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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

eine Wichtigkeit, welche die bräutliche Freude ersetzen mußte. Und die unklare Furcht vor der Vermählung, welche näher und näher rückte wie ein unaufhaltsames, unabwendbares Naturereignis, wich allmählich der innigen Freude auf die Hochzeitsreise nach Paris, das ihre Phantasie und des Verlobten Berichte mit wunderkräftigem Zauber umgaben.

So beschäftigt, merkte sie gar nicht, daß die Mutter sie in diesen Wochen kaum das Zimmer verlassen und nie allein den Hof betreten ließ.

Terka hatte ihre guten Gründe zu solcher Vorsicht; allabendlich, und oft genug auch am Tage, sah sie ihren Erbfeind, den Stefan, auf dem Maulbeerbaum sitzen und mit den schwarzen Augen in ihren Hof spähen, als lauere er auf ein Wild, das ihm endlich über den Weg laufen müsse.

Und als Terka einmal in dunkler Nacht noch den Garten betrat, sah sie etwas Weißes auf dem Maulbeerbaum schimmern, und dieses große Weiße mißkannte in der Finsterniß die Terka und schleuderte etwas kleines Weißes ihr gerade vor die Füße. Und als Terka dasselbe aufhob, war es ein Zettel, der um einen Stein gebunden war. Da lief Terka ins Haus und entzifferte bei der Küchenlampe mit großer Mühe – denn sie konnte Geschriebenes schlecht lesen – die Worte:

„Ich muß Dich sprechen; komm’ gleich her, stell’ Dich auf den Tisch unter dem Maulbeerbaum, damit wir leise zusammen reden können.“

Terka verspürte nach dieser Lektüre auch große Lust, mit dem Burschen zu reden, aber sie bezwang sich und that Besseres. Sie band den Zettel wieder über den Stein, schlich in den Hof zurück, kletterte mit großer Mühe auf den Tisch, und ganz stillschweigend – sie preßte die Lippen mit Gewalt zusammen – schleuderte sie die verirrte Liebesbotschaft mit voller Wucht dahin, wo das Weiße auf dem Maulbeerbaum schimmerte. Ein unterdrückter Schrei bewies, daß der Wurf getroffen habe; darauf kletterte drüben das Weiße schleunigst vom Baum, hüben die Terka vom Tisch, Beide in lautlosem Schweigen. Seit dieser Nacht hatte Terka den Feind nicht mehr auf dem Maulbeerbaum erblickt, bewachte aber die Tochter ängstlicher denn je.

Mit solchem Thun arbeitete sie unwissentlich Riza’s Verlobtem in die Hände. Es wäre dem Perfy Viktor sehr peinlich gewesen, der Welt – das heißt Szegedin – das heißt dem Kreise seiner Bekannten – seine Braut, von deren Ruhm er die Stadt widerhallen machte, in der unerläßlichen Begleitung der bäuerischen Mutter vorzustellen. Unangenehm genug war es schon, daß er einige seiner Verwandten zum Vorabende seiner Hochzeit hatte einladen müssen; doch hatte Riza die Anwesenheit dieser Gäste als so selbstverständlich angesehen, daß Perfy seine empfindliche Braut durch eine direkte Weigerung nicht zu reizen gewagt hatte. So lud er denn einige seiner auf dem Lande lebenden Verwandten – nur Herren – zum Polterabend, in der stillen Hoffnung, daß die Schwiegermutter, welche ihm gegenüber noch sehr schüchtern auftrat, sich bescheiden im Hintergrunde halten werde.

Leider erwuchs ihm aber im letzten Augenblick noch eine schlimmere Verlegenheit. Er hatte die Schönheit seiner Braut und die Huldigungen der greisen Berühmtheit auch seiner vornehmen Tante, der Tochter des seligen Obergespans, so oft vorgerühmt, daß die alte Dame in halber Neugier und halbem Wohlwollen ihrem erschrockenen Neffen das herablassende Versprechen gab, seine Hochzeit mit der Schönheit Szegedins durch ihre Gegenwart zu ehren. Jetzt mußte er ihr Riza doch vorstellen, und zwar in der unerläßlichen Begleitung ihrer Mutter, und so lange Perfy auch mit der Erfüllung dieser unangenehmen Pflicht zögerte, endlich kam der letzte Tag vor dem Polterabend, und der Gang mußte gemacht werden.

Terka hatte sich zu dieser Feierlichkeit auf Perfy’s Wunsch in städtische Kleidung stecken müssen; aber als sie nun in dem schweren, schwarzen Seidenkleide, welches sein unfehlbarer Geschmack für sie gewählt und an dem die beste Schneiderin ihre Kunst erprobt hatte, über die Schwelle trat, da wich Perfy entsetzt einen Schritt zurück; denn das enge Gewand wickelte eine so derbknochige Gestalt ein, spannte sich um so breite Hüften – und der dicke, kurzgeschorene Kopf mit dem breiten, rothen Gesicht sah unter dem zierlichen Kapottehütchen so unglaublich komisch hervor, wie – ja wie der einer Köchin, welche die Kleider ihrer Herrin angezogen hat.

Auch Riza erblaßte beim Erscheinen der Mutter; aber der erschreckte und verächtliche Blick, mit welchem ihr Verlobter Terka maß, kränkte ihren Kindesstolz so tief und regte den Widerwillen gegen Perfy so stark in ihr auf, daß sie ihre alte Entschiedenheit wiedergewann. Sie ging auf die Mutter zu, streichelte ihr die Wangen und sagte zärtlich und bestimmt: „In dem abscheulichen Kleid schaut mein stattliches Mutterle beinah’ garstig aus. Auch erstickst Du bei der heutigen Hitze in dem engen Gewand. Geschwind, leg’ den schönen faltigen Seidenrock und das Kopftuch wieder an; wir warten derweil.“

Die Entschiedenheit, mit welcher sie sprach, verletzte aber Perfy’s eingebildete Selbstherrlichkeit gar zu stark, und so sagte er in seinem hochmütigsten Ton, mit beiden Händen in scheinbarer Gelassenheit seinen stolzen Bart ordnend:

„In Bauerntracht kann meine Schwiegermutter nicht bei der Tochter des Obergespans, meiner Tante, erscheinen. Kommen Sie, Riza. Wollen Sie vorausgehen. Frau Mama?“

Terka wollte schon eingeschüchtert gehorchen; aber in ihrem Töchterlein bäumte sich der gesunde Stolz der Jugend gegen unrechtmäßige Tyrannei auf; es trat von Perfy’s dargebotenem Arm zurück und sagte:

„Wir sind nicht gewohnt, Befehlen zu gehorchen, Perfy Viktor.“

„Nicht?“ – gab er mit einem höhnischen Blick auf die frühere Köchin zurück, fügte dann aber in wieder gewonnener Selbstbeherrschung hinzu:

„Die Liebe wird Sie die süße Pflicht der Unterwerfung lehren, theure Riza.“

„Die Liebe?“ rief Riza mit sprühenden Augen. „Aber ich liebe –“

In diesem kritischen Augenblicke gewann Terka ihre ganze Geistesgegenwart. Sie herrschte die Tochter an:

„Schwätz’ nicht soviel, Riza, die Visitenstund’ geht sonst vorüber, eh’ wir zu Teleky kisasony[1] hinkommen, und außerdem wird’s gleich losgewittern; es zieht schon ganz schwarz auf; geschwind, gieb Perfy Viktor den Arm – und vorwärts, Ihr Beiden!“

Mit heimlicher Bewunderung für die plötzlich erwachende Klugheit seiner Schwiegermutter zog Perfy Riza’s widerstrebenden Arm in den seinen und ging rasch mit ihr voran. Die Mutter folgte, mühsam die Beine in dem engen Gewand hebend, wie eine Henne hinter ihren Küchlein hersteigt.

Aber ach, wenn ihre Sünden einst gewogen werden, so wird die Stunde, welche sie bei der Tochter des Obergespans verlebten, allen drei Personen schwer in die Wagschale der Gnade fallen. Als das alte Fräulein Teleky, in schwarze Seide gehüllt, Wespe an Taille, Aristokratin in jedem Zuge ihres hochmüthigen, hageren Gesichtes, mit vornehm langsamen Bewegungen dem Besuche entgegentrat und die Mutter der Schönheit Szegedins, ihre zukünftige Verwandte, erblickte, wurde ihre Nase spitz und ihr gelbliches Gesicht aschfarben. Sie reichte Terka zögernd die Fingerspitzen und richtete, so viel es ihre vollkommene Erziehung erlaubte, ihre Rede an Perfy Viktor; denn auch Riza’s Lieblichkeit wurde in den Augen der Aristokratin völlig von dem Umstande ausgelöscht, daß eine so plebejische Mutter hinter ihr stand.

Terka aber wurde aus Verlegenheit vertraulich und geschwätzig. Sie schüttelte derb des alten Fräuleins Hand und sagte:

„Schaun’s, Gnaden, da bring’ ich Ihnen nun die Riza. Sie ist halt a herziger Fratz, halt nit, Gnaden? Perfy Viktor kann schon mit ihr zufrieden sein; denn schön ist sie, die Riza, und reich auch – und so lieb und herzig – und plauscht halt französisch, wie ich ungarisch – und der alte Mann, von dem sie so ein Wesen und Gethue in Szeged machten, hat die Riza geküßt und gesagt, sie sei die Schönste in der ganzen Stadt, und ich sag’s auch und hab’ immer gemeint, ein Prinz werd’ nach ihr kommen – Aber der Perfy Viktor ist mir auch schon recht; denn er ist ein vornehmer Kavelier und fesch und hat Alles vom Besten – und ich sag’ immer, ich weiß, daß er uns eine Ehr’ anthut, und freu’ mich, daß die Riza in eine vornehme Familie hineinheirathet, und sie wird halt eine schöne Edelfrau werden –“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 760. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_760.jpg&oldid=- (Version vom 15.3.2024)
  1. Kisasony – Fräulein.