Seite:Die Gartenlaube (1886) 771.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Blätter und Blüthen.

Frauenleben in Sansibar. Seitdem die deutsche ostafrikanische Gesellschaft in der Gegend von Sansibar Fuß gefaßt und die deutsche Flotte mit dem Sultan ein ernstes Wort gesprochen, ist das Interesse für die Zustände im Osten des schwarzen Welttheils ein sehr reges geworden. Ueber das Leben in der Residenz des Sultans selbst haben wir neuerdings zuverlässige Auskunft erhalten und zwar durch eine arabische Prinzessin, welche einen Hamburger Kaufmann geheirathet hat. Frau Ruete, einst Prinzessin Solmi und Tochter des Imam von Maskat, der sich die Insel Sansibar und die benachbarten Küstenstädte erobert hat und dort als Sultan regierte, hat „Memoiren einer arabischen Prinzessin“ herausgegeben, welche sehr gewandt geschrieben sind und von dem Leben in der Residenz ihres Vaters eine frische, farbenreiche Schilderung geben. Gewiß ist das Frauenleben im Orient ein höchst eingeschränktes im Vergleiche mit demjenigen im Abendlande; dennoch macht man sich bei uns von dem Haremsleben vielfach falsche Begriffe: ein Harem wird als eine Menagerie von weiblichen Schönheiten angesehen, die gleichsam in ihrem vergitterten Käfige müßig daliegen und sich im Halbschlaf langweilen. In Sansibar ist das anders; Frau Ruete schildert uns, wie es dort am Hofe des Sultans zugeht. Natürlich müssen die Frauen vermummt über die Straße gehen; Frau Ruete als aufgeklärte Bewohnerin der freien Hansestadt kann diese Sitte natürlich auch nicht billigen; doch findet sie es ebenso wenig geschmackvoll, wenn die deutschen Frauen sich halbentblößt in ihrer Balltoilette bewegen. Viermal des Tages müssen die Frauen ihre Gebete verrichten: dreimal zur vorgeschriebenen Stunde, das vierte können sie spätestens bis Mitternacht verschieben, wenn sie zum Besuche bei Freundinnen sind. Der Palast des Sultans hatte viele mit Palmbäumen und Orangenbäumen besetzte Höfe, in denen Pfauen, Gazellen, Perlhühner, Flamingos, Enten und Strauße frei umherliefen: in diesen Höfen lernten die Mädchen reiten auf weißen Maskateseln; die Knaben auf Pferden.

Die Prinzessinnen schliefen bis acht Uhr Morgens; dann wurden sie von einer Sklavin durch leises, sehr angenehmes Kneten geweckt, um ihre Toilette zu machen. Die Badewanne steht mit frischem Brunnenwasser bereit; ebenso ist die Garderobe zurechtgelegt, die schon am Abend vorher mit Jasmin- oder Orangenblüthen bestreut worden: das kalte Bad erfrischt und die mit feiner Kunst zusammengesetzten Wohlgerüche beleben in der angenehmsten Weise. Nach dem Frühstücke begeben sich die Herren in die Audienzgemächer: die Frauen setzen sich an die Fenster, sehen dem Treiben auf den Straßen zu, empfangen Besuche von den Herren, mündliche Anmeldungen für den Abend. Diejenigen, die weniger Geschmack finden an solchem gesellschaftlichen Verkehr, beschäftigen sich mit weiblichen Arbeiten, sticken ihre Masken, Hemden oder Beinkleider mit Gold, oder die Battisthemden des Gatten und Sohnes mit rother oder weißer Seide. Andere lesen Romane, besuchen Gesunde und Kranke in ihren Wohnungen. Um elf Uhr ist es Zeit zum Gebet; nachher ruht man sich in den heißen Stunden auf reizend geflochtenen, mit heiligen Sprüchen durchwebten weichen Matten aus, schläft und plaudert abwechselnd und ißt bei der Unterhaltung Kuchen und Obst. Um vier Uhr verrichtet man das dritte Gebet und wirft sich in glänzendere Nachmittagstoilette. Zum Essen findet sich die ganze Familie wieder zusammen; der Tisch ist oft mit fünfzehn Gerichten bedeckt; der Sultan, seine Frauen und Kinder setzen sich als echte Orientalen auf den mit Teppichen belegten Boden. Reis von mannigfacher Zubereitung, Hammelfleisch, Fische, Brote und Leckerbissen stehen auf der Tafel. Beim Essen wurde nie getrunken und selten gesprochen[.] Man aß mit den Fingern; die Messer und Gabeln wurden nur hervorgesucht, wenn Gäste aus Europa an der Hoftafel bewirthet wurden; dann hielten Sklaven und Sklavinnen Wasserbehälter und Handtücher bereit. Nach Tisch setzten sich die Erwachsenen auf europäische Stühle in einem freien Raum vor dem Gemache des Sultans; der Kaffee und aus Südfrankreich eingeführte Fruchtsäfte wurden herumgereicht. Man plaudert beim Klange einer großen Drehorgel, oder große Spieluhren lassen ihre Melodien ertönen: in diesem Nachmittagskoncerte wirkte auch eine Araberin Amra, die eine entzückend schöne Stimme hatte, als Sängerin mit. Darauf suchte Jeder wieder seine Beschäftigung auf, oder man ergab sich dem verbotenen Genusse des Betelkauens; auch Frau Ruete war eine eifrige Betelkauerin, ehe sie an die Elbe und Alster verschlagen wurde. Wenn der Trommelwirbel der indischen Garde und einige Gewehrschüsse ertönten, dann wurden Alle an ihr viertes Gebet erinnert. Das wurde meist sehr hastig und mit sehr weltlichen Gedanken verrichtet; denn gleich darauf durfte man ausgehen, wenn der Vater den Müttern und Töchtern die selten verweigerte Erlaubniß ertheilt hatte, oder man empfing Besuche im Hause; da wurde Kaffee und Limonade getrunken, wieder Obst und Kuchen gegessen, gescherzt und gelacht, vorgelesen, Karten gespielt, doch nie um Geld, gesungen, geraucht, gestickt, geklöppelt – ganz nach Wunsch und Neigung. Wer nicht ausgeht, begiebt sich entweder um zehn Uhr zur Ruhe oder er wandelt bei Mondschein auf den Dächern auf und ab. Bei dem Schlafengehen bieten zwei Sklavinnen ihre Dienste an, um das Einschlummern zu befördern; die Eine knetet wieder wie am Morgen leise die Glieder; die Andere schwingt den Fächer hin und her. Oft lassen sich auch die Damen von Sansibar die Füße mit Eau de Cologne und Wasser waschen.

Man darf es der Frau Ruete nicht verübeln, wenn sie von ihrem Leben als Prinzessin recht angenehme Erinnerungen behalten hat: ja, manche deutsche Dame, welche nicht verurtheilt ist, vermummt über die Straße zu gehen, würde ein solches Leben wie das in Sansibar vielleicht unterhaltender finden, als dasjenige, welches sie bei ihren Kaffeevisiten und Abendgesellschaften führt. †      

Das Tegetthoff-Denkmal in Wien. Der Seeheld von Lissa, welcher am 20. Juli 1866 der österreichischen Kriegsmarine in der großen Welt einen ruhmvollen Namen gemacht hat durch einen der glänzendsten Siege, erhielt nunmehr sein wohlverdientes Denkmal in der Kaiserstadt an der Donau.

Auf dem weiten Platze vor den Eingängen in den Prater, auf dem sogenannten „Praterstern“, welchem sieben Straßenzüge zustreben, erhebt sich auf einem Plateau von drei Stufen aus grauem Mauthausener Granit, eine im Stile der „Columna rostrata“, der „Schiffsschnäbel-Säule“, gehaltene Säule, welche die Figur Tegetthoff’s krönt. Ueber dem Stufen-Plateau steigt ein beckenähnlicher Unterbau für die allegorischen Gruppen, die Kampfes- und Siegesgöttin, auf, welche beide in einer Art von Nachen, von springenden Seepferden gezogen, erscheinen. Die Säule, welche aus rosafarbigem Granit besteht, hat einen Durchmesser von 5 Fuß 9 Zoll und ruht auf einem Piedestal sammt Basis. Das obere Ende derselben krönt die 11 Fuß hohe aus Kanonenmetall in der k. k. Wiener Erzgießerei gegossene Statue des Seehelden, der in der heftigsten Erregung des Kampfes dargestellt ist. Er hält in der Rechten das Fernrohr, während die Linke den Säbel in der Mitte der Scheide faßt. Aus dem Säulenschafte streben an jeder Seite drei Schiffsschnäbel heraus, welche in kränzespendende Viktorien auslaufen, die wieder, der Verjüngung des Säulenschaftes stilgemäß entsprechend, in ihren Größeverhältnissen nach oben hin immer kleiner und zierlicher werden, und das Weib, die Jungfrau und das Kind versinnlichen. Diese Schiffsschnäbel sind mit leicht bewegten Segeln verbunden, von denen die Embleme, welche den Säulenschaft schmücken, Ruder, Anker und Flaggen, umschlungen sind. Das Gesims des Hauptpostaments wird durch vier Adler gekrönt, zwischen denen Eichenlaubfestons laufen.

Die Figur selbst schaut gegen die Praterstraße hin. Alle Marmortheile außer der Säule und dem Stufenplateau sind aus weißem Sterzinger Marmor. Auf der der Praterstraße zugekehrten Piedestalseite liest man in Goldlettern die Worte „Wilhelm Tegetthoff“; auf dem Sockel unter einer denselben zierenden Relieftrophäe auf einer von Tritonen getragenen Schrifttafel: „Lissa, 20. Juli 1866“, und auf der Reversseite in ganz ähnlicher Anordnung: „Dem heldenmüthigen Sieger seine dankbaren Mitbürger 1866“, und „Helgoland, 9. Mai 1864“. Die Höhe des ganzen Denkmals sammt der Statue beträgt 12 Klafter, 2 Schuh, 8 Zoll, erreicht somit die Höhe eines mehr als vierstöckigen Miethhauses. Die Breite des unteren Plateaus, auf dem sich das Monument aufbaut, beträgt 12½ Klafter, die des Unterbaues für die allegorischen Figuren 7 Klafter. Baurath Hasenauer und Bildhauer Kundmann haben im Jahre 1877 gemeinsam die Idee des Monuments ausgearbeitet, welches am 24. Septbr. d. J. in feierlicher Weise in Gegenwart des Kaisers, der Erzherzöge, vieler Militär- und Civilcelebritäten, sowie einer nach Tausenden zählenden Volksmenge enthüllt wurde. Doch ist der Gedanke, auf die antike Säulenform eine moderne Denkmalfigur in neuem Gewande zu stellen, kein glücklicher. Auch die vorspringenden Schiffsschnäbel üben keineswegs einen gefälligen, günstigen Eindruck auf den Beschauer aus. Wien ist nicht reich an Denkmälern, daher sollte jedes einzelne eine künstlerische Sehenswürdigkeit sein.

Herbstlandschaft in Holland. (Mit Illustration S. 769.) Kennen Sie Holland, mein Freund? Nicht? Das ist gut, denn es steht Ihnen trotz der vielgerühmten Schweizer Berge ein Genuß bevor, der zwar sich mit der großartigen Wirkung des Hochgebirges nicht messen kann, aber an still-inniger Befriedigung jene übertrifft und dem denkenden Reisenden außerdem ein originelles Kulturbild gewährt. Gehen Sie nach Holland, mein Freund, zur Zeit, da das Birkenlaub fällt, und wenn Sie einige Meilen westlich von Meppen den ersten holländischen Gruß mit seiner gemüthswarmen Tonfärbung in Moll erhalten, dann öffnen Sie Herz und Sinne. Nicht überall ist Holland ein Blumengarten oder ein in saftigem Grün und goldigen Saaten prangendes Gefilde. Wie an den Küsten jenseit der das Land schützenden Deiche und Dünen mageres Sandland sich dehnt, so zieht sich auch längs der binnenländischen Grenze ein minder gesegneter Gürtel vom Dollartbusen nach Süden herab. Langsam mögen Sie die Provinz Drenthe durchwandern. Was eine Flachlandschaft an Reizen bieten kann, werden Sie dort erschauen und empfinden. Wenn nach einem regnerischen Tage, wo die Schafe auf der Heide sich zitternd an einander drängten und dichte Nebel aus Moor und Birkengebüsch aufstiegen, die Sonne zum Abschiedsgruß den Wolkenvorhang zerreißt und gluthrothe Lichter über das braune Moor und die schmalstreifigen Ackerfelder wirft, dann erglänzt die Erde wie eine heiter geschmückte Matrone. In den Heideglöckchen perlen Regentropfen gleich Millionen Diamanten, aus den Birkenzweigen flattern Vöglein zum Abendfluge auf, dicht über dem Horizonte ruht der glühende Sonnenball. Das Mädchen mit der sauberen holländischen Kappe über dem Haar und den ungeschlachten Holzschuhen an den Füßen bringt Ihnen gern ein Glas Milch heraus und plaudert ein Wörtchen. Ein gesundes, frisches, herzhaftes Mädchen! Es lacht der Sonne entgegen und fragt: „Ist unser Holland nicht schön?“ Dann hängt es den Eimer ein, und knarrend fährt der Baum des Ziehbrunnens in die Tiefe. Achten Sie, mein Freund, auf das wunderbare blaue Auge der Holländerinnen; es ist so klar, so unergründlich wie die kleinen, dunklen Seen im Moor.

Ferdinand Lassalle auf der Bühne. Unseres Wissens haben auch deutsche Schriftsteller diesen Vorkämpfer des Socialismus zum Helden dramatischer Werke gemacht: aber es ist ihnen nicht gelungen, ihn auf die weltbedeutenden Bretter zu bringen. Es ist ja immer ein mißlich Ding, bekannte Zeitgenossen, welche so viele Mitlebende von Angesicht zu Angesicht gesehen, hinter die Prosceniumslampen zu verpflanzen. Auf der Bühne anderer Nationen sind sie etwas mehr in die Ferne gerückt: und so mochte sich ein italienischer Dichter eher des deutschen Helden bemächtigen. In der That wurde auf dem Teatro Nazionale in Rom ein Drama aufgeführt mit dem Titel: „Die letzten Tage Ferdinand Lassalle’s“. Der Verfasser heißt Pietro Calvi. Das Stück behandelt in den ersten Akten die Liebe Lassalle’s zu Helene von Dönniges, das

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 771. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_771.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2023)