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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

die Frauen der Familie des Dahingegangenen und gemiethete Klageweiber mit aufgelöstem Haar und erhobenen Armen sich in lautem Jammergeschrei ergehen und sich dabei gerade so benehmen wie die Aegypterinnen von heute. Ihnen steht es zu, die Verstorbenen laut zu beklagen; denn, so sagt das Sprichwort: der Weiber Haar ist lang, aber ihr Verstand ist kurz; die Männer sollen dagegen, wie bei den heutigen Arabern, dem Tode gegenüber ruhige Würde bewahren.

Fahrt eines Leichenschiffes in die Todtenstadt. Klageweiber jammern auf dem Decke.
Aus einem Grabe in Theben.

In diesen Grüften erinnert Alles an das Leben, und zwar in geradezu munterer Weise. Wir sehen den Hausherrn unter den Seinen in froher Gesellschaft, zu der sich die Mitglieder beider Geschlechter eingefunden haben. Die Büffets brechen unter der Last der Früchte, der erlesenen Speisen und bekränzten Weinkrüge, Musik würzt das Mahl, junge Herren reichen den Damen duftende Sträuße, und die Schönen haben das Haupthaar mit Blumen geschmückt. Diener eilen hin und her, und selbst die Folgen des üppigen Mahles werden in einigen unserer Grüfte zur Darstellung gebracht. (Vgl. S. 762.) Die am Gedächtnißtage versammelte Familiengemeinde erinnert sich beim Anblick dieser Gemälde der frohen im Hause des Verstorbenen verlebten Stunden, und wenn sie weiter durch die von Lampen hell erleuchteten Räume der Gruft schreitet, erzählen ihr andere Bilder und Inschriften, einen wie bevorzugten Platz im Herzen des Pharao der Entschlafene eingenommen, wie hohe Würden, Titel und Ehrenzeichen er erworben hatte, wie groß, kostbar und mannigfaltig die Tribute gewesen waren, welche unterworfene Nationen ihm als Statthalter für den königlichen Schatz zugeführt hatten, wie stattlich sein Haus, wie groß und schön gepflegt seine steif, aber gar ordentlich angelegten Gärten, wie ausgedehnt, wohlbestellt und bewässert seine Landgüter, wie ergiebig seine Jagdgründe gewesen. Jeder Angehörige dieses großen Herrn konnte stolz auf die Verwandtschaft mit ihm sein, auch wenn er die Herden, welche er besessen, abgebildet und ihre große Häupterzahl aufgezählt sah.

An das Leben, das irdische Dasein erinnert Alles, und vergebens sucht man in der Grabkapelle und den Räumen, welche sich an sie schließen, nach Darstellungen von Inschriften, welche von der Dua-t und dem Schicksal der Seele im Jenseits erzählen.

Um solche zu finden, muß man durch den Bir oder Brunnen in die Sargkammer hinab oder herauf zu gelangen versuchen.

Dies Vorhaben ist oft mit großen Schwierigkeiten verbunden, und hat man das Ziel erreicht, so begegnet man häufig leeren Wänden. Manchmal freilich wird der unerschrockene Forscher schön belohnt. So haben wir uns mit unserem Freunde und Kollegen Stern eine ganze Lm° Gesellschaft von Gästen, Woche lang Tag für Tag durch den 10 Meter tiefen Schacht, Welcher zu der Sargkammer des Amen em ha führte, in die Tiefe hinabsenken lassen und dort in einem Raume, welcher nur vier Fuß hoch war und unserem mehr als mittelgroßen Körper an keiner Stelle gestattete, sich schlank aufzurichten, von früh bis spät die Feder gerührt; waren doch alle vier Wände der Sargkammer mit Kapiteln des Todtenbuches, und zwar den wichtigsten, bedeckt.

Wie in der erwähnten Sargkammer, so finden sich auch in anderen manche Inschriften und Bilder, welche sich auf das Leben nach dem Tode beziehen, niemals aber solche, die sich mit dem Erdendasein des in ihnen Bestatteten beschäftigen. Wo die Wände her Kammer am Ende des Bir nackt blieben, empfing statt ihrer der Sarkophag Ausschmückungen in Bild und Wort, welche sich auf das Leben in der Dua-t und das Schicksal der Seele bezogen; und war auch der Sarg unverziert geblieben, so hatte man doch zu der Mumie Papyrusstreifen oder Rollen gelegt, welche entweder mehr oder weniger zahlreiche Kapitel des Todtenbuches, oder „das Buch vom Athem“, oder die Schrift „von dem, was sich in der Tiefe befindet“, oder „das Buch vom Durchwandern der Ewigkeit“

enthielten. Manche Mumien waren auch mit Binden umwickelt, die man mit heiligen Schriften bedeckt hatte. Alle diese Texte, von denen man auch gern gewisse Stücke auf oder in den Sarkophagen anbrachte, bezogen sich auf das Jenseits und hatten, ähnlich wie die Inschriften der Königsgrüfte, der Seele als Reiseführer und Gedächtnißstützen zu dienen.

Blicken wir nun auf das Mitgetheilte zurück und vergegenwärtigen wir uns die Besonderheit der Aegypter, sich bei all solchen Dingen schablonenhaft streng und eng an ein gegebenes Vorbild zu halten, so wirft sich die Frage auf, wie es kommt, daß die Ausschmückung der Pharaonengräber so weit von derjenigen der Privatgrüfte abweichen konnte. In den letzteren wird Alles, was wir in den ersteren betrachten und lesen, in den Sargraum zusammengedrängt, und über das Erdenleben des Verstorbenen, wovon die Wände der Privatgräber so reiche und eingehende Kunde ertheilen, fehlt in den Grüften der Könige jede Erwähnung.

Ferner findet sich in ihnen kein einziger Raum, wo sich eine größere Gemeinde hätte versammeln können, um sich des Abgeschiedenen zu erinnern und seinem Ka gemeinsam zu opfern.

Läßt es sich denken, daß die Fürsten freiwillig auf diejenigen Leistungen der Pietät verzichtet-hätten, auf welche die Privatleute das schwerste Gewicht legten? Gewiß nicht!

Auch die Könige wünschten, daß man ihrer gedenke; doch trennten sie die beiden Theile des Grabes, welche die Gruft der Privatleute in sich zusammenschloß. Die Höhlenmausoleen im Thale der Königspforten entsprachen dem Bir und dem Sargzimmer in der Ruhestätte des Privatmannes, und statt der Grabkapelle und der ihr folgenden Räume ließen sich die Pharaonen im Flachlande der Nekropole besondere Bauwerke errichten, und zwar jene Memnonien oder Erinnerungsmale, welche wir bereits

Eine Gesellschaft von Gästen, denen Wein, Salben und Blumen gereicht werden. Aus einem Grabe in Theben.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 763. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_763.jpg&oldid=- (Version vom 11.10.2018)