einer Erinnerung, die mir die theuerste und heiligste sein sollte, bei dem Worte ,Vater’ die Augen niederschlagen muß.“

Hertha war dicht an seine Seite getreten, und jetzt schlug ihre Stimme an sein Ohr, so leise und weich, als gelte es die Berührung einer schweren Wunde.

„Wenn Sie den Vater nicht lieben konnten – Sie haben ja doch eine Mutter gehabt, und ihr Andenken ist doch wenigstens rein geblieben?“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 783. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_783.jpg&oldid=- (Version vom 28.9.2022)