Seite:Die Gartenlaube (1886) 780.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Offenbar aus einer Nürnberger Fingerhüterwerkstätte ist der hier abgebildete Fingerhut im Besitze des Germanischen Museums zu Nürnberg hervorgegangen. Er ist ziemlich eng und spitzig und, wie die meisten Geräthe jener Zeit, nicht schmucklos, sondern mit Verzierungen und einem Spruche versehen. Unter den Löchlein befindet sich eine Reihe verschiedener runder Stempel, welche Sterne, Adler, Lilien, Thiere etc. darstellen, unter denen sodann der Spruch: „Wen Got wil so ist mein Zil“ und die Jahreszahl 1595 eingeschlagen ist, und zwar jeder Buchstabe besonders und nicht sehr regelmäßig, theilweise mit verschieden großen Stempeln.

Nürnberger Fingerhut aus dem Jahre 1595.

Aus dem 16. Jahrhundert bewahrt das Germanische Museum aber noch einen Fingerhut, und zwar von solchen Dimensionen – er ist sicher der größte, der existirt – daß er sich für die Fingerspitze eines Riesen eignen dürfte, nämlich einen schönen, getriebenen, silbernen und vergoldeten Pokal, der die Gestalt eines auf einem Reifen stehenden großen Fingerhutes hat. Er ist, wie die Inschrift am Rande verkündet, dem Nürnberger Schneiderhandwerk durch die Gebrüder Gewandschneider im Jahre 1586 gestiftet worden.

Auf dem Deckel steht ein Genius mit einer großmächtigen Schere in der Rechten und einer großen Nadel als Lanze in der Linken. Unzweifelhaft hat den Nürnberger Schneidern kein Fingerhut so gut gefallen wie dieser werthvolle, ihnen zum Geschenk gemachte. Wie oft mag dieses prächtige Geschirr im heiteren Kreise umgegangen und des köstlichen Weines, denn nur solcher paßte für ein so vornehmes Gefäß, entleert worden sein! Das Sprichwort, daß ein Schneider einen Fingerhut ausgetrunken und davon schwer bezecht gewesen sei, verlor hier seinen beißenden Spott.

Silberner Pokal des Nürnberger Schneiderhandwerks vom Jahre 1586.

Außer diesem riesigen Fingerhut gab es noch andere aus edlem Metalle, welche die Goldschmiede für reiche und vornehme Herren herstellten, die sie als Angebinde für die holde Braut oder die anmuthige Hausfrau verwendeten; manchmal mag auch ein Goldschmied mit ganz besonderem Eifer für seine Herzallerliebste ein solch werthvolles Stück angefertigt und dabei sein ganzes Können zum Ausdruck gebracht haben. Zur letzteren Kategorie gehörte der vom Amsterdamer Goldschmied Nikolaus van Benschoten vor zweihundert Jahren hergestellte, dessen Begleitzeilen zu dem Märchen Veranlassung gaben, es sei der Fingerhut erst vor zweihundert Jahren erfunden, zunächst lediglich Luxusartikel und später erst allgemeiner Gebrauchsgegenstand geworden. Was Benschoten „eigens erfunden“, war nicht der Fingerhut an und für sich, sondern der künstlerische Schmuck, welchen er seinem Exemplare verlieh. Fingerhüte aus edelm Metalle mit reichem Schmucke, die nicht für den täglichen Gebrauch verwendet wurden, sondern nur als Schmuckgegenstände dienten, wurden jedoch auch schon früher gefertigt. Der Frankfurter Kupferstecher Joh. Theod. de Bry (1561 bis 1623), der eine Reihe prächtiger Goldschmiedevorlagen gestochen, lieferte auch ein reizendes Blatt mit den Entwürfen schöner Fingerhüte, die auf das Reichste mit ziemlich freien, theilweise mythologischen Darstellungen geschmückt waren. Auf der oberen Abrundung der Fingerhüte sollte ein Amor oder ein Genius, umgeben von den Inschriften: „Force d’amour* Vis amoris“, La puissance d'amour“ (Macht der Liebe) angebracht werden. Derartige kostbare Fingerhüte haben sich vielfach bis auf unsere Zeit erhalten; interessant sind namentlich solche, welche in mehrere Theile zerlegt werden konnten, mit Portraits und Wappen geschmückt wurden und zum Theil die Stelle unserer Medaillons vertraten.

Recht ausführliche Mittheilungen über die Fingerhutfabrikation am Ende des 17. Jahrhunderts erhalten wir aus Christoph Weigel’s „Abbildung der Gemein-Nützlichen Haupt-Stände Von denen Regenten … biß auf alle Künstler Und Handwerker“ vom Jahre 1698, woselbst ebenfalls die Werkstätte eines Fingerhüters und zwar in Kupferstich dargestellt ist, die sich durch reichere Äusstattung von der Jost Amman’schen unterscheidet. Dem Geschmacke jener Zeit entsprechend, finden sich unter dem Bilde, das die Ueberschrift: „Der Tugend starker Schutz, bezwingt der Laster Trutz“, trägt, schwülstige Verse allegorischen Inhaltes (vergl. Illustration S. 773).

Entwürfe zu Fingerhüten nach Theod. de Bry (1561 bis 1623).

Der beigegebene Text erzählt, daß außer in Nürnberg, Köln und Holland Fingerhüter nur an wenig Orten gefunden werden. Es wird ferner berichtet: „Fingerhüte, so man Stern-Hüte mit Knöpffgen nennet, haben oben einen Knopff, welchen man mit Balsam füllen kann, andere aber sind oben offen.“ Weiter wird berichtet: „Es gibt auch gedoppelte Fingerhüte, daran die untere gantz glatt und verguldet, die obere aber, so sehr nett über die untere passen, silbern und gantz durchgebrochen gehauen sind, so gar artig anzusehen.“ Der Verfasser zählt die Gewerbe auf, welche den Fingerhut benützen und von der Nutzbarkeit des Handwerkes der Fingerhutmacher Zeugniß ablegen können. Galant setzt er hinzu: „Insonderheit gebühret ihnen (den Fingerhüten) der Ruhm, daß sie die zarte Finger des Preiswürdigen Frauen-Zimmers bey so viel tausend Stichen, welche sie so künstlich als nützlich zu mancherley Arbeit führen, Stich-frey erhalten, und manches Blut-Vergießen verhüten, welches doch noch offt, wann der Fingerhut nicht alsobald bey der Hand ist, unschuldig vergossen wird.“

Im 18. Jahrhundert rächte sich an den Nürnberger Fingerhütern die uns heute ganz unglaublich scheinende Thatsache, daß der Nürnberger Rath den Meistern die Ausübung von mühsam ersonnenen Verbesserungen und Erleichterungen bei der Fingerhutfabrikation früher verboten hatte; Nürnberg ward gegen Ende desselben von Aachen, Jülich’schen und anderen Orten, wo man Maschinen benützte, die durch Wasserkraft in Bewegung gesetzt wurden, auf dem Gebiete der Fingerhutfabrikation überflügelt.

In der Gegenwart wird der Fingerhut, der jetzt meist aus Stahl hergestellt wird, nicht mehr durch das Kleingewerbe, sondern in großen Massen in Fabriken angefertigt, leider meist ganz schmucklos. Es würde uns eine Genugthuung sein, wenn in Folge dieses Artikels uns recht bald Fingerhüte begegnen würden, welche mit schönen Denksprüchen oder sonstigem passenden Schmucke geziert wären. Die Fingerhüte würden dadurch nicht theurer werden, die Fabrikanten aber gewiß bessere Geschäfte machen. Hans Boesch.


Pflege des Gehörs.

Von Dr. Joh. Hermann Baas (Worms).

Unzählige feine Nervenfäden nehmen vom Gehirn ihren Ursprung und erhalten von diesem, wie von einer elektrischen Centralbatterie, ihre Erregung und Kraft, darunter ganz besonders die Drähte jener fünf Telegraphenstationen, der Sinne, welche alle Nachrichten von der äußeren Erscheinungswelt in Empfang nehmen, um sie mittelst eigenthümlicher, für eine jede derselben besonders ausgewählter Chiffern, die man gewöhnlich Farben, Töne, Gerüche etc. nennt, als Sinneswahrnehmungen nach dem Gehirn hinzuleiten, damit sie dort zum Bewußtsein kommen und verarbeitet werden. Will Jemand aber grade das Ohr nicht als Telegraphen-, sondern lieber als Telephonstation bezeichnen, so haben wir dagegen nichts einzuwenden.

Unter den fünf Sinnen betrachtet man das Gehör, einer althergebrachten Eintheilung zufolge, als den zweithöchsten, der gemäß dieser Rangordnnng nach dem Auge und vor dem Tastsinn steht. Uns erschien diese Art der Rubricirung zwar immer hinkend; denn wer vermag Dinge, die im tiefsten Grunde doch gleichwerthig unter sich dastehen, in solch „ein verständlich System“ zu bringen? Man höre doch nur auf die Stimme derer, welche einen Sinn verloren haben, und wäre es selbst der niedrigste, wie sie regelmäßig aussagen, sie wollten sehr gern einen anderen für den verlorenen opfern. Immerhin aber wollen wir zugestehen, daß, wenn man die Sache nicht dem innersten Wesen nach, sondern mehr äußerlich beurtheilt, Auge, Gefühl und Ohr den obersten

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 780. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_780.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2023)