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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

christlichen Coenobium, das hier in byzantinischer Zeit bestanden hatte, Der el-bahri oder das Nordkloster genannt wird.

Um diese merkwürdige Anlage zu überblicken, bleiben wir in einiger Entfernung von ihr stehen. Die Kalkberge des arabischen Gebirges, welches die Wohnstadt Theben auf dem anderen Nilufer nach hinten abgeschlossen haben, zeigen ein weit interessanteres und schöner gegliedertes Profil, als der Sargberg mit seinem flachen Kamme im Rücken der Todtenstadt. Nur bei Der el-bahri gewinnt das libysche Gebirge ein großartiges und eigenthümliches Ansehen; denn hier ziehen sich die Felsen gleichsam in sich zusammen und erheben sich in einem schön geschwungenen Halbrund zu imposanter Höhe. Beim Aufgang und Scheiden der Sonne glänzt das gelbe und bräunliche Gestein dieser gewaltigen Bucht wie lauteres Gold, und wir haben dann seinen höchsten Saum flimmern und strahlen sehen wie eine weithin leuchtende Aureole.

Dieses nackte, ganz vegetationslose Halbrund würden die Bürger von Theben, wenn sie Griechen gewesen wären, sicher benutzt haben, um dort wie zu Tauromenium oder Syrakus ihr Theater anzulegen. Die unternehmendste aller ägyptischen Königinnen muß die großartige Schönheit dieser Felsenbucht empfunden haben, als sie dieselbe wählte, um die Terrassen ihres Mausoleums zu ihr ansteigen zu lassen. – Der Gedanke, ihre Gruft von der Grabkapelle oder dem Erinnerungsmale zu sondern, scheint ihr, deren Voreltern sich mit bescheidenen Gräbern und überreich ausgestatteten Mumien begnügt hatten, nicht gekommen zu sein.

(Fortsetzung folgt.)

Sankt Michael.

Roman von E. Werner.
(Fortsetzung.)


Als Professor Wehlau und der Gärtner die Thür des Pavillons öffneten, bot sich ihnen ein sehr bedenklicher Anblick. Der junge Künstler lag im Armstuhl, das Haupt matt zurückgesunken, die Augen geschlossen; er hatte die Hand auf die Brust gepreßt, die schwer und mühsam zu athmen schien. Von seinem Gesichte konnte man nicht viel sehen, da der schwere Fenstervorhang völlig herabgelassen war und eine Art Halbdunkel in jenem Theile des Raumes herrschte.

Der Professor trat mit wenigen Schritten auf seinen Sohn zu und beugte sich zu ihm nieder.

„Hans, was ist Dir? Du wirst doch nicht etwa krank werden? Das ist die einzige Dummheit, mit der Du Dich bisher noch nicht abgegeben hast, und das verbitte ich mir! So rede doch wenigstens.“

Hans öffnete matt die Augen und sagte mit halbgebrochener Stimme:

„Bist Du da, Papa? Verzeih, daß ich Dich rufen ließ, ich glaubte –“

„Aber was fehlt Dir denn eigentlich?“ Der Professor wollte angstvoll nach dem Puls seines Sohnes greifen; aber dieser zog zufällig in demselben Augenblick den Arm zurück und legte ihn unter den Kopf.

„Ich weiß nicht – ich bekam auf einmal heftigen Schwindel – und dann Beängstigungen, und dann vergingen mir die Sinne – es war ein furchtbarer Zustand.“

„Das kommt von dem verwünschten Malen, von der verdammten Farbenkleckserei!“ rief Wehlau in heller Verzweiflung. „Anton, öffnen Sie die Fenster, lassen Sie frische Luft herein! Holen Sie Wasser – schnell!“

Damit griff er nach dem linken Arm des Kranken, der wieder dasselbe Manöver ausführen wollte. Aber diesmal war der Vater schneller als Hans, erwischte das Handgelenk und hielt es fest.

„Was ist denn das? Dein Puls geht ja ganz normal?“ fragte er argwöhnisch und riß zugleich mit einem raschen Griffe den Fenstervorhang herab. Das Tageslicht strömte blendend herein und beleuchtete das Antlitz des jungen Mannes, das eben so frisch und blühend aussah wie gewöhnlich; die leidende Miene täuschte den erfahrenen Arzt auch nicht einen Augenblick.

„Junge, das ist wieder eine von Deinen Teufeleien!“ brach er los. „Gnade Dir Gott, wenn Du mir eine Komödie vorgespielt hast, nur um mich in Dein Atelier zu bringen!“

„Du bist aber doch nun einmal drinnen, Papa!“ rief Hans, der einsah, daß er die Patientenrolle nicht länger fortführen konnte, und nun rasch aufsprang. „Und Du wirst sicher nicht wieder gehen, ohne wenigstens einen Blick auf meinen ‚Sankt Michael‘ zu werfen. Da steht er, drüben an der Wand, Du brauchst Dich nur umzuwenden.“

Die Bitte klang sehr inständig, aber Wehlau wendete sich nicht um, sondern schritt gradewegs auf die Thür los.

„Denkst Du mich auf solche Weise zu zwingen? Ueber Deinen heimtückischen Streich reden wir noch später. Jetzt gieb die Thür frei!“

Hans schlug, anstatt zu gehorchen, dem alten Anton, der soeben mit Wasser zurückkehrte und ein höchst verblüfftes Gesicht machte, die Thür vor der Nase zu und drehte den Schlüssel um.

„Das hilft Dir alles nichts, Papa, hinaus kommst Du nicht! Hier ist mein Reich; ich habe Dich in aller Form gefangen genommen und gebe Dich nicht wieder los – sieh Dir das Bild an!“

Das war dem Professor denn doch zu stark. Das Ungewitter, das sich schon während der letzten Minuten angesammelt hatte, brach jetzt los mit Blitz und Toben, aber Hans blieb ganz ungerührt dabei und entwickelte zugleich ein strategisches Talent, das seinem Freunde Michael Ehre gemacht hätte. Unter fortwährendem Parlamentiren drängte er seinen wüthenden Papa immer weiter von der Thür zurück und immer mehr nach der Hauptwand des Ateliers, wo das Gemälde aufgestellt war, bis er ihn glücklich in dessen unmittelbare Nähe gebracht hatte; dann faßte er ihn urplötzlich an den Schultern und drehte ihn herum.

„Hans, ich sage Dir, wenn Du Dich noch einmal unterstehst –“

Wehlau verstummte plötzlich mitten in der Rede, denn er hatte unwillkürlich doch einen Blick auf das Bild geworfen. Er sah zum zweiten Male hinüber, stutzte dann und trat langsam näher.

In den Augen des jungen Künstlers blitzte es triumphirend auf. Jetzt war er seiner Sache sicher, aber er stellte sich doch wie ein Wachposten hinter dem Vater auf, um diesem einen etwaigen Rückzug abzuschneiden; doch der Professor dachte nicht mehr daran. Er stand wie gebannt vor der Leinwand und blickte unverwandt darauf hin.

„Es ist mein erstes größeres Werk, Papa,“ hob Hans jetzt in seinem sanftesten, einschmeichelndsten Tone an. „Ich konnte es doch unmöglich in die Welt hinausschicken, ohne es Dir zu zeigen. Du darfst mir nicht böse sein wegen der Kriegslist, mit der ich Dich hierher lockte: es war die einzige Möglichkeit, Dich in mein Atelier zu bringen –“

„Schweig’ still und störe mich nicht, damit ich das Ding in Ruhe anschauen kann!“ schnaubte ihn Wehlau zornig an und suchte den besten Standpunkt für die Betrachtung zu gewinnen.

So vergingen einige Minuten; dann ließ der Professor ein Brummen hören, das halb grimmig und halb zustimmend klang. Endlich sah er sich nach seinem Sohne um und fragte halblaut:

„Und Du willst mir wirklich einreden, daß Du das Zeug da ganz allein zu Stande gebracht hast?“

„Gewiß, Papa.“

„Das glaube ich nicht!“ sagte Wehlau kurz und bündig.

„Aber Du wirst mir doch mein eigenes Werk nicht abstreiten wollen. Wie gefällt es Dir?“

Der Professor ließ wieder sein Brummen hören, aber diesmal klang es schon verheißungsvoller.

„Hm, das Ding ist gar nicht so übel – hat wenigstens Kraft und Leben – wo hast Du denn den Entwurf her?“

„Aus meinem Kopfe, Papa.“

Wehlau sah erst das Bild, dann seinen Sohn an, in dessen Kopfe, seiner Ansicht nach, nur Narrenspossen steckten und der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 765. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_765.jpg&oldid=- (Version vom 28.9.2022)